Ohne Sehhilfe bin ich ein ziemlicher Maulwurf, aber immerhin einer, dessen Welt vor perfekter porenfreier Haut nur so strotzt, es gibt optisch wenig Scharfes, dafür viel Weiches, ganz so, als hätte man einen zarten Pfirsich-Filter über jeden Freund, die Landschaft und auch das eigene Spiegelbild gelegt. Punkt eins und zwei sind praktisch, Punkt drei ist fatal. Man schenkte mir als Wink mit dem Zaunfall bereits Mitesser-Pflaster, mit denen ich zunächst nichts anzufangen wusste, ich sah ja das Ausmaß meines Nasengebirges nicht. Eine kleine Hornhautverkrümmung gab es bei meiner Geburt nämlich ebenfalls gratis oben drauf und insgesamt bedeutet das wohl, dass ich besser keinen Schritt mehr ohne Linse oder Glas vor dem Auge wagen sollte, schon allein aus Respekt gegenüber der Sicherheit (und auch dem ästhetischen Empfinden) meiner Mitmenschen nicht. Was wie ein einfaches Unterfangen klingt – Brille kaufen, aufsetzen, fertig – erwies sich während der vergangenen Jahre als mittelgroße Unmöglichkeit und, da bin ich jetzt einfach mal ganz ehrlich, Schuld daran war vor allem meine Eitelkeit, von der ich normalerweise stets behaupte, sie sei ein recht unauffälliges Pflänzchen.
Aber Pustekuchen. Weder das alte Harry Potter- noch das güldene Modell wollten so richtig in meinem Alltag ankommen. Beim Tragen empfand ich mich stets als verkleidet und angestarrt wegen der auffälligen Brummer im Gesicht und gar nicht mehr wie ich. Das ist jetzt (phasenweise) anders. Ich habe nämlich eine neue Brille namens Paul, eine fast durchsichtige, die trotzdem überaus sichtbar, aber irgendwie überhaupt nicht nervig ist. Und so banal und bescheuert das nun klingen mag, aber seit ich weiß, dass Rochelle von The Skate Kitchen ein ganz ähnliches Exemplar wie meines trägt, geht es noch ein Stückchen weiter bergauf mit meinem bebrillten Selbstbewusstsein. Das kann, und damit bin ich wissentlich nicht allein, zuweilen ja wirklich ein angeknackstes Häufchen Elend sein. Darüber ärgere ich mich übrigens schrecklich. Aus offensichtlichen Gründen. Ein Geheimrezept gegen das eitle Unwohlsein habe ich allerdings noch nicht gefunden. Außer: Gewöhnung. Dabei hätten mir bei all dem Gerede über Selbstliebe und attraktive Gescheitheit längst viel dickere Eier wachsen müssen.
Wenn man jedoch nicht sowieso schon längst das Superduperbrillengesicht schlechthin ist und das vielleicht sogar seit Ewigkeiten, wenn man sich vielmehr seit 28 Jahren ohne kennt, dann kann so ein Neuzugang ganz schön einschneidend sein. Erst einmal im positiven Sinne natürlich (Was man wieder alles sieht! Und von so weit weg! Und gestochen scharf!), aber auch im seltsamen. Man schaut mit nunmal unweigerlich ganz anders aus als ohne. Nicht besser oder schlechter, einfach anders eben, ein bisschen schlauer vielleicht, womöglich aber auch leicht verpeilt, je nachdem. Das kann man mögen und zu seinem eigenen Vorteil nutzen, ich hingegen akzeptiere diesen Umstand schlichtweg als unumgänglich und bin mittlerweile immerhin schon so weit, ganze Tage mit meinem neuen Freund, der Brille von YUN, zu verbringen. Für Fotos werde ich trotzdem immer wieder zum eitlen Maulwurf, der Schiss davor hat, scheiße auszusehen. Will ich später noch ausgehen, greife ich etwa reflexartig zu Kontaktlinsen (die aber meist verschollen sind), und wenn sich Besuch im Büro ankündigt, zum Beispiel der, der ausschaut wie James Franco, dann schiebe ich die Brille ganz unauffällig ins Haar und grinse ins Leere, weil ich ja gar nichts mehr sehen kann. Ganz schön schwach von mir. Wo Paul doch wirklich so ein hübsches Exemplar seiner Spezies ist. Vielleicht muss ich uns beiden einfach noch ein wenig Zeit geben, besser wird’s nämlich nicht. Wir lesen gemeinsam Zeitung und schauen verliebt Serien an. Irgendwann wird der Alltag uns also womöglich von ganz allein überrollen.
P.S.: Wer in Berlin ist, hält seine neue YUN Brille schon nach 20 Minuten in den Händen, ein haargenauer Sehtest ist im Komplettpaket enthalten – ohne dieses grandiose Konzept der Gründerin Jiyoon Yun hätte ich den Schritt zur Brille schon allein aus Bequemlichkeit nicht gewagt. Rosenthalerstraße 11, 10119 Berlin.