Ich habe eine Freundin, die nicht nur blitzgescheit ist, sondern zweifelsohne auch bildschön. Die Diamantin meines Bekanntenkreises sozusagen, vor Selbstbewusstsein strotzend und sogar objektiv betrachtet makellos, von innen und außen. Bloß strahlt sie genau das auch aus, seit der Grundschule schon, weshalb sie wahre Frauenfreundschaften laut eigener Aussage bis heute an etwa einer Hand abzählen kann. Das ist keine Ausrede, jedenfalls musste ich meine eigene Vermutung, nämlich jene eines möglichen Lecks in Sachen Sozialkompetenz ihrerseits, schnell über Bord werfen; schon mehrere Male konnte ich nämlich live dabei zusehen, wie männliche Mitmenschen sich den Hals nach ihr verdrehten, während die anwesenden Damen nichts als abwertende, von Angst geplagte Blicke für die sauschlaue Schönheitskönigin übrig hatten. Das klingt jetzt hoch gestochen, aber ich meine das so, denn wer ausschließlich hübsch daher kommt, wird nur selten als Bedrohung wahrgenommen, stimmt aber das Gesamtpaket: Panik, big time.
Das lassen wir jetzt einfach mal so im Raum stehen, weitere Beobachtung führen uns nämlich geradewegs in eine viel interessantere Einbahnstraße. Wer das mediale Zeitgeschehen derzeit aufmerksam verfolgt, wird wohl kaum an all den lauten Parolen für mehr Selbstbestimmung, Selbstliebe und Selbstsein vorbei gekommen sein, der weiß um den aktuellen, mitunter bis über die Grenzen hinaus vermarkteten Body-Positive-Chor, in den sämtliche Meinungsmacher gerade eifrig einstimmen. Wir begrüßen diese Entwicklung, sehr sogar, bloß frage ich mich zunehmend, ob besagter Appell überhaupt verstanden wurde. Alle sollen schön sein, aber (so gut wie niemand) darf es?
Ein einfaches, möglicherweise überspitztes Beispiel, das vorrangig der Veranschaulichung dienen soll: Wer hin und wieder ein wenig am eigenen Speck wackelt, der wird für den damit verbundenen Mut bejubelt, wer seine vermeintlich überdimensionierte Nase in den Himmel lobt, bekommt eine gesunde Portion Stolz attestiert und auch sonst gilt das liebevolle zur Schau tragen kleiner und großer menschlicher Individualitäten mittlerweile als salonfähig. Darum geht es ja schließlich, um bedingungslose Liebe, auch zu sich selbst. Schön und wichtig klingt und ist das. Aber leider nur bis zu einem gewissen Grad an optischer Wohlgestalt.
Für unweigerlich Schöne gelten gefühlt andere Regeln. Ich behaupte nun nicht, dass der durchschnittlich ausgestattete Querschnitt der Welt, oder auch sämtliche Extreme (ich ohrfeige mich an dieser Stelle selbst über die gerade geschehende Klassifizierung) im Jahr 2016 keinen Grund mehr zur Beschwerde haben, nein, für Oberflächlichkeiten wird man gern geschunden, Makel funktionieren schließlich noch immer als beliebte Zielscheibe verbaler Anfeindung und Diskriminierung. Allerdings, und hier kommen wir wieder zu meiner Freundin: Wer tatsächlich dem gängigen Schönheitsideal entspricht, jedenfalls annähernd (meiner Vorstellung nach sind das übrigens die Allermeisten), der hat natürlich leicht reden, aber ebenso viel zu verstecken. Zwar keine Röllchen, aber das eigene Selbstwertgefühl, das Strahlen und Strotzen vor fehlender Zweifel. Ist nämlich nicht sympathisch, so vollkommen im Reinen mit seinem Äußeren zu sein, zumal das Äußere doch bloß eine zufällige Hülle ist, die wenig aussagt und nicht einmal selbst gewählt wurde. Ist einfach zu viel des Guten.
Für jene, deren Antlitz unstreitbar gut gelungen ist, und unter deren Oberfläche es auch sonst wenig beruhigende Mittelmäßigkeit zu ergründen gibt, für jene, die es noch dazu nicht einsehen, sich hinter geheuchelter Bescheidenheit zu verstecken, für jene, die mit ihren Vorzügen nicht kokettieren, sondern dazu stehen, kein Problem zu haben, für all jene regnet es ebenso wenig Applaus für das vermeintlich graue Mäuschen. Meine Freundin etwa gilt, vor allem seit sie ehrlich zu sich und anderen ist, vermehrt als eingebildet, selbstgefällig, arrogant, hochmütig und -näsig, als selbstüberzogen oder überheblich. Vollkommen zu Unrecht, dafür lege ich meine Hand und auch mein Haar ins Feuer. Ich ahne trotzdem, woher diese Fehleinschätzung rührt.
Meine Freundin begegnete einem Kompliment, das sie während eines netten Abends in einer Bar bekam, von einer Frau wohlgemerkt, jüngst sehr souverän, wenn auch unerwartet: Sie bedankte sich freundlich und freudig, statt die hypnotisierende Form ihrer Augen wie gewohnt und reinsozialisiert beschämt abzustreiten. Was nebenbei bemerkt wirklich lächerlich gewesen wäre, man muss da einfach rein starren, pausenlos. Auf dem Klo sitzend konnte man zehn Minuten später problemlos mit anhören, wie die Kumpanin der Komplimentgeberin bemerkte, dass „die mit den Rehaugen sich aber schon ziemlich geil“ finden würde, weil wer fände ich selbst schon gutaussehend.
Ich wusch mir traurig über die Bestätigung meiner Vorahnung die Hände, denn meine Freundin ist unabhängig davon, dass sie meine Freundin ist, ein Mordstyp und alles andere als unangenehm selbstverliebt, das schwöre ich hoch und heilig. Bloß selbstbewusst ist sie, vollkommen zu Recht, nur scheint dieser kleine aber bedeutende Unterschied für die Allgemeinheit nahezu unsichtbar zu sein. Mit zweierlei Maß wird in vielen Bereichen des Lebens und der Wahrnehmung gemessen, schon klar, aber Herrgott nochmal, da schreiben und jubeln und klatschen die da draußen gegen den Selbsthass an, während sie für das Gegenteil offenbar noch gar nicht bereit sind. Vielleicht liegts an der fehlenden Eingewöhnungsphase, jammern scheint ohnehin beliebter zu sein als Frohmut bis die Fetzen fliegen. Und was kann man da tun?
Vielleicht beim nächsten Kompliment etwas ganz unerwartetes tun: Danke sagen. Weil Veränderungen manchmal bei uns selbst anfangen.