Es sind immer dieselben Signale, die ich gekonnt übersehe. Signale, dass die Zeit reif ist für weniger Arbeitszeit, mehr Achtsamkeit, weniger Anspruch an mich selbst und mehr im Hier und Jetzt leben. Eine rote Lampe möchte ich auf meinem Kopf installieren, die furchtbar grell anfängt zu leuchten, wenn ich mir selber mal wieder versuche, einen vom Pferdchen zu erzählen.
Ach dieses Aufgabe? Nein, die schaffe ich noch. Den Termin nächste Woche? Gar kein Problem, ich kann immer. Die Deadline wurde vorgezogen? Also ich war sowieso vorgestern schon fertig. Ohrfeigen könnte ich mich im Nachhinein für meine ständige Ja-Sagerei und meinen übertriebenen Anspruch an mich selbst. Mein Verstand hinkt einfach völlig hinterher, ist lahm wie eine Schnecke und ich höre mich ständig Dinge sagen, über die ich definitiv nicht richtig nachgedacht habe. Moment mal, habe ich da gerade eben etwa zugesagt?! Es ist ein Imperativ, dass alles schaffbar ist, hört es sich auch noch so abwegig an. Und dann, wie im Bilderbuch, kommt es jedesmal zur selben Reaktionskette, an deren Ende ich mich in einem schwarzen Loch wiederfinde und gar nicht weiß, wie mir geschieht. Dabei hätte ich es jeden Mal kommen sehen können.
Nach vielen hunderten dieser Reaktionsketten und Selbst-im-schwarzen-Loch-Wiederfindungen unterschiedlichen Ausmaßes wurde es mir irgendwann zu blöd. Als würde ich jedes Mal wieder auf die heiße Herdplatte patschen und es einfach nicht lernen. Ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen, was mache ich denn da nur? Es muss doch eine bessere Herangehensweise geben, dachte ich viele erschöpfte Male und trug in vielen, vielen Gedankengängen diese granitharte Oberfläche ab, bis ich schließlich zum Kern der Sache kam:
Erschöpfungszustände, Unglücklichsein und Unzufriedenheit kommt nicht plötzlich von heute auf morgen, sondern baut sich langsam auf. Und zwar so langsam, dass man es kaum merklich wahrnimmt und erst aufwacht, wenn es zu spät ist.
Mitte des Jahres zum Beispiel, da fühlte ich mich ausgelaugt, unverstanden und wahnsinnig alleine. Ich konnte mit mir selbst nichts anfangen, fühlte mich von rechts nach links geworfen, ohne Halt und ohne Plan. Schrecklich dieses Gefühl der Stagnation, gepaart mit schlaflosen Nächten und ewigem Grübeln. Die Situation war völlig unverständlich für mich, sie hatte mich kalt erwischt und ich hatte weder Ahnung, warum ich mich so fühlte, noch, was ich jetzt bitte machen sollte. Ich wartete und wartete darauf, das sich endlich Verbesserung einstellte – da hätte ich lange warten können.
Es hat ein paar Wochen gedauert bis mir dämmerte, dass ich schon Monate vorher die ersten Anzeichen für meine kommende Misère gekonnt ignoriert hatte. Viel Zeit, die ich hätte effektiv nutzen können, um an zwei bis drei Stellschrauben zu stellen und den Fall in das dicke schwarze Loch zu verhindern.
Ich habe versucht, einige Warnsignale in ein fünf-Punkte-Korsett zu quetschen, mit der Hoffnung, bestimmte Verhaltensweisen früher zu erkennen und gegenzusteuern. Natürlich ist diese Liste nicht vollständig, enthält aber vermutlich die gängigsten Anzeichen für sich ankündigendes Unglücklich sein. Erkennt ihr euch wieder? Lieber jetzt gleich umdrehen als später:
- Du sehnst immer das Wochenende und den Feierabend herbei.
Wenn dir jemand einen riesigen Batzen Geld geben würde, würdest du sofort nicht mehr auf deine Arbeitsstelle gehen und wenn die Sache mit dem neuen Job finden nicht so schwierig wäre, würdest du morgen kündigen. Übst du einen Job aus, der dich glücklich macht?
- Du weinst öfter als sonst.
Ich gehöre zu den Menschen, die ihre mit Flüssigkeiten verbundenen Emotionsausbrüche lieber in ihren vier Wänden praktizieren. Wenn es mir gut geht, weine ich ungefähr einmal die Woche und wenn es mir schlecht geht, dann weine ich jeden Tag, manchmal sogar zweimal. Letzteres ist immer ein Zeichen dafür, dass ich mich trotz Müdigkeit und Traurigkeit bis zur Oberkante mit Arbeit zugeschüttet habe und alle paar Stunden alles in mir zusammenbrach. Ich bin dann so dünnhäutig, dass ich schon in Tränen ausbreche, wenn mich einer meiner Herzensmenschen schief anguckt oder mit nur 75prozentiger Freundlichkeit in der Stimme anspricht. Dann weiß ich: Es wäre eine gute Idee, mit dem Verstecken hinter einem Berg Arbeit aufzuhören.
- Du machst andere Menschen für deine Ängste, dein Versagen oder deinen Unmut verantwortlich.
Und du hast, wenn du die Rationalität mal zu Wort kommen lässt, absolut keinen Grund dazu. Das gefährdet nicht nur die Beziehung zu dieser Person, sondern hilft dir, dich niemals nachhaltig besser zu fühlen.
- Du hältst an zu vielen Dingen in der Vergangenheit fest.
Und vergisst dabei völlig, dass im Hier und Jetzt neue Erinnerungen geschaffen werden. Wenn man nicht aufpasst, passiert das, ohne das man auch nur ein Wort mitgeredet hat und das wäre doch ziemlich schade. Übrigens gibt es auch das gegenteilige Phänomen derjenigen, die ständig in der Zukunft hängen und schon mal am Ausgang der Erfahrungen von morgen arbeiten möchten. Zu dieser Gruppe zähle ich zum Beispiel. Ich möchte nämlich am liebsten sicherstellen, dass ab morgen nur noch Dinge passieren, die ich bis ins kleinste Detail geplant habe. Wenig Überraschungen, weniger Tränen, aber halt eben auch weniger Freiheit. Ständig muss ich mich zurückholen ins Hier und Jetzt, wo es nämlich auch ziemlich schön ist.
- Du unternimmst zu wenig oder zu viel.
Wir brauchen die Zeit von anderen, Liebe und Gemeinsamkeiten, ohne die geht es nicht. Ich habe es mal anders probiert und bin sehr unglücklich geworden, viel unglücklicher als ich es vorher war. Ohne Zuspruch, Austausch und Zuneigung zerfällt man irgendwann innerlich, das vielleicht schlimmste Gefühl, das man haben kann. Andersrum allerdings ist ein ständiger Geselligkeitszwang auch keine gute Alternative. Was nämlich viel zu oft dahintersteckt, ist ein Weglaufen vor sich selber, vor Zeit mit sich selber, vor echter Reflexion und der Koordination der vielen gegensätzlichen Stimmen im Kopf.