Fair Beauty // Im Gespräch mit „i+m Naturkosmetik Berlin“ über Kosmetik, Nachhaltigkeit & Engagement

07.04.2017 Beauty, box2

Die Naturkosmetikmarke i+m wird vermutlich jedem da draußen in irgendeiner Form schon mal über den Weg gelaufen sein: Im Bioladen des Vertrauens vielleicht oder in einem gut sortierten dm. Wenn ihr bislang an den bunten Flaschen mit dem großen Pluszeichen vorbei gelaufen seit, empfehlen wir euch an dieser Stelle, noch mal zurück zu gehen, denn da steckt mehr drin, als ich bislang vielleicht dachtet. Ich selbst habe meinem Freund erst kürzlich übrigens das Bartöl für meine kaputt blondierten Spitzen stibitzt und meine trockene Nagelhaut mit dem 100% Sheabutter i+m Balm eingeschmiert. Was ich zuvor aber nicht ahnte: Dass das Brand ein kleines aber äußerst feines Pionierunternehmen nahezu in allen Bereichen ist.

Als ich also herausfand, dass die Kosmetikmarke neben der Bio-Bewegung auch aus der Frauenbewegung entstanden ist, ganze 40 Prozent der Gewinne von i+m in öko-faire Projekte fließen, die Unternehmensgründerin Inge Stamm, zwar nicht mehr aktiv tätig, aber eine überzeugte Feministin ist und bereits in den 70er Jahren für die Rechte der Frauen auf vielen Ebenen gekämpft hat, war ziemlich schnell klar, dass ich euch diese Beauty-Marke nicht länger vorenthalten kann:

Vor ein paar Wochen traf ich schließlich in einer Remise im Prenzlauer Berg, da wo die verdammt sympathische Marke ihren Sitz hat, endlich Jörg von Kruse, einen der Geschäftsführer von i+m und fand nicht nur heraus wie und wo die Produkte hergestellt werden, ob i+m jemals Dekorative Kosmetik herausbringen wird, sondern vor allem und das ist noch viel wichtiger, wie sie zum Thema Feminismus als Werbeinstrument stehen, warum es nicht reicht, bloß ein gutes Produkt auf den Markt zu bringen und warum sich mehr Männer zum Feminismus bekennen sollten.

Aber lest einfach selbst:

Wir stolpern immer wieder über die biozertifizierten Produkte von i+m Naturkosmetik? Kurz und knapp: Woher kommt die Marke und welches Konzept steckt genau dahinter?

i+m NATURKOSMETIK BERLIN ist ein Pionierunternehmen der Bio- und Naturkosmetikbranche und schon seit 1978 aktiv. Mit den Unternehmenswerten FAIR ORGANIC VEGAN verbinden wir Ökologie, soziales Engagement und modernen Lifestyle: Sämtliche Produkte sind nach dem höchsten Standard für Bio-Kosmetik COSMOS ORGANIC und dem Siegel der Vegan Society zertifiziert. Wir verwenden ausschließlich kaltgepresste Öle, keine Konservierungsstoffe und sind eine der Kosmetikmarken mit dem höchsten Fair-Trade Anteil in ihren Produkten. 40 Prozent der Gewinne von i+m fließen in öko-faire Projekte, unter anderem in das erste Frauenhaus Sambias in Ostafrika.

Gegründet von Inge Stamm, habt ihr Männer das Business irgendwann übernommen: Wie schafft ihr es, die Bedürfnisse für weibliche Kundinnen weiterhin nachzuvollziehen – oder birgt die Außensicht gar eine Chance?

Wir Männer sind ja nicht allein bei i+m bzw. doch, eigentlich schon – nämlich allein unter Frauen. Anders gesagt: Bei i+m arbeiten überwiegend Frauen und somit ist für die Bedürfnisse der weiblichen Kundinnen gut gesorgt. Hinzu kommt, dass die Entscheidungen nicht von mir und meinem Partner getroffen werden: Wir sind nach einem selbstführenden System organisiert. Es bestehen fast keine Hierarchien, das bedeutet jede*r Mitarbeiter*in kann in seinem Bereich weitestgehend selbst entscheiden, Anregungen bei anderen einbringen oder andere im Team um Rat bitten. Konkret bedeutet es, dass alle bei uns bei der Konzeption neuer Produkte mitwirken.

