Es gibt, Männer, die bezeichnen sich ganz öffentlich als Feministen. Das sollte zwar selbstverständlich sein, gilt aber noch immer als Ausnahme. Jetzt könnte man natürlich meinen, unter Frauen sei die Stimmung durchweg positiv, aber auch hier: Fehlanzeige. Schon der durch die Jahrzehnte extrem emotional aufgeladene Begriff allein macht die Tatsache, dass die 4. Welle des Feminismus die grundsätzliche Gleichberechtigung des Menschen an sich meint, statt sich allein durch Geschlechter-spezifische Fragen zu definieren, für viele noch immer schwer greifbar. Ein Umstand, der nicht gänzlich unverständlich ist, weshalb mitunter sogar immer mehr Medien zum „Humanismus“ wechseln und dabei das Gleiche meinen.
Wie auch immer wir das Kind aber nun nennen wollen, es kassiert ohnehin von beiden Seiten Schelte, genau wie jedes Thema, das irgendwie mit ihm verbunden scheint. Männer beispielsweise fühlen sich vermehrt zu Unrecht des Sexismus beschuldigt, vor allem seit Gina Lisa, wohingegen Frauen den Sexismus tragischerweise häufig selbst befeuern, ohne sich dessen auch nur im Ansatz bewusst zu sein; Zusammenhalt wird von Konkurrenz überschattet. Schuld ist in beiden Fällen nicht selten der allgemein herrschende Konservatismus, also das Bedürfnis nach Kontinuität, Identität und Sicherheit. Ein Paradoxon in sich. Kontinuität ist durch das Festhalten an alten Strukturen selbstverständlich greifbar, aber wie soll man eine Identität ohne bedingungslose Freiheit entfalten, wie kann man sich sicher fühlen, wenn so etwas wie Respekt sogar am Arbeitsplatz als Mangelware gilt. Jenna Behrends fragt sich gerade ähnliches. Die Jura-Studentin ist seit einem Jahr Mitglied der CDU und hat sich in einem offenen Brief an ihre Partei gewandt. Es geht in ihren Zeilen vor allem um reellen Sexismus innerhalb der eigenen Reihen. Behrends ist es satt, von Kollegen als „süße große Maus“ geneckt zu werden. Auch will sie sich als erfolgreiche Quereinsteigerin keine weiteren (nackten) Spekulationen mehr über ihren Erfolg anhören müssen. Und noch weniger akzeptieren, dass die „Frauenquote“ aus überaus fadenscheinigen Gründen noch nicht einmal Partei-intern funktioniert:
„Liebe Partei, ich weiß, du lästerst gerne bei zu viel Bier. Aber die junge Frau, die bereit wäre, sich für ein kommunales Ehrenamt hochzuschlafen, gibt es nur in deiner schmutzigen Fantasie. Die junge Frau, die ständig mit den Gerüchten um ihre angeblichen Affären konfrontiert wird, die gibt es in echt. Kannst du dir in deiner kleinen Welt wirklich nicht vorstellen, dass ich als junge Mutter meine Freizeit lieber mit meiner Tochter und meinen Freunden verbringen würde, als in einer Männerrunde, die mir erklärt, sie seien im Gegensatz zu mir wahre Feministen, weil ich ein Komplettverbot der Burka für falsch halte?“, schreibt Behrends da etwa. Und weiter: „(…)Auch wenn ich mich anfangs mehr am angeblichen Hochschlafen gestört habe, bin ich mir unschlüssig, ob ich den „Die-hat-zu-große-Ambitionen“-Vorwurf von einer anderen Frau nicht noch vernichtender finde.“ (Edition F)
Zu allererst: Es gab viel Zuspruch, auf allen Ebenen. Von der Öffentlichkeit, von Kolleginnen und Kollegen. Das ist erfreulich und nicht selbstverständlich, vor allem innerhalb einer Faktion, die christliche Grundsätze noch immer nicht von ihrer Politik trennen will. Es sind dennoch etliche Negativbeispiele deftiger Diskreditierung, die besonders hervorstechen. Ich bin da ganz ehrlich: Das herablassende Stammtisch-Verhalten alter Männer, die fürchten, ihr Gesicht zu verlieren, überrascht mich nicht sonderlich. Auch weitere Reaktionen derselbigen auf Frau Behrends mutige Anklage, die mitunter scharf an CDU-Chef Frank Henkel appelliert, war abzusehen. Jürgen Presser etwa, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, antwortete Behrends via Twitter mit dem Wort: „Mimimi“. Ein fast schon stereotyper Gegenschlag. Einer von vielen. Was sich die weiblichen Kolleginnen derzeit allerdings leisten, grenzt nicht minder an attestierte Schwachsinnigkeit. Ein Schlag in die Magengrube, nicht nur in die von Behrends, sondern in die aller Frauen:
Sandra Cegla, Vorsitzende der Frauen Union Berlin-Mitte, betitelte Behrends jüngst als „zweifelhafte Persönlichkeit“ (Welt). In einem Interview mit dem Berliner Kurier heißt es weiter: „Ausgerechnet Jenna, die ihre weiblichen Reize spielen ließ und den Männern halb auf dem Schoß saß – ein Hohn.“ Eine Affäre mit Bundesgeneralsekretär Peter Tauber habe sie außerdem gepflegt. Edition F fragt hier völlig zu recht: Was hat das alles miteinander zu tun?
