Sommerzeit, Reisezeit, Welt erkunden, Kurztrips, bei flüchtigen Bekannten auf dem Sofa unterkommen, in einer anderen Stadt pennen – geil, geil, geil. Aber bitte nicht bei mir!
Du, der du den Berliner Sommer besuchen möchtest, komm vorbei, wir ziehen um die Häuser – die ganze Nacht lang wenns sein muss, allerdings – Obacht – nur unter der Prämisse, dass du offiziell außerhalb meiner vier Wände eincheckst. Versteh mich nicht falsch, ich freue mich, dass du aus Darmstadt, Wien oder London endlich mal zu Besuch kommst, wir unternehmen richtig schöne Dinge, essen Eis bis wir platzen bei Hokey Pokey und füllen uns Abends beim Italiener umme Ecke mit Wein voll. Ich stell dich meinen Freunden vor, wir fahren mit dem Roller von Prenzl’Berg nach Neukölln und wieder zurück und gurken über die Spree wie arme Irre, aber nur unter der Bedingung, dass es zumindest immer die Option gibt, dass du jederzeit wieder in deinen Tanzbereich und ich in meinen abzischen kann.
Sonst, und das habe ich nun schmerzlich gelernt, drängt mich die fehlende Wahlmöglichkeit nämlich dermaßen in die Ecke, dass für dich die ernsthafte Gefahr besteht, in kürzester Zeit mein Hassobjekt Numero Uno zu werden. Und das wollen wir ja nun beide nicht. Es ist simpel: Ich brauche Ruhe -und Rückzugsmöglichkeit. Ist das noch normal oder bin ich schon verschroben? Kautzig? Einsame Katzenlady lässt grüßen? Oder einfach nur aus dem Couchsurfingalter rausgewachsen? Früher haben doch auch siebzehn Menschen auf dem Boden meiner Einzimmerbude für mehrere Nächte gepasst. Egal. Fest steht, ich bin inzwischen eine Frau mit Bedürfnissen und Ritualen, die durch Besuch unweigerlich in ein gefährliches Ungleichgewicht gebracht werden. Kurz: Nein, du darfst nicht von Freitag bis Dienstag bei mir übernachten, auch wenn ich dich ansonsten wirklich sehr lieb habe. Ich kann dir sogar 30 Mark für dein Airbnb dazu geben. Deal?
Diese Devise steht seit Beendigung des letzten Wochenendes jedenfalls auf mein Türschild eingraviert.
Was mich dabei geritten hat, als ich vor Wochen irgendwann zusagte, männlichen und noch dazu nur flüchtig bekannten Besuch für ein verlängertes Wochenende bei mir aufzunehmen, ist mir vollkommen schleierhaft. Nennen wir es eine Urlaubsbekanntschaft. Und plötzlich steht diese mit Riesengepäck, Dialekt, Helm und angeschnallten Rollerskates aus dem Kontext gerissen auf der Matte – startklar für den Berlintrip seines Lebens, quasi. Schon nach Stunde 2 (Tag eins von vier) hätte ich allerdings lieber Doppelschichten als Fahrkartenkontrolleur in einer überfüllten U8 geschoben, als meine Zeit noch weiter so als Touristenbespaßerin zu opfern. Am Ende von vier gefühlten 30 sau anstrengenden Tagen blieb das Gefühl von nackter, ausgelutschter Distanzlosigkeit und die Erkenntnis, dass ich mein Single (Eremiten)- Leben noch nicht einfach kampflos aufgeben möchte und so bald auch nicht wieder das Feld für eine geteilte Zwangszweisamkeit im Besuchermodus räumen werde.
Nach über 76 Stunden pausenlosen Aufeinanderhockens blieb mir irgendwann nur noch das zermürbende Abwärtszählen der Stunden bis zum Abflug. Gleichzeitig konnte ich dabei auch prima überlegen, was so ein Traumwochenendgast so alles mit sich bringen müsste, der dann doch bei mir übernachten und dann sogar wiederkommen düfte. Wie hinterlässt man Eindruck und verbringt maximal angenehme Zeit mit einer Einsiedler-Berlinerin in den besten Jahren, trotzdem man sie gerade besucht.
Hier kommt die Traumgast-Checkliste für den reibungslosen Aufenthalt in Berlin – bittesehr:
- Das klassische Gastgebergeschenk schadet nie – das kann ein Schinken aus deinem Heimatdorf sein, Wurst, egal, die Geste zählt. Binde eine Schleife drum.
- Bring ein bisschen Plan mit, was du sehen oder erleben willst oder ein Mindestmaß Begeisterungsfähigkeit, Berlin hat 12 Bezirke, 96 Ortsteile und rund 140 Seen in und um sich drum, die es nebst dem unendlichen Kulturangebot und der Nachtszene zu erkunden gilt. In Berlin kannst du alles jederzeit haben – ja, das ist geil – und macht die Entscheidung aber auch sagenhaft quälend, für alle – jedes Mal. Also hilf ein bisschen mit und gib dem bemühten Gastgeber schonmal eine kleine Richtung, wohin dein kulturelles Interesse gehen könnte oder wofür dein kulinarischers Herz (Geldbeutel) schlägt. Grob. „Mir total egal, mach einfach, was du sonst auch immer machst“ hat in Berlin noch niemanden niemals zu einem guten Wochenende verholfen.
- Plane wenigstens eine oder besser noch mehrere Aktivitäten ohne deinen Gastgeber/deine Gastgeberin fest in den Urlaubsplan mit ein – du wirst sehen, Distanz kann euch helfen euch weiterhin lieb zu haben. Frei nach dem Motto „Samstags ab 1 macht jeder seins“, oder so.
- Du darfst nach dem Pfannkuchenfrühstück auch ruhig mal den Abwasch übernehmen – why not? Oder gleich das Pfannkuchenfrühstück #yolo – du hast schließlich nicht immer die Gelegenheit echtes Berliner Geschirr zu waschen (Berliner Bett zu machen, Berliner Müll runterzutragen…)
- Bringe nie (aber auch wirklich niemals) deine eigene Drohne mit nach Berlin
- Versuche deine Rollerskates zu Hause zu lassen oder zumindest nur im Notfall rauszuholen
- Niemand ist dir böse, wenn dreiviertel deiner Reisegarderobe schwarz oder weiß sind. Weniger als Tourist auffallen, ist noch immer die beste Devise nicht nur an der Berghainschlange.
- Führerschein, Drive Now Anmeldung, Emmy Anmeldung – wer viel sehen will, muss schnell von A nach B kommen – da heißt es auf Zack sein. Sei auf Zack!
- Schätze gut im Voraus ein, ob es sich bei der Einladung nach Berlin wirklich um eine konkrete Einladung in die Wohnung des Einladenden handelt, oder gar nur um eine der Berlintypischen, maximal liebevollen aber auch maximal unverbindlichen Höflichkeitsfloskeln, deren Einladungs-Einlösung nicht unbedingt inkludiert ist.
Schönen Aufenthalt, herzlich willkommen zu Gast bei Freunden in Berlin, fühl dich wie zu Hause!