Was war zuerst da, die kaputten Tasten X und Y auf meinem Laptop – oder der fehlende Wille weiterzutippen? Diese und alle anderen Fragen spielten keine Rolle mehr, als ich vor knapp vier Monaten einfach zuklappte – den Computer – und mich gleich mit.
Kleiner Virus
So, wie es auch locker weiter gehen kann, wenn zwei Buchstaben auf der Tastatur nicht mehr ihren Zweck erfüllen, so ist auch der Mensch über einen beachtlichen Zeitraum in der Lage, auf die ein oder anderen Short-Cuts zu verzichten, kleine Blessuren zu retouchieren, Schwächen zu überkleben, neuen Speicherplatz und glitzernde Hüllen zu kaufen – es muss ja schließlich weiter gehen im Text.
So trugen wir uns lange innerlich bröckelnd, aber voll funktionsfähig, quasi makellos, durch die Welt, mein sieben Jahre altersschwaches Mac Book mit randvoller Festplatte – und ich, die scheinbar nicht bemerken wollte, dass sie schleichend zu einem Scalamari Roboter geworden war und sich längst nicht nur ein kleiner Fehler ins System eingeschleust hatte.
Cola drüber und gut?
Bis zum Moment, an dem schließlich alle Lampen für lange Zeit ausgingen, mussten erst viele 0en und 1en die Datenbahn runter rauschen: Ich zog mir selbst aus lauter zerstörerischer Übermut Schrammen auf Display, Motherboard und der Software zu. Es war, als träufelte mir ein Zwerg da oben drauf auch noch klebrige Coca-Cola, in überschaubaren Dosen zwar, aber stetig, Tropfen für Tropfen. Ich teilte die Euphorie des Zwerges Anfangs mit Verehrung und Begeisterung – Prost, Zuckerschock – Hurra, es brennt so schön. Error.
Dann eben extrem Spa-Life?
Um den gestressten Großstadt-Kopf auszuruhen, beschloss ich: „Einfach mal ein langes Wochenende entspannen – Wellness“. Aus einem Wochenende wurden gefühlt hundert Wochentage und die heilenden Spa-Tempel mutierten alsbald zu wohl duftenden Realitätsflucht-Burgen. Ätherischer Bademantel statt faulig muffelndes und kratzendes Berlin – mhhhh so schön flauschig. Öffentliche Teilnahme und Leben fand von da an, wenn überhaupt, nur noch unter größter Anspannung und Muss statt. Mein schwarzer Bademantel hielt mich gefangen. Lieferboys und Taxifahrer wurden zu meinen Buddies, wir waren wie Brüder – sie fragten nicht viel, lieferten Nahrung, fuhren mich durch die Nacht. Das war gut.
Als einziges realistisch abzuarbeitendes Tages-To-Do blieb auf dem Zettel: Konsumieren, überschminken, abdecken und instagramen, als gäb‘s kein Morgen mehr. Kam ich doch mal aus Versehen in die Verlegenheit die Türe zu öffnen, musste der gute alte „Huch, ich komme gerade erst aus der Dusche“-Trick herhalten. Um doch bittesehr irgendwie auf den Bildschirmen und Köpfen der Menschen stattzufinden – denn, vergessen werden – wer will schon vergessen werden? Also lächelte ich panisch konstant weiter aus dem nie schlafenden Internetz hinaus, wir schliefen einfach beide nicht mehr ein, bis, ja bis sich irgendwann mein Äußeres dem Inneren anglich: Außen Pfui, innen Pfuier – nuschelte mein Körper, der inzwischen zu meinem Feind geworden war, klatschte in die Hände und riss uns ins Funkloch.
Error? Ich doch nicht. Oderrer?
Die letzten Wochen vor Hilfe, kann ich nur als verschleierte Parallelwelt rekapitulieren. Im übrigen Rest Reserveakku-Modus angelangt, glotzte ich das ferngesteuerte Bild meiner selbst nur noch von Außen an, kopfschüttelnd aber zu gleichgültig, um Dinge zu ändern. Sogar die von besorgten Freunden mitgebrachte Power und Standleitungen, die endlose Geduld und ehrliche Liebe, die mir von ihnen zuteil wurde, wollten am Ende nichts mehr nutzen. Sie zwackten wertvolle Energie und Zeit von ihren eigenen ab, um mich irgendwie „on Line“ zu halten. Zwecklos.
Nicht mit einem deutlich offenen, soliden Oberschenkelhalsbruch dazustehen, macht es dabei nicht einfacher, sondern schwieriger, der Außenwelt und dem kranken Kind in sich, einen Namen zu geben. Das „Kind“ war aber inzwischen ohne Frage zu einem pubertierenden Monster angewachsen – nichts ging mehr. Und irgendwann begriff auch die Trägerin: Ich brauche Hilfe. Also holte ich mir in den vergangenen Monaten eben das, was ich mir selbst und auch Freunde und Familie nicht mehr geben konnten. „Du bist unzumutbar – eine jämmerliche Bürde für alle“, hämmerte es als quälender Motor auf der Suche nach dem Weg, in mein Gewissen.
