„Schluss mit dem Selbsthass!“
Die Hamburger Rapperin Ace Tee im Interview

05.09.2017 Mode, Menschen

Woran wir merken, dass das Interview, das gerade geführt wird, so richtig gut läuft? Wenn der Moment kommt, an dem wir das Aufnahmegerät und den ausgetüftelten Fragebogen beiseite legen und mit dem oder der Interviewpartner*in über Gott und die Welt plaudern können.

Und genauso war es für mich in Berlin mit Ace Tee: Die 24-jährige Rapperin aus Hamburg wurde mit ihrem R’n’B-Hit „Bist Du Down?“ innerhalb einer Nacht weltweit berühmt ,von Musikexperten gefeiert und mit der legendären US-amerikanischen Hip Hop-Band TLC verglichen. Sie rappt, sie singt und neuerdings designt sie sogar für H&M. Ihre limitierte Kollektion für den schwedischen Modegiganten kommt am 7. September in ausgewählte Stores (sowie online!) und wir durften vorab schon mal einen Blick auf die Zusammenarbeit werfen.

Unser Fazit? Genauso lässig, cool und 90ies-inspiriert wie die gebürtige Berlinerin selbst. Darunter weite Schnitte, Jeanslooks, Sporthosen, Printshirts, knallige Sweater und Oversized-Jacken. Nachdem die R’n’B-Künstlerin und ich festgestellten, dass wir in Hamburg nur zwei Straßen voneinander entfernt wohnen und uns ein paar Schoko-Himbeer-Törtchen reingezogen haben, fing ich an Tarina Wilda, so ihr bürgerlicher Name, Löcher in den Bauch zu fragen und mit ihr über die Musikwelt der 90er im Vergleich zur heutigen zu quatschen, über die Wichtigkeit von Musikvideos zu philosophieren und das Geheimnis ihres Erfolges zu lüften. Lieblingssatz in dem Interview: „Jetzt mal ganz im Ernst – MACH’S EINFACH!“. Als wir nach einer Ewigkeit hören „ihr habt noch zwei Minuten“, schreien wir beide unisono: „Wiiiieeee bittteeeee??? Neeeeiiiiiin!!!“. Herrlich. Bitte mehr von solchen Interviews!

[typedjs]Jetzt mal ganz im Ernst – MACH’S EINFACH![/typedjs]

Liebe Ace Tee, Du bringst Hamburg wieder auf die Karte – danke dafür! Was ist Dein persönlicher Lieblingsort in Hamburg?

Sehr gern! Ich glaube, mein Lieblingsstadtteil ist Altona. Da bin ich am meisten, weil wir da unser Studio haben und sich die ganze Gang dort regelmäßig versammelt. Außerdem hängen wir oft zusammen in der Schanze ab.

Du bist dennoch oft in Berlin, der Stadt, in der Du geboren und aufgewachsen bist, oder?

Klar, nicht nur für die Gigs, die ich hier spiele, sondern auch wegen meiner Homies hier. Berlin ist einfach ganz anders als Hamburg, die Leute sind viel offener und es macht mir immer mega viel Spaß meine Zeit hier zu verbringen.

Der Name Ace Tee ist nicht nur eine Anspielung an Deinen bürgerlichen Namen Tarina, sondern auch an Dein Lieblingsgetränk: Tee. Mit wem würdest Du gern mal einen Tee trinken gehen – und mit wem einen Gin Tonic?

Oh, einen Tee würde ich super gerne mal mit Pharrell Williams trinken gehen. Er ist eine Legende! Und einen Gin Tonic mit Dennis, meinem Manager, weil er einfach verdammt cool ist.

 

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Erinnerst Du Dich an den Moment, als Du erfahren hast, dass deine Single die Charts stürmt? Was hast Du gemacht?

Ich war mit Kwam.e, meinem Musikkollegen, unterwegs als wir die Nachricht erhielten. Und wir wussten gar nicht, was wir sagen oder tun sollten. Ich flüsterte dann irgendwann: „Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll!“ Und er antwortete: „Ich auch nicht!“ Dann fingen wir einfach an vor Freude zu tanzen. Das ist wie ein Sechser im Lotto, die absolute Bestätigung für seine Kunst. So wertgeschätzt zu werden, ist Gold wert.

Was denkst Du, wenn Du „Bist Du down?“ heute hörst?

Das ist echt verrückt. Ich hab Videos von Girls gesehen, die den Song nachsingen und ihn auf ihre ganz eigene Art interpretieren. Das ist einfach nur deep und total krass für mich. So schön zu sehen, dass Leute den Song so fühlen wie ich. Wie nice ist es, dass wir alle zusammen grooven können? Einfach schön!

 

– Bürgerlicher Name Tarina Wilda
– Geboren 1993 in Berlin, aufgewachsen in Hamburg-Jenfeld
– Tarina machte eine Ausbildung zur Haarstylistin & begann, unter dem Künstlernamen MEDUZV, Musik zu aufzunehmen 
– 2016 nahm sie „Bist du down“ mit dem Rapper Kwam.e auf – und genau der Song sollte 2017 zu einem viralen Hit in den Vereinigten Staaten werden
– H&M schnappte sich die Neuentdeckung gleich für eine gemeinsame Kollektion
– Am 1. September diesen Jahres veröffentlichte sie erneut mit dem Rapper Kwam.e den Song Jumpa.

