Ich bin jetzt seit über zwei Jahren Mutter und eigentlich könnte man da doch meinen, ich hätte mich längst mit meinem neuen Platz in der Gesellschaft anfreunden müssen. Das Problem ist aber, dass ich, zumindest gefühlt, noch nicht einmal einen richtigen Platz habe. Weil ich nirgendwo richtig reinpasse, jedenfalls in den Köpfen der anderen nicht. Natürlich überspitze ich das Ganze im Folgenden zur Verdeutlichung meines Anliegens und schiebe die Ausnahmen, meine engsten Freunde etwa, für die ich einfach Nike war, bin und bleibe, ganz frech beiseite. Obwohl das so natürlich auch nicht ganz richtig ist. Freitags werde ich in der Abendplanung nämlich hin und wieder vergessen.
Vor allem seit ich, verzeiht mir bitte diesen Terminus, „Single Mom“ bin. Also getrennt lebend vom Vater meines Kindes. Und da wären wir schon beim ersten richtigen Knackpunkt angelangt. Wenn man sich nämlich dazu entscheidet, dass alle drei Beteiligten der Familienkonstellation glücklicher wären, wenn Mama und Papa jeweils ihre eigenen Wege gehen, dann blickt man zunächst einmal in große Augen. Wegen der vermeintlich gigantisch-egoistischen Intentionen, denn für die Allgemeinheit scheint es außer Frage, dass eine Bullerbü-Kindheit trotzdem möglich ist. Ich sage zu meiner Verteidigung dann manchmal überflüssige Dinge wie „Ja, aber ich bin ja nicht alleinerziehend.“ Bloß folgt dann alsbald der nächste Gegenschlag, im Prinzip habe ich ohnehin nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich bin die arme Sau ohne Kindespapa im meinem Bett, oder one lucky bitch, weil ich durch das 50/50-Modell ja so unverschämt viel Zeit für mich alleine habe, hach.
Der goldene Mittelweg, nämlich der Umstand, dass ich unsere Lösung wirklich klasse finde und trotzdem hin und wieder von kleinen und großen Vermissungs-Anfällen geplagt werde, bleibt mir meist vergönnt. Genau wie Sympathien anderer Mütter mir selbst gegenüber. Ich habe nämlich einen Sohn, den ich morgens gelegentlich wecken muss, damit wir pünktlich zum Morgenkreis in der Kita ankommen. Einen Durchschläfer also, einen, der nicht oft krank ist, wenig weint und sich nur selten beschwert. Und auch sonst fällt mir nicht viel Grund zur Beschwerde ein, bloß für das Sitzenbleiben am Abendbrottisch fehlt mir offenbar jegliche Autorität. Wie ich meinem Kind erklären soll, dass man mit weißen Stiften nicht auf schwarzen Stühlen herumkritzeln darf, obwohl das nunmal ganz offensichtlich der einzige Untergrund in der ganzen Wohnung ist, auf dem das Malen mit papierfarbenen Utensilien überhaupt Sinn ergibt, weiß ich übrigens auch nicht. Aber das wars dann auch schon.
Was dazu führt, dass mir der Stoff für Konversationen in vielen nicht-befreundeten, sondern nur entfernt bekannten Mütterrunden fehlt. Ich meine sogar schon mal so etwas wie aufrichtig aufbrodelnden Hass in meinem Gegenüber vernommen zu haben, dabei schwöre ich hoch und heilig, kein selbstgefälliger Großkotz zu sein. Ganz im Gegenteil, ich bin sogar überaus mitfühlend, ganz ehrlich, ich würde am liebsten stundenlang Händchen halten und zuhören, aber das zählt nicht, weil ich ja nicht mitreden kann. Was stimmt, aber für Empathie braucht es manchmal keine Erfahrung. Als Lio, so der Name meines Sohnes, Anfangsschwierigkeiten während der Eingewöhnung in seine neue Kita hatte, ertappte ich mich tatsächlich dabei, das Problem in Gegenwart von anderen Kitaelten ein wenig aufzubauschen – plötzlich erntete ich ahs und ohs und, ihr glaubt es nicht, echte Sympathien. Beinahe hätte ich mich durch diese Anteilnahme sogar auf gelegentliche Beschwerdereden konditionieren lassen. Aber da war einfach nichts mehr, über das ich hätte schimpfen können. Außer eben über andere Eltern, so leid es mir tut.
