Gar nichts wird sich ändern, wenn ich groß bin, habe ich vor zweidreiviertel Jahren mit aller Kraft behauptet, nachdem mir kurz zuvor ein Minibaby auf die berggroße Milchbrust gelegt wurde, ganz so wie ein kleiner Fels der Weisheit, den man zwischen zwei weiche Kamelhöcker klemmt, um ihn in die Welt hinaus zu schicken. Auf dass er für mehr Gleichgewicht sorge. Mein eigener Sohn war das, bis dato sogar ein namenloser, denn die zuständige Ärztin attestierte mir noch am Morgen zuvor mindestens sieben weitere Wochen Vogelfreiheit, in der felsenfesten Annahme das Bauchweh käme vom Brechdruchfall. „Nunja junge Dame“, sagte sie damals, „das ist der Lauf der Dinge – wenn man Mutter wird, fühlt sich plötzlich alles ganz anders an.“ Blah, dachte ich noch bis ins Mark erbost, während mir auf dem Krankenhausflur ein bisschen Pipi vor Verzweiflung kam. Sie hatte sich vertan. Behielt am Ende aber doch ein bisschen Recht. Seit Lio, der außerdem Jonathan heißt (wie die Möwe, die alles erreichen kann, was sie wirklich will) ein Teil von mir ist, fühlt sich überhaupt gar nichts mehr wie vorher an. Es ist sogar alles anders. Aber nicht etwa, weil ich jetzt Mama bin. Sondern weil ich es so will und noch dazu weiß, was ich überhaupt nicht mehr will. Genau das ist dann wohl der Unterschied zwischen Vorurteil und Wirklichkeit. Nicht die Dinge ändern sich, sondern wir verändern uns. Aber keine Panik. Nichts ist vorüber, alles ist bloß echter.
Die Leute flöten ja tatsächlich noch immer überflüssige Glückwünsche wie „Jetzt ist dein Leben vorbei“ in die schwangere Welt hinaus, aus heimlich ernst gemeintem Spaß natürlich, aber die spinnen. Wenn dieses Leben auch nur ansatzweise am Grad des Lebendigfühlens gemessen wird, dann war ich selten so alive. Man muss das ja erstmal überleben. Das Unvorhersehbare, das Verrückte, das permanente Dasein, das Rüsselohr, das ständig ins Beistellbettchen schlappt, die Neuordnung aller Dinge, die zusammengefasst mal Alltag und oft auch Abhängen hießen. Klar ist man fertig, mal mit den Nerven, mal mit Menschen, mal mit Körperhygiene, mal mit allem zugleich. Mein physischer Verfall war selten so präsent wie in den ersten Monaten mit Kind, mein Hirn noch nie so abwesend, aber dafür war das Herz auch noch sie so sehr da. Obwohl – stimmt gar nicht. Bei mir war das ein bisschen anders. Nach etwa einem ganzen Jahr als Mama kündigte sich zunächst eine kleine Quaterlife-Krise an, sowas wie eine vorerst letzte Probe vielleicht, und schnell darauf eine ganz neue Ära der (Glück)Seligkeit. Das war auch der Moment, indem ich zur waschechten Mutter wurde, nämlich als ich an der Supermarktschlange mit der rechten Hand einen Energy Drink umschlang und mit der linken ganz liebevoll eine Haferflockenpackung in den Schlaf wiegte.
Irgendwann akzeptiert man, statt zu verzweifeln, man versöhnt sich mit der Nostalgie und erkennt, dass die meisten Dinge, die man im ersten Augenblick vermisst, dieselben sind, deren Abwesenheit zutiefst heilsam sein kann. Man begreift, dass man sich neu sortieren, aber nicht verlieren muss. Man findet sich sogar mehr denn je. Es hat auf einmal bloß alles seine eigene Zeit. Und damit auch großen Wert: Das Matschepfützenspringen genauso wie der Kurze am Tresen der Jugend, die niemals stirbt, solange wir jung sind. Aber Eltern sind doch voll spießig, denken jetzt viele. Keineswegs. Eltern können zuweilen sogar die schlimmschönsten Lümmel von allen sein. Man kann sich das ein bisschen so vorstellen wie ein immer wiederkehrenden Abiurlaub. Wer oft diszipliniert sein muss, zieht irgendwann den Stöpsel und dreht doppelt frei. Nicht oft, weil helle Tage vollgepackt mit Abenteuer plötzlich wichtiger werden als nie enden wollenden Nächte. Aber wenn, dann loco forever. Humor hilft übrigens immer. Wahrscheinlich sogar nichts anderes. Und so kommt es, dass man irgendwann denkt, man sei verrostet und öde wie Frau Müllers dicker Dackel. Dann aber macht es mit Pauken und Trompeten Kabumm und das Leben stülpt sich von ganz allein auf links. Es wird dadurch nicht falsch, sondern nur etwas schräg und zuweilen sogar besser. Nicht besser als ohne Kind, aber in etwa so besser, wie es besser werden sollte, irgendwann, wenn man ankommt. Vorher heißt es trotzdem: Durchbeißen.
12 Monate lang war ich mindestens so müde wie gelangweilt, so viel Ehrlichkeit muss sein. Ein Neugeborenes macht ja weder Witze noch Schlaues oder Dummes, es ist einfach nur da und süß und manchmal auch ein bisschen verdrießlich. Aber dann wirds plötzlich wild und wunderbar, mit jedem Tag ein bisschen mehr. Man lernt das eigene Kind kennen und sich selbst und was Glück bedeutet. Wer man sein will und was man von der Welt erwartet. Ein Kind ist vielleicht wirklich so etwas wie ein lebendiger Stein der Weisheit, mit eigenem Kopf und waghalsigen Träumen. Einer, der fortan fast immer dabei sein wird, von dem du aber auch Pausen brauchst, obwohl du ihn trotzdem ganz rasch vermisst. Und vor allem einer, der dir die Welt viel schillernder erklären kann, als du dir selbst. Und die Freunde? Die Freizeit? Das Freisein? Ich kenne ja die Angst, das einem all das wie trockener Sand durch die Finger rinnt. Aber was wirklich Essenz hat, hält man fest. Dafür kämpft man. Ich glaube, ausgenommen aller unvorhersehbaren Schicksalsschläge oder Sondersituationen, ist man tatsächlich seines eigenen Glückes Schmied. Man darf es sich nur nicht allzu bequem machen. Dann ist es gar nicht schwer, einen Weg zu finden, all das zu vereinen, was man liebt. Wie genau das bei mir funktioniert, das erzähle ich beim nächsten Mal. Heute ist bloß wichtig, dass sich mit einem Kind beinahe alles ändern wird. Aber keine Angst. Mit dem eignen Kind wächst auch das innere ins Unermessliche. Und wo sich eine alte Tür schließt, öffnen sich in diesem speziellen Fall über hundert neue. Man muss nur endlich aufstehen und einfach mal durchlaufen.