Ein wichtiges Thema war für Euch offensichtlich auch der dazugehörige Music-Clip. Ich habe das Gefühl, dass Visuals heute für die meisten Musiker keine große Rolle mehr spielen, was ich sehr schade finde. Man denke nur zurück an die Clips auf Viva und MTV in den 90ern…

Ja!!! Die Video-Clips waren einfach der Hammer! Damals haben sie Kulissen gebaut, wow…Ich vermisse das auch wirklich sehr. Früher hab ich mit meinen Freundinnen immer sowas gesagt wie: „…und in Sekunde 40 macht sie diesen Move…“ Und den haben wir dann nachgetanzt bis wir umfielen.

Was denkst Du, woran es liegt, dass Künstler heute nicht mehr in dem Maße in Video-Clips investieren? Vielleicht daran, dass man damals noch den Fernseher anmachen musste, um sich auf MTV neue Musik anzuhören – und entsprechend anzusehen – während man jetzt einfach nur schnell auf AppleMusic oder Spotify klickt?

Gute Frage, das stimmt natürlich. Aber auch der allgemeine Ablauf der Musik hat sich verändert: Richtig große und gute Musiker haben damals alle drei Jahre mal ein Album rausgebracht und man hat sich wahnsinnig darauf gefreut. Aber der Musikkonsum hat sich verändert, alles ist so viel schneller geworden und man hat oft gar nicht die Zeit aufwendige Videos zu produzieren. Und sie hatten damals natürlich auch ganz andere Budgets – so viel Geld bekommt man heute nicht mal mehr für ein ganzes Album.

Meine persönliche Lieblingsline in dem Song ist: “Schluss mit dem Selbsthass, zeig den Leuten, was Du drauf hast!“ – hat diese Aussage eine besondere Bedeutung für Dich?

Aaaaw! Das freut mich gerade richtig… Und ja, das hat sie definitiv: Ich beobachte immer öfter, dass sich Menschen – auch in meinem Freundeskreis – selbst im Leben aufhalten. Sie sagen dann „ich kann’s nicht“, „das kann ich mir nicht vorstellen“, „das passt nicht so zu mir“ oder „ich bin nicht schön oder dünn genug dafür“. Mein Gott, mach’s einfach! Jeder zahlt am Ende seine eigene Rechnung und muss selbst verantworten, was er aus seinem Leben gemacht hat. Wenn ich solche Sätze höre, kriege ich Kopfschmerzen! Auch weil ich weiß, dass ich vor ein paar Jahren genauso drauf war. Ich habe mich viel zu sehr beeinflussen lassen und mich weniger auf meine innere Stimme konzentriert. Was soll das? „Mach’s doch einfach!“, dachte ich mir dann irgendwann.

[typedjs]Schluss mit dem Selbsthass, zeig den Leuten, was Du drauf hast![/typedjs]

Und was hat dazu geführt, dass Du da so umgedacht hast?

Ehrlich gesagt, ich habe mir Zeit genommen. Um mich mit mir selbst zu beschäftigen und herauszufinden, wer ich bin, was ich möchte und wo ich sein will. Um meine Gedanken und Wünsche zu sortieren und dann alles zu geben, um diese Wünsche in die Tat und Wirklichkeit umzusetzen. Ich sagte mir damals: Worauf wartest Du? Du willst es und Du kannst es auch! Also mach es endlich!

Ich habe manchmal das Gefühl, dass gerade unsere Generation zu bequem ist, um aufzustehen, sich etwas zu trauen. Und auch zu riskieren, dass es möglicherweise schief geht…

Ja, absolut. Und ich glaube, das liegt vor allem am Internet. Die Kids hängen den ganzen Tag vor dem Computer oder dem Smartphone und denken „ich wünschte, ich könnte das auch…“. Ja, dann mach es halt! Aber die meisten chillen lieber statt sich die Zeit zu nehmen sich mit sich zu beschäftigen und es letztlich durchzuziehen. Natürlich ist es einfacher sich das bei anderen anzuschauen als es selbst zu machen. Aber wir Menschen sind alle gleich und jeder von uns hat die Berechtigung das zu tun, was er möchte. Also, worauf wartest Du? Mach’s einfach! Ich kann diesen Satz nicht oft genug sagen.

 

So viel zu meiner Lieblingsline in dem Song. Und wie lautet Deine?