Entschuldigung, wo geht’s denn hier zu mir?
Die größte Hürde war es, wie so oft, den ersten Schritt zu tun. Also schlich ich kopflos drauf los, auf der Suche nach dem Glück, Zufriedenheit vielleicht für den Anfang – mir eigentlich alles egal. Alles besser als jetzt. Mürbe und antriebslos, noch nicht so richtig wissend in welche Richtung zwar, außerdem unvorbereitet und maximal schwächelnd – aber immerhin einigermaßen entschlossen. Hätte ich gewusst, was mich erwartet, ich wäre diesen Weg vielleicht nicht gegangen. Auf meiner Reise lernte (und lerne) ich mich, auf mal angenehme, meist knochenharte Weise, wieder ein bisschen mehr lieben, begriff, was Achtsamkeit bedeutet, übte Gleichmut und legte mir das nötige Werkzeugpaket zu, um mich nach der Heilungs-Findungs-Ich-Reise, wieder selbst reparieren, für mich sorgen zu können. Manches gelang dabei easy, ein großer Batzen ging gehörig in die Hose. Von meinem intensivsten Erlebnis, nämlich der letzten Station, einem Schweige-Kloster in den italienischen Bergen, will ich bald mehr erzählen.
Guter Bademantel, böser Bademantel?
Natürlich begegneten mir auf meiner gesamten Strecke die ratlosen, manchmal anklagenden Stimmen, die entweder meinen Job, meinen Umgang, die Medien, meine Erziehung, mein Essen, meinen Schweinehund, meine Stadt, meine Frisur oder was weiß ich nicht alles für diesen Zustand zur Verantwortung und an den Pranger ziehen wollen – und sie begegnen mir noch täglich. Deswegen sehe ich es als Geschenk, inzwischen gelernt, teilweise verinnerlicht zu haben: Ja, ich bin das alles, sowohl Gutes, als auch Schlechtes steckt in mir. Online und offline. Schönheit und die hässlichste Nacht. Abgrund und Tiefe. Aber eben nie pur, sondern in Auszügen. Irgendwas zwischen den Extremen. Nichts ist nur schwarz oder weiß.
Analoges Mädchen in einer digitalen Welt
Die Erkenntnis über das Naturgesetz, dass alles entsteht und vergeht, nichts für immer ist, fiel mir schwer, es fühlte sich unbequem unromantisch, realistisch an. Wir Menschlein hierzulande wurden doch eben grade zum Festhalten an Gefühlen, Menschen und Dingen erzogen – plus Hollywood, Disney und Social Media. Sich weder an das Davor noch das Danach zu klammern, sondern den Moment gerade wahrzuhehmen, wie er tatsächlich ist, einatmen, ausatmen, leben – ohne Verlangen oder Abscheu – das ist von nun an meine große Herausforderung,
Die zweite persönliche Herausforderung geht damit einher: Banalität als Balsam und nicht als etwas Verachtenswertes anzunehmen. Weg vom Tanz an den Polen, hin zu gelebten Grautönen. Entdämonisierung von Gleichförmigkeit und Mittelmäßigkeit, die beiden sind nämlich anscheinend ganz okay und gar nicht so schlimm, wie ich immer dachte. Normcore Leben – why the hell not? Viele Schwächen in uns kennen wir genau, wüssten sogar, wie wir die eliminieren müssten, damit es uns besser geht – konjunktiv konjunktiv. Auf der intellektuellen Ebene, haben wir meist längst alles scharf durchschaut – können es eben nur noch nicht auf die Gefühlsebene transportieren und anwenden.
Bibi is back?
Ein Weg ist ein Weg, bleibt ein Weg. Und an dessen Ziel bin ich noch lange nicht angekommen, es gibt noch viel zu tun. Neue Programme und Updates, die richte ich mir gerade erst ein. Es ist ein Prozess. Dieser Text ist eine Momentaufnahme inklusive Mini-Flashback. Es ist kein abgeschlossenes Bild, dafür ist es zu früh. Auch den Hollywood-Comeback-Zahn, mit wehendem Haar und Happy End im Sonnenuntergang. musste ich mir selbst schon ziehen. Aber die Richtung stimmt wieder und die Wanderschuhe sind geschnürt. Der Plan ist da aber ganz erhlich Leute, ich weiß noch nicht, ob ich irgendwann da ankomme, wo es mir gefällt. Mit etwas mehr Abstand, wird noch mehr Klarheit und Stabilität dazukommen. Schritt für Schritt. Für den Moment ist es aber erst einmal nur eins: Ein gutes Gefühl, wieder hier zu sein. Analog und digital. Mit diesen Zeilen, mit diesem Gefühl. Danke, an euch, an die Mama Janes, an meine Freunde und Familie, dass ihr so lang auf mich gewartet habt, ihr geduldigen Scheißerchen.
Darauf ein Doppeltes XX YY.