Ich stecke gerade in einer Feminismus-Krise. Nicht, weil ich plötzlich dagegen wäre, sondern weil es kaum ein Thema gibt, das mir in den letzten sieben Jahren so wichtig, das so omnipräsent war, ob beruflich oder privat. Gerade deshalb werde ich manchmal wütend, so wie das immer ist, wenn Emotionen im Spiel sind. Ich bin ja nunmal eine Frau. Ich kann von Sexismus ein Lied singen, kann den Ist-Zustand im Jahr 2017 bezüglich einer realen und gelebten Gleichberechtigung selbst hierzulande nicht fassen und fühle umso mehr mit all den Frauen dieser Welt, die noch viel weiter von einer Gesellschaft entfernt sind, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Zumindest keine diskreditierende. Gerade darum sollte mittlerweile doch gehen beim Feminismus:
Darum, sich nicht nur um sich selbst zu drehen, darum, sich auch Gedanken über Missstände zu machen, die universell und nicht bloß persönlicher Natur sind, es geht um Empathie. Um Geschlechtergerechtigkeit, darum, Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile abzuschaffen, um Chancengleichheit. Also: Um uns alle. Und genau deshalb stoße ich mich gerade immer wieder an kämpferischen Ansagen, die das andere Geschlecht, diesmal die Männer und Jungen, vergessen oder ganz bewusst ausklammern. Denn Fakt ist: Viele meiner Freunde sind Männer. Ich habe einen Sohn. Einen Papa, einen Partner. Auch für sie wünsche ich mir ein Leben, in dem sie frei sein und sein können, wer auch immer sie sein wollen.
Die Lieblingsfarbe meines Sohnes etwa ist Lila, weshalb er von Fremden beinahe ausschließlich als Mädchen tituliert wird. Was ihn nicht stört, denn zumindest jetzt noch sieht er sich als ebensolches und wird mitunter ganz wütend, wenn ich ihn aus Versehen einen Jungen nenne. Er mag außerdem Kleider, weil seine Freundin Wilma auch Kleider trägt, und Mama. Ein Kind in der KiTa fand das eines Morgens überhaupt nicht lustig. Ist das gerecht? Wollen wir uns wirklich schon bei Kindern in Geschlechterrollen verlieren? Bestimmt nicht. Und auch unsere Partner und Freunde sind noch immer nicht gänzlich frei, scheuen sich Gefühle zu zeigen, vor Kumpels etwa, oder Schwächen, oder den Zettel mit der Aufschrift „Elternzeit“. Es gibt noch etliche Beispiele, das wissen wir alle. Nur wird darüber nur sehr selten geredet. Und so kommt es, dass wir heute den Weltmädchentag feiern, wie jedes Jahr. Einen Weltjungentag hingegen hält niemand für nötig. Manch einer findet das sogar logisch, man wolle am Ende ja schließlich nicht die Blüte des Patriarchats unterstützen. Können Kinder denn schon Patriarchen sein, kann das richtig sein?
Viele werden jetzt schreien: Ja! Und Frauenpower! Wegen allem, was noch getan werden muss, weil es immer erst ein Extrem geben muss, bis die echte Balance erreicht ist, weil wir sonst nicht gehört werden würden, weil sich nichts ändern wird, wenn wir nicht handeln. Und ganz bestimmt auch, weil Mädchen und Frauen es, ohne nun automatisch von einer Opferrolle ausgehen zu wollen, oft noch immer schwerer haben, schon allein wegen etlicher nicht existenter Menschenrechte, wegen der (strukturellen) Gewalt, den Abtreibungsverboten und Unterdrückung und ja, auch wegen jeder Form des Alltagssexismus. Das heißt aber noch lange nicht, dass Männer und Jungen gänzlich verschont blieben. Dass ihre Bedürfnis egal sein dürfen.