Wow, da seid ihr aber vielen anderen Unternehmen weit voraus, Chapeau! Ihr engagiert euch aber nicht nur für eure Mitarbeiter*innen, sondern auch stark im Bereich „Sozialer Verantwortung“ und stellt nicht nur biozertifizierte Kosmetik her, sondern setzt euch eben auch stark für Frauen ein. Seit wann und woher kam dieser Gedanke? 

i+m ist neben der Bio-Bewegung maßgeblich auch aus der Frauenbewegung entstanden. Unsere Unternehmensgründerin Inge Stamm war und ist eine überzeugte Feministin und hat bereits in den 70er Jahren für die Rechte der Frauen auf vielen Ebenen gekämpft. Von Beginn an hat sich daher i+m für Frauenthemen eingesetzt. Da war es nur konsequent, vor gut zwei Jahren das erste Frauenhaus Sambias ins Leben zu rufen.

Es ist ein viel diskutiertes Thema, Feminismus als Werbeinstrument zu benutzen und ihn als Botschaft für den Konsum zu missbrauchen. Wie steht ihr dazu?

Da sprichst du für mich ein sehr wichtiges Thema an: Ich würde die Frage aber noch grundsätzlicher formulieren: Inwieweit ist es überhaupt legitim als Unternehmen mit ethischen Themen Marketing zu betreiben? Ich stelle mir dann immer drei Fragen und nur wenn ich sie alle mit ja beantworten kann, finde ich es ok: 1. Engagieren wir uns wirklich aus Überzeugung? 2. Tun wir ausreichend für unser Engagement? Und 3. kommunizieren wir dies in angemessener, nicht übertriebener Art und Weise?

Viele Unternehmen engagieren sich leider nur für ethische Themen, weil sie glauben, damit Geld verdienen zu können. Sie tun möglichst wenig, aber bauschen dann ihr Engagement maximal auf. Wir machen es bei i+m umgekehrt: Tue viel Gutes und rede nicht mehr darüber als notwendig.

Euer Plädoyer, warum sich mehr Männer zum Feminismus bekennen sollten:

Sehr gerne und aus voller Überzeugung! Letztendlich, weil mehr weibliche Qualitäten unserer Gesellschaft auf allen Ebenen gut tun würden. Zum einen weil Frauen oft weniger abgetrennt und nicht so stark im Kopf sind als Männer. Sie geben Gefühlen mehr Raum und fällen Entscheidungen oft intuitiver. Genau diese Qualitäten braucht es in Zukunft, wenn wir nicht bald komplett als Gattung von diesem Planeten verschwinden wollen. Und ich bekenne mich auch als Mann zum Feminismus, weil wir Männer in einer weniger männerdominierten Gesellschaft unsere weiblichen Qualitäten besser leben könnten, die wir ja alle mehr oder weniger ausgeprägt besitzen.

i+m unterstützt mit 40 Prozent der Gewinne gemeinnützige Projekte aus dem öko-sozialen Bereich. Wie ist es überhaupt möglich mit nur 60 Prozent des Gewinns ein Unternehmen zu führen? 

Das hat viele Gründe. Es hat zum einen mit Bescheidenheit zu tun. Bernhard von Glasenapp und ich als Gesellschafter entnehmen fast keine Gewinne, weil es uns primär darum geht, mit i+m dem Gemeinwohl und nicht Profitinteressen zu dienen. Und auch als Geschäftsführer verdiene ich weniger als die meisten unserer Beschäftigten. Der andere wichtige Grund ist, dass wir das Ziel eines organischen Wachstums verfolgen: D.h. wir wachsen nicht maximal an der Nachfrage orientiert, sondern nur so schnell, wie wir das Wachstum aus selbst erwirtschafteten Mitteln finanzieren können. Durch unser soziales Engagement wird dieser Prozess zwar weiter verlangsamt, aber irgendwie hat es bisher immer funktioniert. Der immense Vorteil an dieser Strategie ist, dass wir so vollkommen unabhängig von Banken und Investoren bleiben. So erhalten wir unsere Autonomie und können frei nach unseren Überzeugungen entscheiden.

Kannst Du dafür ein Beispiel geben?

i+m hat sich vor 3 Jahren selbst verpflichtet ausschließlich Fair Trade Rohstoffe einzusetzen, insofern sie am Markt verfügbar sind. Das hat die Herstellung unserer Produkte erheblich verteuert, ohne das wir diese Mehrkosten in voller Höhe an die Kunden weitergeben konnten. Dennoch sind wir überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, weil sie unserer ethischen Ausrichtung entspricht. Würden wir hingegen den Profitinteressen von Banken und Investoren unterliegen, wäre solch eine Entscheidung nicht möglich gewesen.