Genau. Gar nichts. Und da sind wir wieder angelangt, beim Victim- und Slut-Shaming, sowie der Königsdisziplin großer Teile der weiblichen Spezies: Stutenbissigkeit. Während man sich in der Internetwelt derzeit über allzu freizügige Bloggerinnen echauffiert, geht es in der Politik vor allem darum, dass hier eine Frau stellvertretend für viele Frauen von anderen Frauen unterstellt wird, angeblich lieber eiskalt berechnend die Beine breit zu machen, als aufrichtig für die Karriere zu arbeiten. Männer sehen das selbstredend ähnlich. Es geht um vermeintlich schlüpfriges Verhalten, das Sexismus rechtfertigen soll. Um Optik, statt um Hirn. Und darum, dass einige Frauen, wie etwa oben zitierte Abgeordnete Cegla, offenbar noch immer lieber das Patriarchat streicheln und verteidigen, statt im richtigen Augenblick zuzubeißen. Aus Angst? Aus Bequemlichkeit? Vielleicht ist auch schlicht eine verrostete Weltanschauung Schuld. Denn sich gegenseitig ausreichend Grips für einen sauberen Aufstieg auf der Karriereleiter zuzuschreiben, fällt wie gesagt schwer. Viel wahrscheinlicher erscheint der ein oder anderen Kollegin auch hinsichtlich Behrends das offenherzige Ausspielen von Reizen als Grund für den rasanten Erfolg der jungen Studentin. Zana Ramadani, Kreisvorsitzende in Mitte, mutmaßte gegenüber dem „Tagesspiegel“ außerdem: „Wir befürchten, es geht (im Fall des offenen Briefes) schlicht um Machtkämpfe.“ Und auch Alexandra Loock-Nester spricht laut Bento von “Selbstüberschätzung“. Ob es auch plausible Gründe dafür gibt, dass die männliche Belegschaft seit längerem darüber spekulierte, wer die süße Behrends wohl schon „gefickt“ hat? Wer weiß. Sicher ist: Wir haben es hier mit unterschiedlichsten Frechheiten zu tun, die aber dennoch vom selben Stern stammen.
So lange wir allerdings selbst nicht aufhören, über Dinge zu urteilen oder spekulieren, die weit außerhalb unseres Zuständigkeitsbereiches liegen, solange wir nicht lernen, gemeinsam gegen Sexismus jedweder Coleur einzustehen und solange wir weiterhin darin scheitern, veraltete Rollenbilder sowie die Objektivierung und Beurteilung unserer und fremder Körper und Gesten gänzlich zu überwinden, wird die Sache mit der Väterherrschaft und dem Hühnerhacken immer wieder von vorn beginnen, wird echter Feminismus von der Allgemeinheit weiter belächelt werden und gänzlich unverstanden bleiben. Von Männern wie Frauen gleichermaßen.
Dabei ist es im Grunde so einfach: Feminismus bedeutet Freiheit. Oder: frei sein von Geschlechter-Zwängen und sämtlicher damit einhergehender Diskrimierungen. Ich wette, davon träumt heimlich sogar eine Sandra Cegla, auf deren verbalen Fehltritt die Schriftführerin der Frauen Union CDU Mitte, Anja Pfeffermann, übrigens überaus groß reagierte: „Ich habe heute schweren Herzens mein Amt als Schriftführerin in der Frauen Union der CDU Mitte niedergelegt. Aus meiner Begründung: Eine Frau, die Vorwürfe von Sexismus erhebt, als „zweifelhafte Persönlichkeit“ zu bezeichnen und dabei weitere harsche Äußerungen dieser Art zu tätigen, ist einer Frauen-Union-Vorsitzenden unwürdig. Es schadet uns allen als engagierte Frauen in der Partei und darüber hinaus in der Gesellschaft.“ Na also. Geht doch.