Der Abschluss des Sommersemesters erfüllt mich mit glühendem Stolz. Eine Premiere. Noch nie zuvor habe ich es so weit in Richtung Bachelor of Arts geschafft. Beim ersten Mal hat die Motivation nur bis zu den Weihnachtsferien gereicht, woraufhin ich beschloss, die Vision „Studium“ auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Es folgten berufliche „Gap Years“ und neidische Blicke in Richtung all jener, die das wilde Leben meines Erachtens nach genauso lebten, wie es sein sollte. Vor allem im Sommer. Auf Rucksack-Reisen zum Beispiele oder Cappuccino schlürfend im Café um die Ecke. Verlockend erschien mir das. Wenn du selbst nach dem Ausbildungsende aber im Grunde direkt so etwas wie „Karriere“ machen und Geld verdienen könntest, kommt dir die Option, es möglicherweise noch mal mit dem Bachelor zu versuchen, dich zu verschulden und die kommenden drei Jahre ohne regelmäßige Gehaltsabrechnung zu verbringen, jedoch fast ein bisschen wie ein mittelgroßer Scherz vor. Nochmal Ersti sein. Mit 25? Will ich das wirklich? Aber ja! Ganz ohne Zweifel hat es dann aber doch nicht funktioniert.
Bei eintretenden Irritationen sollte man ja grundsätzlich erst einmal selbst hinterfragen. Was ist eigentlich die Motivation hinter einem relativ späten Studium und was erwarte ich mir davon, mir noch einmal mindestens drei Jahre Zeit für die persönliche (Neu-)Orientierung, das Lernen und diese gewisse Vogelfreiheit zu gönnen? Die Antworten sind individuell, hat man am Ende des Tages aber all das geklärt, in Richtung „Ja, ich wage es!“, kann es schon losgehen. Rein ins Abenteuer Ersti sein! Hochmotiviert war ich. Und dennoch musste ich schnell feststellen: Ein wenig mehr Berufs- aber vor allem auch Lebenserfahrung mitzubringen als viele andere Kommilitonen und Kommilitoninnen, ist nicht ausschließlich von Vorteil, besonders in Hinsicht auf das eigene Wohlbefinden, und kann nach einiger Zeit sogar ein bisschen echten Frust hervorbringen. Man fühlt sich tatsächlich nicht überlegen, aber zuweilen doch sehr hilflos. Die Gründe liegen im Prinzip auf der Hand. Ich mag mich schließlich ganz ehrlich gesagt auch nicht allzu gern daran erinnern, was ich selbst mit etwa 19 Jahren über das eine oder andere politische Thema, über andere Lebensentwürfe oder die Gesellschaft, in der wir Leben, zum Besten gegeben habe oder heute gegeben hätte. Es muss ja gar nicht schlimm sind, kann aber durchaus, nunja, anders sein als erwartet. Nun hörte ich also plötzlich laut ausgesprochene Gedanken, die ein wenig im eigenen Herz oder Hirn zwickten. An manchen Tagen verließ ich sogar regelrecht erschüttert und von großem Weltschmerz geplagt das Seminar. Hat sie das wirklich so gemeint? Ist das sein Ernst gewesen? Vielleicht war ich aber auch zu großen Teilen selbst Schuld an dieser Misere.
An mir selbst kann ich heute nämlich vor allem das zu Beginn fehlende Verständnis für andere Lebensentwürfe, Meinungen und Situationen bemängeln. Vielleicht, weil man irgendwann damit beginnt, es sich einem Kreis gemütlich zu machen, der ähnlich tickt. Bloß muss man dabei aufpassen, nicht engstirnig zu werden. Und darauf achten, stets offen zu bleiben – Zwei Dinge, die mir besonders schwer fielen. Die Erwartungen an den Austausch mit anderen Studierenden waren zur Halbzeit somit fast so groß wie die Enttäuschung über die mangelnde Qualität der Unterhaltungen oder die Flüchtigkeit der Kontakte, wobei Letzteres bestimmt auch mit dem Leben in dieser Großstadt Berlin zusammenhängt. Hat man sich aber einmal freigeschüttelt und auch das eigene Ego in die Ecke gestellt, kann das späte Ersti sein die reinste Wonne sein. Es frischt den Kopf auf und das Leben. Die fetten Jahre sind aber, pardon, trotzdem irgendwie vorbei.
Entgegen der erwarteten Entspannung, die ich mir vom Studium versprach, habe ich, ganz anders als im strukturierten Agenturalltag, auf einmal Probleme mit dieser ersehnten Freiheit, damit, mir Zeit für Arbeit, Familie und Freunde ganz allein einteilen zu können. Beim Betrachten des Terminkalenders komme ich vor allem zur Klausurenzeit mächtig ins Schwitzen – Dabei sah das von außen betrachtet bei allen anderen immer so herrlich entspannt aus. Nix da. Mein ehrliches fazit lautet also:
Könnte ich es mir aussuchen, hätte ich mich vielleicht doch eher für einen 20-jährigen Unieinstieg entschieden. Ich frage mich nämlich, ob ich damals vielleicht noch ein bisschen zerstreuter und somit freier in meinen Gedanken und Empfindungen war. Ob ich dadurch weniger verkopft und gestresst und verbissen an die Sache herangegangen wäre. Natürlich befinde mich noch immer in einer Art Prozess, aber ich merke tatsächlich, wie festgefahren man schon mit Mitte zwanzig sein kann. Immer diese Alterskiste, ich weiß, aber wenn es ums Kiffen in der Freistunde und Erstiklassenfahrten geht, kommt man sich nach fünfjähriger Erwachsenendasein-Probe doch minikurz wie im falschen Film vor. Vielleicht aber auch, weil ich mich heute viel schneller über solche Dinge hinwegsetze, womöglich aus Vernunft – obwohl ich das ein oder andere Abenteuer vor einigen Jahren bestimmt quietschvergnügt mitgenommen hätte.
Was unterm Strich bleibt, ist eine Uni-Tüte voller Überraschungen, Denkanstöße und Herausforderungen. Manche zehren an dir, aber alle lassen dich persönlich wachsen. Und vor allem: Feste wissen, dass es all das wert ist. Dass du längst aufgegeben hättest, wäre der Traum vom Bachelor nicht groß genug. Und schon allein diese Erkenntnis mündet irgendwann in einer ganz neuen Gelassenheit, die viel mit Fallenlassen zu tun hat. Fallenlassen ins Chaos etwa. Und dann beginnt das Sortieren. Ich werde immer besser darin. Womöglich, weil ich jetzt genau das mache, was ich immer wollte. Man muss bloß den ersten Faustschlag der Realität überstehen und dann eine Arschbombe rein ins wilde Unileben wagen, das nicht anders ist als jedes andere: Gespickt mit Höhen und Tiefen, die wir locker meistern können. Wenn wir nur wirklich wollen.