Warum reicht es nicht aus, bloß ein gutes Produkt auf den Markt zu bringen?

Das möchte ich mit einer Gegenfrage beantworten: Was ist denn ein gutes Produkt? Wir leben in einer Überflussgesellschaft, die mit ihrem Konsumwahn unseren Planeten ruiniert. Ich bin der Überzeugung, dass wir vor allem weniger und nicht nur anders konsumieren sollten. Als Unternehmer stelle ich mir daher immer wieder die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, weitere Produkte in die Welt zu bringen. Meist beantworte ich die Frage pragmatisch: Wenn schon nicht weniger konsumiert wird, sollen die Menschen dann wenigstens ein Produkt kaufen, das die Themen Umwelt, Tierschutz, soziale Gerechtigkeit und Gesundheit in den Vordergrund stellt. Denn es schadet weniger als konventionelle Produkte und kann vielleicht sogar einen kleinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten.

Arganöl Herstellung in Marokko

Das i+m Bart Öl mit Argan Lemongras

Erzähl doch mal, wo kommen die Rohstoffe her und wo werden die Produkte hergestellt?

Unsere Philosophie ist es, nur die besten natürlichen Rohstoffe zu verwenden, die von Frauen der verschiedensten Kulturen über viele Jahrhunderte in der Naturkosmetik eingesetzt wurden und sich bewährt haben. Unsere Rohstoffe kommen daher aus der ganzen Welt.

Unser Unternehmen ist ein wenig verstreut über Berlin und sein Umland: Unsere kleine Firmenzentrale befindet sich in einer Remise im Prenzlauer Berg. Hergestellt werden die Produkte im Berliner Umland. Unser Lager und den Versand haben wir kürzlich zur Stiftung Schloss und Gut Liebenberg in den Norden Brandenburgs verlegt, die sich um die Beschäftigung von behinderten Menschen kümmern.

Aprikosenkernöl Herstellung in Pakistan

Aber ihr arbeitet doch auch mit vielen Rohstoffproduzenten aus fernen Ländern, ist das richtig? Wie stellt ihr sicher, dass die Qualität und Arbeitsbedingungen eurer Markenausrichtung entspricht? 

Grundsätzlich verwenden wir nur Rohstoffe, die eine anerkannte Bio- und wenn möglich auch Fair Trade Zertifizierung besitzen. Eine Ausnahme hiervon machen wir, wenn die Projekte noch zu klein sind, um sich die teuren Zertifizierungen zu leisten. Normalerweise besuchen wir dann die Projekte und machen uns ein Bild vor Ort. Das entspricht ohnehin unserer Philosophie, einen möglichst direkten Kontakt zu unseren Lieferanten zu haben. Wenn auch dies nicht möglich ist, müssen uns die Projekte detailliert und glaubhaft belegen, dass sie Bio- und Fair Trade Standards erfüllen.

Berlin Bernhard von Glasenapp, Beatrice und Jörg von Kruse in Sambias in Ostafrika

Naturkosmetik erlebt gerade einen ziemlich großen Hype, an dem ihr sicherlich nicht ganz unschuldig seid: Wie schafft ihr es trotzdem, euch immer wieder abzugrenzen und Neues zu wagen. Und wie sieht das konkret aus?

Konkret bedeutet das: Wir sind in vielen Bereichen innovativ, sowohl was Produkte und deren Inhaltsstoffe betrifft, als auch alles rund um die Themen Nachhaltigkeit, Frauen, sowie die Vegan- und Fair Trade-Ausrichtung. Daher werden wir viel kopiert. Darüber könnten wir uns ärgern, tun wir aber nicht. Einerseits spornt es uns an und macht Freude neue Ideen zu entwickeln und andererseits möchten wir, dass sich diese Themen mehr durchsetzen und auch Unternehmen ihr Wissen stärker teilen.

In der Mode gibt’s immer wieder die Frage nach der Inspiration. Wie sieht das im Beauty-Bereich aus: Wie wichtig sind Trends und Bewegungen aus der Lifestyle- und Kosmetikbranche für i+m und für die neuen Produkte?

