Scalamaris Welt //
Besuch, schön, dass du wieder weg bist.

25.07.2017 box1, Kolumne, Leben

Sommerzeit, Reisezeit, Welt erkunden, Kurztrips, bei flüchtigen Bekannten auf dem Sofa unterkommen, in einer anderen Stadt pennen – geil, geil, geil. Aber bitte nicht bei mir!

Du, der du den Berliner Sommer besuchen möchtest, komm vorbei, wir ziehen um die Häuser – die ganze Nacht lang wenns sein muss, allerdings – Obacht – nur unter der Prämisse, dass du offiziell außerhalb meiner vier Wände eincheckst. Versteh mich nicht falsch, ich freue mich, dass du aus Darmstadt, Wien oder London endlich mal zu Besuch kommst, wir unternehmen richtig schöne Dinge, essen Eis bis wir platzen bei Hokey Pokey und füllen uns Abends beim Italiener umme Ecke mit Wein voll. Ich stell dich meinen Freunden vor, wir fahren mit dem Roller von Prenzl’Berg nach Neukölln und wieder zurück und gurken über die Spree wie arme Irre, aber nur unter der Bedingung, dass es zumindest immer die Option gibt, dass du jederzeit wieder in deinen Tanzbereich und ich in meinen abzischen kann.

Sonst, und das habe ich nun schmerzlich gelernt, drängt mich die fehlende Wahlmöglichkeit nämlich dermaßen in die Ecke, dass für dich die ernsthafte Gefahr besteht, in kürzester Zeit mein Hassobjekt Numero Uno zu werden. Und das wollen wir ja nun beide nicht. Es ist  simpel: Ich brauche Ruhe -und Rückzugsmöglichkeit. Ist das noch normal oder bin ich schon verschroben? Kautzig? Einsame Katzenlady lässt grüßen? Oder einfach nur aus dem Couchsurfingalter rausgewachsen? Früher haben doch auch siebzehn Menschen auf dem Boden meiner Einzimmerbude für mehrere Nächte gepasst. Egal. Fest steht, ich bin inzwischen eine Frau mit Bedürfnissen und Ritualen, die durch Besuch unweigerlich in ein gefährliches Ungleichgewicht gebracht werden. Kurz: Nein, du darfst nicht von Freitag bis Dienstag bei mir übernachten, auch wenn ich dich ansonsten wirklich sehr lieb habe. Ich kann dir sogar 30 Mark für dein Airbnb dazu geben. Deal?

Diese Devise steht seit Beendigung des letzten Wochenendes jedenfalls auf mein Türschild eingraviert.

Was mich dabei geritten hat, als ich vor Wochen irgendwann zusagte, männlichen und noch dazu nur flüchtig bekannten Besuch für ein verlängertes Wochenende bei mir aufzunehmen, ist mir vollkommen schleierhaft. Nennen wir es eine Urlaubsbekanntschaft. Und plötzlich steht diese mit Riesengepäck, Dialekt, Helm und angeschnallten Rollerskates aus dem Kontext gerissen auf der Matte – startklar für den Berlintrip seines Lebens, quasi. Schon nach Stunde 2 (Tag eins von vier) hätte ich allerdings lieber Doppelschichten als Fahrkartenkontrolleur in einer überfüllten U8 geschoben, als meine Zeit noch weiter so als Touristenbespaßerin zu opfern. Am Ende von vier gefühlten 30 sau anstrengenden Tagen blieb das Gefühl von nackter, ausgelutschter Distanzlosigkeit und die Erkenntnis, dass ich mein Single (Eremiten)- Leben noch nicht einfach kampflos aufgeben möchte und so bald auch nicht wieder das Feld für eine geteilte Zwangszweisamkeit im Besuchermodus räumen werde.

Nach über 76 Stunden pausenlosen Aufeinanderhockens blieb mir irgendwann nur noch das zermürbende Abwärtszählen der Stunden bis zum Abflug. Gleichzeitig konnte ich dabei auch prima überlegen, was so ein Traumwochenendgast so alles mit sich bringen müsste, der dann doch bei mir übernachten und dann sogar wiederkommen düfte. Wie hinterlässt man Eindruck und verbringt maximal angenehme Zeit mit einer Einsiedler-Berlinerin in den besten Jahren, trotzdem man sie gerade besucht.