„Da ist ’n Nachbar an der Tür, es ist her Sauerkraut. Schimpft und sagt, die Mucke sei ihm viel zu laut, laut, laut…“ (lacht sich kaputt). Das ist eine Artificial Ansage an meinen Nachbarn. Es ist natürlich nicht sein echter Name, aber ich höre ihn ständig schreien: „DIE MUSIK IST ZU LAUT!!!“. Ich meine, klar, es gibt die Zimmerlautstärke und die Ruhe am Sonntag. Aber es gibt Nachbarn, die rasten einfach grundsätzlich aus! Kürzlich hatte ich eine Situation, in der jemand runterkam und schrie: „Also, wenn es noch mal so laut ist, dann nehme ich mein Diktiergerät und nehme es auf!!!“ Und ich war so: „Okay, und dann?“ Ich konnte nicht mehr vor Lachen… Aus Nettigkeit bin ich sogar zwei Etagen runtergegangen, um es mir mal selbst anzuhören – aber es war einfach überhaupt nicht laut. Das ist einfach so ein Prinzip-Ding einiger Leute. Das musste ich mal in dem Song verarbeiten.

Ich kann mich nicht an sehr viele deutschsprachige Songs erinnern, die, so wie Deiner, die Spitze der amerikanischen Charts eroberten. Was denkst Du, ist das Rezept für einen Song, der überall auf der Welt verstanden und gefeiert wird?

Mein Mindset war von vornherein darauf ausgelegt einen Song zu machen, der nicht nur von meinen Freunden in Deutschland verstanden wird, sondern auch von meinen Kumpel in London und einem Bekannten in Paris. Wenn man sie nicht über die Sprache erreicht, dann muss man das über den Flow versuchen. Ich denke, das ist das Problem der meisten deutschen Songs. Sie haben coole Texte, aber der Flow erreicht nur die Leute in Deutschland 

Es sind also die Vibes eines Songs, die über die Grenzen gehen und einen Menschen berühren können. Welcher Song hat Dich zuletzt so richtig berührt?

Ich habe kürzlich einen Song von Kelela entdeckt. Eine wahnsinnig krasse Künstlerin. Sie ist schön und trägt ihre Dreadlocks zur Seite. Ihr Song „A Message“ ist richtig tiefsinnig. Es geht um eine Trennung und wie man sie verarbeitet. Was möchte man nach einer Trennung unbedingt? Veränderungen natürlich. Und in dem Videoclip zum Song schneidet sie sich einfach ihre echten Dreads ab. Ich war richtig fasziniert von ihrer Kunst.

Egal, ob tot oder lebendig – mit wem würdest Du gern mal ein Mixtape aufnehmen?

Oh mein Gott, ein Mixtape, das wäre mega… Lass mich nachdenken… Da wäre Bobby Brown dabei und natürlich Michael Jackson. Und Pharrell Williams würde das ganze produzieren! Das wäre so nice…

Was würdest Du tun, wenn Musik aus Deinem Kosmos verschwinden würde?

Ich würde depressiv werden und nichts anderes tun als in mein Tee-Glas zu weinen!

Wer war früher Dein Held und wer ist es heute?

Mein Onkel aus Ghana. Er ist leider verstorben, aber ich habe früher alles mit ihm gemacht. Wir waren an Wasserfällen und sind auf Entdeckungsreisen gegangen, ich saß immer auf seinen Schultern. Er war derjenige, der „ja“ gesagt hat, wenn Mama „nein“ sagte. Ich hörte immer nur: „Psst, komm, wir sagen es Mama nicht!“ Und auch wenn er nicht mehr lebt, wird er für immer mein Held bleiben.

Ohne was würdest Du niemals das Haus verlassen?

Meine Kopfhörer!

Was würdest Du retten, wenn Deine Wohnung brennen würde?

Meinen Rechner. Oh, und meine Schuhe! Und zwar genau die, die ich heute anhabe. Die sind angehaucht an Dr. Martens, aber sie sind doch ganz anders und ich habe sie schon ewig. Die Sohle ist schon richtig abgerannt, ich liebe sie trotzdem. Sie sind von H&M, aber nicht gestellt oder so. Ich hab sie gesehen und sie mir geholt!

Was ist Dein Favorit der H&M-Kollektion?

Die Jeansjacke mit den weiße Nähten! Ich hatte sie auf dem Hurricane Festival an und es gibt einen dazu passenden Rock in Wickeloptik. Einfach super fresh!

Für welche Art von Frau hast Du die Kollektion designt?

Für eine extrem coole! Eine, die sich nicht stressen lässt und gut drauf ist. Aber ansonsten hatte ich keinen bestimmten Typ Frau im Kopf, denn da ist für jede etwas dabei. Die Schnitte sind total lässig und stehen allen, das sehe ich bei meinen Freundinnen. Sie haben unterschiedliche Größen, aber es sieht bei jeder einfach nur mega aus!

Deine Message an alle Frauen da draußen?

Oh, ich hab gleich mehrere: Steht auf! Lasst Euch bitte nicht einschüchtern! Kein Konkurrenzkampf! Akzeptiert Euch so wie ihr seid und liebt Euch so wie ihr seid! Nur dann werdet ihr auch von anderen geliebt. Wenn ihr Euch nicht sicher seid, ob es das Richtige ist, was ihr tut, macht es trotzdem! Probiert es aus, dann werdet ihr schon sehen, ob es das ist. Und vielleicht startet ihr dann richtig durch. Ich möchte einfach, noch mehr Frauen am Start sehen!

Microphone Drop.

 

Bilder: © H&M, Instagram, This is Jane Wayne

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