Serien-Tipp // „Her Story“

15.09.2016 Film, box2, Feminismus

her story serieEndlich eine Serie über Transfrauen, die ohne Männer mit Perücken und in Frauenkleidung auskommt: Her Story erzählt vom Leben und Lieben zweier Transfrauen in L.A. – und macht das so authentisch und gut, dass die Miniserie für einen Emmy nominiert wurde.

Ein Abend in L.A. Zwei Frauen, die einen Boulevard entlang schlendern, Eis essen, reden. „Würde es dir was ausmachen, wenn wir kurz in dieses Café reingehen?“, fragt die eine, Allie. „Ich friere mir die Eier ab.“ Die andere, Violet, guckt sie an, offensichtlich irritiert. Allie schlägt eine Hand vor den Mund. „Oh mein Gott. Tut mir so leid, ich hab das nicht so gemeint.“ Violet versucht noch einen Moment länger, wütend auszusehen – dann bricht sie in Lachen aus: „Der Ausdruck auf deinem Gesicht!“ Violet (Jen Richards) ist eine ganz normale Frau. Und: Sie ist transsexuell. Journalistin Allie (Laura Zak) wird auf die schüchterne Kellnerin aufmerksam und will sie für eine Geschichte über Transfrauen im Magazin Gay L.A. interviewen. Violet zögert erst: Sie sei keine Aktivistin und auch nicht lesbisch. Dann macht sie doch mit. Es bleibt nicht bei dem Interview: Die offen lesbische Allie fühlt sich zu Violet hingezogen. Violet aber datet Männer. „Also, warst du vor deinem Übergang ein schwuler Mann?“, fragt Allie und Violet lacht nervös. „Vor dem Übergang habe ich tatsächlich Frauen gedatet.“ Warum ist das jetzt anders? Violet erklärt, dass es weniger um die Männer geht als um sie selbst: „Wenn ich mit einem Mann zusammen bin, habe ich keine Zweifel an meiner Weiblichkeit. Mein Körper neben ihrem ist so offensichtlich weiblich.“

her story serieFrauen in Männerkleidern

In sechs kurzen Folgen schafft die Emmy-nominierte Online-Miniserie Her Story viel: Sie erzählt nicht nur authentisch vom Leben und Lieben transsexueller und queerer Frauen in L.A., von Schmetterlingen im Bauch, von peinlichen Fragen und ersten Küssen – sie lässt all dies von Transfrauen selber erzählen. Denn auch Hollywood hat zwar mittlerweile erkannt, dass Geschichten über Transsexuelle sich gut für die große Kinoleinwand eignen. Allerdings: An den Produktionen selbst sind fast nie Transsexuelle beteiligt, Hauptrollen spielen lässt man sie erst recht nicht. Eine der großen Ausnahmen: Tangerine, der Überraschungshit von 2015. Meistens sind es hingegen Männer, die die Geschichten Transsexueller erzählen und Transsexuelle verkörpern: Ob Eddie Redmayne in The Danish Girl, Jared Leto in Dallas Buyers Club oder Jeffrey Tambor in der Serie Transparent. Gerade wurde Matt Bomer als Transfrau für einen Film gecastet. Hinter dem Projekt mögen gute Intentionen stecken, am Ergebnis ändert das aber nichts: Transfrauen, so wird dem Publikum vermittelt, sind im Prinzip Männer in Frauenkleidern.

Es gebe eben nicht genug geeignete Trans-Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Drehbuchschreiber*innen, heißt es oft. Her Story zeigt, dass das nicht stimmt. Violet wird von der transsexuellen Schauspielerin Jen Richards gespielt (die auch am Drehbuch mitschrieb), Regisseurin Sydney Freeland ist ebenfalls trans, der Rest der Crew besteht hauptsächlich aus Frauen, viele davon queer. Mit einem Budget von nur 100.000 US-Dollar – gesammelt durch Crowdfunding, Subventionen und private Spenden – kreierte das Team eine Serie, die auf tatsächlichen Erfahrungen von Transfrauen beruht.

Neben Violet und Allie ist Paige (Angelica Ross) die dritte Hauptfigur in Her Story: Eine erfolgreiche Anwältin für Bürgerrechte, die sich mit Männern trifft – und immer nach dem richtigen Zeitpunkt sucht, ihnen von ihrer Transsexualität zu erzählen. Gibt es den überhaupt? Paige ist nicht nur transsexuell, sie ist auch afroamerikanisch, sexy, selbstbewusst und erfolgreich. Was es nicht unbedingt leicht macht, interessante Männer kennenzulernen. Aber vielleicht ist der gutaussehende und sympathische James (Christian Ochoa) ja einen Versuch wert? Derweil hat Allie es schwer, vor ihren lesbischen Freundinnen zu rechtfertigen, warum sie sich zu Violet hingezogen fühlt. Insbesondere Lisa (Caroline Whitney-Smith) ist feindselig: Sie weigert sich, Transfrauen mit einem weiblichen Pronomen anzusprechen und findet, diese sollten keinen Zutritt zu Frauenhäusern haben. „Wenn ein Typ sich einen Rock anziehen und sich Veronica nennen will, ist das okay“, sagt sie. „Ich meine, ich finde nicht, dass er seinen Schwanz abschneiden muss. Aber ich finde nicht, dass ich mit ihm eine öffentliche Toilette teilen muss.“ Für Lisa steht fest: Niemand mit einem Penis kann lesbisch sein.

Wahre Geschichten gut erzählen

Lisa ist jedoch der einzige schrille Ton in Her Story. Ansonsten setzt die Serie auf leisen Humor und nuancierte Darstellungen. Sie tastet sich langsam an ihre Figuren heran und vermeidet es trotz des Themas, belehrend zu wirken. Natürlich geht es auch um Diskriminierung, um Gewalt, um Vorurteile. Vor allem aber geht es darum, sich zu verlieben – und um die „Macht einer wahren Geschichte, die gut erzählt wird“, wie Allies Voice-Over in sagt. Dabei macht die Serie es sich nie einfach: Sie erzählt von den ganz unterschiedlichen Kämpfen, die die Protagonistinnen führen und ist mehr an der Ausleuchtung individueller Erfahrungen interessiert als daran, universelle Antworten zu geben. „Vi, ich schwöre dir, es wird nie einfacher für Mädels wie uns“, sagt Paige in der letzten Folge. „Aber wir werden stärker werden, oder?“

Alle Folgen von Her Story können auf Youtube angesehen werden.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

3 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr von

Related