Hier kommt die Traumgast-Checkliste für den reibungslosen Aufenthalt in Berlin – bittesehr:

  1. Das klassische Gastgebergeschenk schadet nie – das kann ein Schinken aus deinem Heimatdorf sein, Wurst, egal, die Geste zählt. Binde eine Schleife drum.
  2. Bring ein bisschen Plan mit, was du sehen oder erleben willst oder ein Mindestmaß Begeisterungsfähigkeit, Berlin hat 12 Bezirke, 96 Ortsteile und rund 140 Seen in und um sich drum, die es nebst dem unendlichen Kulturangebot und der Nachtszene zu erkunden gilt. In Berlin kannst du alles jederzeit haben – ja, das ist geil – und macht die Entscheidung aber auch sagenhaft quälend, für alle – jedes Mal. Also hilf ein bisschen mit und gib dem bemühten Gastgeber schonmal eine kleine Richtung, wohin dein kulturelles Interesse gehen könnte oder wofür dein kulinarischers Herz (Geldbeutel) schlägt. Grob. „Mir total egal, mach einfach, was du sonst auch immer machst“ hat in Berlin noch niemanden niemals zu einem guten Wochenende verholfen.
  3. Plane wenigstens eine oder besser noch mehrere Aktivitäten ohne deinen Gastgeber/deine Gastgeberin fest in den Urlaubsplan mit ein – du wirst sehen, Distanz kann euch helfen euch weiterhin lieb zu haben. Frei nach dem Motto „Samstags ab 1 macht jeder seins“, oder so.
  4. Du darfst nach dem Pfannkuchenfrühstück auch ruhig mal den Abwasch übernehmen – why not?  Oder gleich das Pfannkuchenfrühstück #yolo – du hast schließlich nicht immer die Gelegenheit echtes Berliner Geschirr zu waschen (Berliner Bett zu machen, Berliner Müll runterzutragen…)
  5. Bringe nie (aber auch wirklich niemals) deine eigene Drohne mit nach Berlin
  6. Versuche deine Rollerskates zu Hause zu lassen oder zumindest nur im Notfall rauszuholen
  7. Niemand ist dir böse, wenn dreiviertel deiner Reisegarderobe schwarz oder weiß sind. Weniger als Tourist auffallen, ist noch immer die beste Devise nicht nur an der Berghainschlange.
  8. Führerschein, Drive Now Anmeldung, Emmy Anmeldung – wer viel sehen will, muss schnell von A nach B kommen – da heißt es auf Zack sein. Sei auf Zack!
  9. Schätze gut im Voraus ein, ob es sich bei der Einladung nach Berlin wirklich um eine konkrete Einladung in die Wohnung des Einladenden handelt, oder gar nur um eine der Berlintypischen, maximal liebevollen aber auch maximal unverbindlichen Höflichkeitsfloskeln, deren Einladungs-Einlösung nicht unbedingt inkludiert ist.

Schönen Aufenthalt, herzlich willkommen zu Gast bei Freunden in Berlin, fühl dich wie zu Hause!

16 Kommentare

  1. Lena

    haha danke dafür, bin versucht den Artikel an sich selbst einladende Berlingäste zu verschicken 😀

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  2. lia

    BHAHAHA! LIEBE! to the max! Ich hasse Besuch, wir verdienen alle Geld, geht ins Hotel oder airbnb, mir schnuppe. Ich bin da so bei dir! Danke.

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  3. Anni

    Großartig!!
    Nicht nur auf Berlin zu projizieren, sondern auf jeglichen Wochenendbesuch egal wer und egal wo. Man ist doch kein Weekend-Animateur. Die Genervtheit kann ich absolut nachvollziehen.

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  4. franzi

    Hello!
    Kann ich nur unterstreichen.
    Ich lasse mal für eine Nacht gerne jemanden bei mir pennen, aber auch nur dann wenn der-/diejenige einen eigenen Plan für Berlin hat.
    Nur weil man in Berlin wohnt muss man nicht zwangsläufig diese coolen, hippen und super anstrengenden Sachen unternehmen, die eher Tourist als Berliner schreien.
    Bei mir übernachten – für eine, maximal 2 Nächte okay! (Aber bitte die allgemeinen Höflichkeitsregeln beachten und die Wohnung nicht zu einer Sumpflandschaft verkommen lassen).
    Aber bitte nicht enttäuscht sein wenn ich kein Bock auf Berghain habe.

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  5. Christina

    Du sprichst mir aus der Seele! Ich dachte auch schon ich sei irgendwie eigenartig und wollte das nie so laut aussprechen, aber weißt du was, du hast mir Mut gemacht, warum soll man nicht seinen Standpunkt klar vertreten und ein Anrecht auf Rückzug einfordern.

    Dein Text war herrlich zu lesen! Danke!

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  6. Svenja

    Ich wohne zwar in Amsterdam und nicht in Berlin, aber dieser Beitrag hat es definitv auf den Punkt gebracht!

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  7. Flo

    Haha, ich kann’s ein bisschen nachvollziehen, aber auch nicht ganz. Gut gelacht habe ich trotzdem. Ich wuerde schlichtweg nur meinen guten Freunde in meine Wohnung einladen, ganz sicher keine Bekannten von Bekannten. Diese Freunde duerfen ebenfalls deine komplette Ratschlagliste befolgen (ausser dass ich sie gern im Regenbogenoutfit entgegen nehme), das ist doch ganz normale Ettikette, ne? Ich ziehe mich auch sehr gern zwischendrin mal zurueck, um etwas frische, sozialisationsfreie Luft zu tanken, aber mit guten Freunden sollte das ja auch einigermassen gut kommunizierbar sein. Sich irgendwelche Gestalten zur Touri-Uebernachtung aufzuhalsen, die man nicht besonders gut kennt, ist fuer mich auch eher ein Ding von damals-als-ich-noch-20-und-ein-Duracell-Hase-war Zeiten.