Ich wünschte wirklich, ich könnte häufiger vom superduper Support untereinander reden und das Miteinander loben. Aber sowas wie Loyalität erfahre ich wirklich nur im engsten Kreis und an der Supermarktkasse, wenn ich einarmig versuche, meinen Pin schneller in das EC-Gerät einzugeben, als Lio mit seinen Patschehänden dazwischen funken kann. Ansonsten habe ich tendenziell eher das Unglück auf Menschen zu treffen, denen es offenkundig gut tut, wenn die Scheiße bei anderen kurz vor dem Überkochen ist. Warum, das weiß die Psychologie am besten, schön ist es trotzdem nicht. Es ist ja nicht so, als hätte ich beim Aufeinandertreffen von Eltern nicht auch schonmal fiese Gedanken in die andere Richtung gehabt, nämlich dass mir das permanente Gejammere und Schwadronieren über vorgepresste Rollenbilder in extremen Extremfällen zuweilen wirklich auf die Nerven geht. Aber mittlerweile überwiegt das Schuldgefühl. Ich habe ja auch noch eine Jungen auf die Welt gebracht! Die sind, falls ihr das noch nicht wusstet, sowieso viel gelassener, kein Vergleich zu fordernden Mädchen. Aber halt, wartet ab, das Zweite wird sicher anstrengender. Ich will ja aber vermutlich gar kein zweites Kind! Schon wieder ein Problem. Dann kann ich nämlich niemals wirklich wissen, wie der echte Mutterhase überhaupt durch den Alltag läuft.
Wo ich gerade ohnehin schon so in Fahrt bin, können wir auch gleich zu meinem Alter kommen. Mit 26 Jahren habe ich mein Frühchen zu Welt gebracht. Wenn Kinder Kinder kriegen. Das denken vor allem ältere Herrschaften auf dem Bürgersteig, wenn Lio an meiner Hand rückwärts geht und sich offenbar nicht im Griff hat. Oder eher: Wenn ich ihn nicht im Griff habe. Dabei kenne ich keinen Erziehungsratgeber, der das permanente Vorwärtslaufen als ultimative Maxime vorschreibt. Jetzt stellt euch aber mal vor, ich würde auch nur ein einziges kritisches Wort über helikopterne, Foren-durchkämmende Spätgebärende verlieren! Die gibt es nämlich wie Sand am Meer. Oder über jene, die sich nicht nur auf gesunde Art und Weise, sondern echt andauernd darüber ärgern, wie hart das alles mit mehreren Kindern ist – wobei man es sich doch zwangsläufig selbst ausgesucht hat und durchaus hätte ahnen können. Aber warum sollte ich mich überhaupt über jene echauffieren, die die Dinge etwas anders halten als ich. Ich habe keinen Grund dazu, jeder will im besten Fall doch auch nur das Beste für sein Kind und das Leben und das gilt es zu akzeptieren, ohne wenn und aber. Andersrum scheint da aber keine wirkliche Hemmschwelle zu existieren.
Man traute mir auch nur bedingt den Kitadienst zu, als drei Kindergärtnerinnen gleichzeitig von einer Magendarmgrippe dahin gerafft wurden, und zwar ohne bis dato auch nur einziges Wort mit mir gewechselt zu haben. Am Ende waren alle glücklich, aber auch überrascht: Ich kann ja wirklich Verantwortung übernehmen. Das hingegen bezweifeln offenbar auch Kinderlose. Die fragen mich Samstagabends an der Bar nämlich hin und wieder ganz verstört, wo denn mein Sohn jetzt gerade sei. „Der macht meine Steuern“, antworte ich inzwischen – in der Gewissheit, mich wohl noch eine sehr lange Zeit lang Platz-los durchs Leben stehen zu müssen.