Natürlich spielen Lifestyle-Trends für uns eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Produkte. Aber es ist nicht so, dass wir uns die Trends anschauen und dann dafür Produkte produzieren. Vielmehr sehe ich i+m als Unternehmen und auch das Team als integralen Bestandteil des Zeitgeistes, der uns beeinflusst. Da wir viel im Bereich des green Lifestyle unterwegs sind, nehmen wir auch viel davon in uns auf. Und wenn wir uns an die Produktentwicklung machen, sind wir hiervon beeinflusst und inspiriert.

Kannst du mir noch sagen, für wen die Produkte genau sind oder wen sollen sie genau ansprechen?

Um ehrlich zu sein, kann ich diese Frage nicht beantworten, da sie nicht meiner Perspektive entspricht. Wer sich auf Zielgruppen fokussiert, stellt Produkte für die vermeintlichen Wünsche anderer her, aber nicht Produkte, die in erster Linie seiner Überzeugung entsprechen. Aber genau um das geht es uns. Wir können als Unternehmen letztendlich nur glaubwürdig und authentisch sein, wenn wir die Produkte ausschließlich nach unserer Überzeugung und unserem Geschmack herstellen. Wenn den Menschen aus genau den Gründen unsere Produkte gefallen, freut uns das natürlich. Und wenn nicht, dann sollte man kein Unternehmen führen. Ich finde ein Unternehmen sollte aus Leidenschaft und nicht primär aus Profitinteresse betrieben werden.

Es gibt aktuell nur Pflegeprodukte bei i+m. Denkt ihr auch über dekorative Kosmetik nach? 

Nein. Wir sind ein kleines Unternehmen und haben mittlerweile fast 40 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von natürlichen Pflegeprodukten. Wenn wir uns dem Bereich dekorative Kosmetik zuwenden würden, ginge das zu Lasten unserer Kernprodukte, was wir nicht wollen. Ohnehin haben wir nicht das Ziel möglichst groß zu werden und möglichst viele Produkte anzubieten.

Ein wichtiges Anliegen eurerseits, das nicht unerwähnt bleiben darf!

Das ökologisch sinnvollste Verpackungskonzept ist, „keine“ Verpackung zu verwenden. Daher verzichten wir seit 1978 konsequent auf jede Form von Umverpackung. Dieses Konzept ist zwar nicht neu und doch innovativ in einer Zeit, in der er es bei vielen Kundinnen und fast allen Naturkosmetikherstellern in Vergessenheit geraten ist. Die Herausforderung besteht hier nicht so sehr in verpackungstechnologischer Hinsicht, sondern im Design und der ethischen Haltung: Wie schaffe ich es ein hochwertiges Kosmetikprodukt auch hochwertig aussehen zu lassen, ohne eine Umverpackung zu verwenden? Zum anderen muss ich als Unternehmen bereit sein für meine Überzeugung einzustehen und auf Umsatz zu verzichten, wenn Kundinnen eine hübsche, aber überflüssige Umverpackung für unverzichtbar halten.

Zum Schluss: Was ist eure Vision für i+m und wohin soll die Reise weiterhin gehen?

Unsere Vision ist eine faire und nachhaltige Ökonomie, die unsere Umwelt und natürlichen Lebensgrundlagen erhält. Dies kann nur gelingen, wenn wir neben einem Ressourcen schonenden Umgang mit der Natur auch die Strukturen unseres Wirtschaftens verändern: weg von Egoismus und Konkurrenz, hin zu einem fairen, auf das Wohl aller Menschen ausgerichteten Miteinander. Als kleines Unternehmen können wir die Welt nicht grundlegend verändern. Aber mit unseren überwiegend nachhaltig ausgerichteten Kunden haben wir das Glück, als ein „Labor“ zu fungieren. So können neue Modelle des nachhaltigen Wirtschaftens ausprobiert werden und im Falle ihres Gelingens als Inspiration für andere und insbesondere große Unternehmen dienen.

Danke, Jörg von Kruse – für dieses Gespräch und für deine Zeit!

3 Kommentare

  1. Melanie

    i + m hat mich schon mehrmals überzeugt, dass 40% der Gewinne in öko-faire Projekte investiert werden, wusste ich allerdings noch nicht. Toll! Danke für das interessante Interview!

    Liebst, Melanie

    Antworten
    1. Elina

      Liebe Melanie,
      und wenn du die Menschen kennenlernen würdest, die für das Unternehmen arbeiten….. ach, die sind alle so toll da, kein Wunder bei der Einstellung und die Produkte sind auch ein Träumchen!
      xo
      Elina

      Antworten

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