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  8. Sara Lux

    So treffend ! Bei uns haben sich auch zu oft Leute selbst eingeladen, vor allem schwierig wenn’s eher Bekannte sind die man schon ewig nicht gesehen hat und gar nicht soo gut kennt. Und die dann mit ihrer Meinung auch nicht hinterm Berg halten: „Fehlt euch denn nicht die Natur ?? Also ich könnte hier nicht leben.. Über Kreuzberg: Hier sieht alles so runtergekommen aus! Was, soviel Miete zahlt ihr ? Wollt ihr nicht langsam Eigentum kaufen?!“ usw usw. Extrem anstrengend/teuer wenn man die X-te Spreefahrt mitmacht, in guter Gastgeber-Manier Frühstücksträume bietet und anschließend Bettwäscheberge bewältigen muss. Mir fällt gerade auf: Ein Gastgeschenk haben mir Übernachtungsgäste noch nie mitgebracht, nur Besucher die eh im Hotel genächtigt haben :)) In diesem Sinne: Danke für diesen Artikel, er spricht mir aus der Seele. Viele Grüße, Sara

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  9. Anne-Marie

    Danke für diesen Artikel, ich musste auch sehr lachen (und habe mich in dem ein oder anderen Moment meiner Berlin-Zeit wiedergefunden), aber es blieb mir ehrlich gesagt ebensosehr im Halse stecken: Hat (die in diesem Land ja sowieso nicht immer groß geschriebene) Gastfreundschaft noch einen Wert? Und warum nicht einfach ganz direkte Kommunikation, vorher und währenddessen anstatt Dampfablassens im Nachhinein? Ich falle wohl etwas aus dem Rahmen und ja, ich weiß, das ist eine Kolumne und nicht wirklich „real life“, aber ein bisschen weniger voreingenommen und „angespannt“ sollte man einem Besucher dieser *wirklich* großartigen Stadt doch entgegentreten können? Immerhin die beste Chance, das Berlin abseits aller gängigen (Feier-/Exzess-/Touri-)Klischees zu zeigen!!!

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  10. Lilli

    Oh Gott, da triffst du absolut einen Nerv bei mir. Wir leben in Südtirol und jeder Idiot, den ich irgendwann mal in der Bim begrüßt habe, meint, dass er auf seinem Italientrip doch mal ganz kurz („Nur 3-4 Nächte, das wär echt super. Es stört uns auch nicht, wenn dein Baby nachts schreit“) vorbei kommen könnte. Als wär airbnb so teuer. Boah, ich platz gleich schon wieder, wenn ich an unseren letzten Besuch denke „Alsooo, wir wollten heute auf den Berg“ -„Ja, da braucht ihr ein AUto“ – „Ach, ich dachte ihr kommt mit, wir kennen uns doch gar nicht aus“….. AAAAHHHH!

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  11. Franziska

    Same here! Ich musste aus meinem Besuchfrust auch lernen – nämlich entweder nein zu sagen oder einfach klare Ansagen zu machen, wie viel Zeit ich mit meinem Besuch nur gemeinsam verbringen kann und möchte.

    Zu deiner Checkliste würde ich noch dringend ergänzen wollen:
    10. Du bist weder Hotelgast noch AirBnb-Mieter, sondern Gast-Mitbewohner auf Kurzzeit – also verhalt dich verdammt noch mal auch so! Kauf einfach mal ein, räum deinen Kram weg, sobald du merkst, dass du dich in der Wohnung ausbreitest und zieh die von dir verschmodelte Bettwäsche nach der letzten Nacht doch einfach selbst ab und schmeiß sie in den Wäschekorb.
    11. Think long term und steck deinem Host bei deiner Abreise aus Dankbarkeit einen Schein zu. Dann stehen die Sterne sicherlich doppel so gut, dass du mal wieder kommen darfst.

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  12. katrin

    Hmm. Wenn der Besuch so nervt – wieso nicht einfach am 2. Tag sagen, dass es so nicht geht und man sein Wochenende anders verbringen möchte?

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  13. Sandra

    Aus Sicht des Besuchers (Ich) kann ich aber auch nur sagen, dass ich selber auch lieber in einem Hotel oder Airbnb bin.. Ich brauche auch die Zeit für mich.
    Geht also beiden Seiten so und ich finde es super, wenn man das auch so offen ansprechen darf, ohne das einer gleich angepieselt ist.. Das ist aber meist din schwierigste Aufgabe dabei finde ich.

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  14. Penelope

    Mein Besuch ist gerade aus der Tür. Gott sei Dank. Schön war’s, ja, aber wiederholen sollten wir das dennoch nicht unbedingt (bald). Danke für diesen netten Artikel, du sprichst mir aus der Seele und bringst mich zum Kichern.

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