Trotz aller wichtigen Parolen und Kampagnen, die gerade ja sogar den Kommerz erreicht haben, frage ich mich zunehmend, ob wir nicht im selben Atemzug, vielleicht auch ganz unterbewusst, eine neue Form der Exklusion befeuern. Beim #Womensmarch in Berlin zum Beispiel, da spürte ich die gigantische und wichtige Energie, die von uns Frauen ausging, die Kraft dahinter und den Willen. Ich war stolz Teil davon zu sein, und spürte, wie wichtig es vor allem in Zeiten der neuen Rechten ist, ein bisschen wütend und auch laut, also sichtbar zu sein. Anders, und das denke ich bis heute, geht es nicht. Aber da ist dennoch es dieses leise „aber“:
Ich hörte nunmal auch viele der mitmarschierenden Männer, es waren etwa 50% der Anwesenden, die sich für UNSERE Rechte stark machten, für ihre Töchter und Frauen und Freundinnen, die der Parole „Frauen für Gerechtigkeit“ ein „MENSCHEN für Gerechtigkeit“ entgegensetzten. Was sie meinten war aber auch: Gerechtigkeit für alle. Müsse wir also differenzierter argumentieren und diskutieren, mehr Inklusion betreiben, uns öffnen? Oder geht am besten alles, ganz im Sinne der #femalepower, weiter wie gehabt?
Ich bin unentschlossen, verunsichert und auch ein wenig ratlos. Denn so wichtig unser Anliegen auch ist: Es fühlt sich verstärkt so an, als würde ein wichtiger Aspekt fehlen. Das wurde mir vor allem im Angesicht der Wahlen bewusst. Wir reden, wenn wir von Trump- und AfD-Wähler*innen sprechen, permanent von den „Vergessenen“ und davon, dass besagten Menschen nicht zugehört wurde und wird, dass sie sich ausgeschlossen und von niemandem abgeholt fühlen. Passiert uns, zumindest in Deutschland, das muss deutlich werden, gerade vielleicht ähnliches? Wen erreichen wir hier mit unseren Worten, wenn wir nur von uns, den Frauen sprechen? Viele, das ist richtig. Aber wer aufgeschlossen ist und modern, der hat vermutlich längst hingehört und begriffen. Der Rest hingegen wird gefühlt von Tag zu Tag wütender. Jeder öffentliche Beitrag, der den Begriff „Feminismus“ benutzt, wird überschwemmt von Kommentaren, aus denen womöglich Dummheit, aber auch Frustration und Angst vor dem Neuen, spricht.
Den Höhepunkt des Unverständnisses erlebten wir etwa mit dem Beschluss des Gesetzes gegen „Manspreading„. Vielleicht aber war an dem ganzen Groll ja gar nicht der Inhalt selbst Schuld, sondern die Art und Weise wie ebenjener öffentlich gemacht wurde, nämlich vorwurfsvoll und fingerzeigend. Der Tenor lautete: Ihr dusseligen Männer, ihr breitbeinigen Affen, jetzt geht euch an den Kragen. Zurecht natürlich, versteht mich nicht falsch, aber ein bisschen mehr Diplomatie oder Respekt hätte die Wogen eventuell glätten und viel mehr Einsicht herbei führen können. Das aber nur als Beispiel am Rande.
Ich glaube, was ich mir im Grunde wünsche, ist keineswegs der Rückgang von fordernden Hashtags und Handlungen bezüglich jeglicher Frauenrechte, ganz im Gegenteil, wir müssen weiter laut sein, um eine Veränderung herbei zu rufen. Sondern das Einbeziehen von Männerrechten. Zumindest dann, wenn es möglich ist, denn natürlich geht es manchmal leider noch immer ausschließlich um uns. Aber eben nicht immer und ausnahmslos. Zum Beispiel, wenn wir von Alleinerziehenden sprechen. Sprechen wir dann, Hand aufs Herz, auch von Vätern? Selten. Ich wünsche mir, ganz vereinfacht gesagt, ein Gegengewicht, einen Ausgleich, Gerechtigkeit, wann immer sie angebracht ist.
Sodass wir, wenn wir über Feminismus sprechen, irgendwann wirklich alle Menschen dieser Welt meinen und sich selbst in die Falle des des geschlechtergebundenen „Unterscheidens“ tapsen. Damit es irgendwann nicht mehr heißt „#TheFutureIsFemale“, sondern „TheFutureIsHuman“.
Ich finde, der Weltmädchentag ist ein gutes Beispiel für diese vorsichtige Forderung. Ich kenne jetzt die Zahlen: Rund 60 Millionen Mädchen im Schulalter (Grundschule bis zur Mittelstufe) erhalten keine Bildung, jedes Jahr sind 3 Millionen Mädchen in Gefahr, der Genitalverstümmelung zum Opfer zu fallen, jedes vierte Mädchen auf der Welt wurde als Kind verheiratet (Unicef). Deshalb ist dieser Tag so schrecklich wichtig. Ein Weltjungentag wäre es aber auch. Kinderarbeit etwa trifft vor allem sie.