Die Fashion Week Berlin sei tot, sagen viele. Sie stirbt! Habe auch ich gedacht, beim Durchsehen des neuen Schauenplans für die winterliche Modewoche, der gefühlt nicht einmal halb so lang ausfiel wie in den Vorjahren. Mercedes Benz als Haupt-Sponsor weg, alles weg? Nee, nee. Jetzt mal halblang. Alle, die jetzt über das quantitative Schwinden des modischen Stelldicheins meckern, haben vermutlich schon viel früher das Unzufriedenheits-Haar in der Suppe gefunden und lauthals gewettert, gar mit den Augen gerollt. Darüber, dass Berlin nicht Paris sei zum Beispiel (wieso sollte es das überhaupt?) und vor allem geschmacklos. Und ja, zumindest bezüglich des letzten Punkts bekenne ich mich schuldig. Das, was da mitunter im sogenannten Fashion Week Zelt präsentiert wurde, tat auch mir manchmal weh, optisch, aber auch im Herzen. Weil es mit all seinem Y-Promi-Tamtam oftmals all das Wunderbare überschattete, was unsere Stadt zu bieten hat. Nämlich Designer und Designerinnen, die es verdient haben, wahrgenommen zu werden, die hart arbeiten, die talentiert sind und im Haifischbecken der Branche wahre Nemos sind. Das meine ich positiv. Sie sind klug und stark und tragen ihr Herz am rechten Fleck, beinahe ausnahmslos. Und ja, das ist etwas Besonderes. Das ist es, was die Berliner Modewoche ein Stück weit ausmacht. Was sich auch in den präsentierten Kollektionen wiederspiegelt, im Miteinandersein, vor, während und nach den Defilèes – eine von vielen Stärken der deutschen Designerinnen und Designer, von all jenen, die trotz apokalyptischer Hellseherei geblieben sind.
Die Verkleinerung der Fashion Week Berlin war in meinen Augen das Beste was ihr hätte zustoßen können. Sie lenkt den Blick auf das Wesentliche, auf die Handarbeit und Qualität etwa, auf junge Talente und solche, die inzwischen zu den Größten gehören, sie bringt mehr Kreativität denn je ins Spiel, ja sogar Kunst, sie fordert und filtert. Friss oder stirb? Vielleicht. Man könnte aber auch sagen: Die Stunde der Wahrheit naht. Wer gesehen werden möchte, muss weiterdenken, der muss raus aus der Bequemlichkeit fester Strukturen und Regeln, der muss sich irgendwann emanzipieren aus Mutters Schoß. Der suchte sich in dieser Saison etwa Locations wie das Berghain aus oder verzichtete auf den üblichen Laufsteg, um in internationaler Manier die Phantasie der Zuschauenden anzuregen, den Denkapparat, durch virtuelle Installationen zum Beispiel oder durch begehbare Präsentationen. Aber geht es darum überhaupt, ist Inszenierung wichtig? Ja. In diesem Fall gilt tatsächlich: Wenn schon, denn schon. Wer nicht in der Lage ist, interdisziplinär zu agieren oder wer vielleicht auch einfach keine Lust hat oder nicht ausreichend Budget (Deutschland ist nicht gerade für Überförderung bekannt), spart besser Kosten und Mühen. Was einige taten und ihre Kollektionen ausschließlich beim wunderbaren Berliner Salon ausstellten und selbige damit nahbar und greifbar machten. Ich halte beide Wege für klug, denn Zielgruppen und Ziele sind verschieden. Nur Halbherzigkeit ist keine so gute Idee. Aber das gilt ja nicht nur für die Mode. Und so wünschte ich mir auch diesmal wieder mehr Mut, mehr Liebe zum Detail. Das Abendmahl von Perret Schaad etwa war ein Genuss, aber das Dessert fehlte: Vielleicht ein gedeckter statt ein kahler Tisch, ein Hintergrund aus Leinwand, der zum Träumen anregt? Mehr Message bei Strenesse. Mehr Lookbook-Power bei Malaika? Das allerdings ist Motzen auf hohem Niveau. Ich bin unendlich stolz auf Berlin. Am meisten auf all jene, die nun folgen. Bitte hört nicht auf, an euch zu glauben – das war ein ganz großer Start ins Jahr 2018.
Damir Doma
Damir Doma zeigt eigentlich in Mailand, konnte in dieser Saison dann aber doch für Berlin begeistert werden. Der deutsche Designer durfte seine Show im Rahmen der Initiative Fashion HAB, angetreten durch den Fashion Council Germany, im Berghain zeigen. Und das tat er dann auch. Aber wie! Ehrlich gesagt, hätte man mir durchaus verklickern können, ich säße in einer Show von Acne Studios. Aber nichts da, Damir Doma war es, der mich am geschmacklichen Schlafittchen packte und das Gefühl der Generation Y in Kleidung übersetzte. Das Thema: „Anxiety“.
Odeeh
Odeeh bedient sich in dieser Saison eines Themas, das im Zuge der ganz großen #MeToo Welle immer wieder diskutiert wird: Sind Frauen selbst Schuld, dass sie zu sexualisierten Objekten werden? Sollten wir uns darin üben, mit Reizen zu geizen? Wohl kaum. Uns wird im Angesicht solch diskreditierender Belehrungen regelrecht übel – genau wie den beiden Machern von Odeeh, die sich deshalb dazu entschlossen, die Femininität entgegen aller Catherine Deneuve-Anhänger*innen ganz offensiv zu feiern. Der Tenor der Designer: Keine Angst vor weiblichen Klischees! Sie finden nämlich, „wir doch nun über den Punkt hinaus (…), an dem Frauen sich emanzipiert zeigen müssen“. Das solle doch längst selbstverständlich sein (Quelle: Vogue).
Perret Schaad
Die oben angemerkte Schlichtheit der Präsentation von Johanna Perret und Tutia Schaad war natürlich volle Absicht. Ihr „Tableau Vivant“, also „lebendes Bild“ zeigte eine Art Abendmahl, an dem sich offenbar Jüngerinnen des Minimalismus versammelt hatten, um Mode zu zeigen, die von Pragmatismus, klaren Formen und schöner Schlichtheit zehrt. Trendlos und zeitlos gibt sich das Label, das Mode für die Ewigkeit verkaufen will, an freidenkende Kundinnen, die jedem Stück von Perret Schaad durch die eigenen Persönlichkeit Charakter verleihen. Die Inspiration: Eigene Klassiker, die auch in dieser Saison wieder ganz neu interpretiert wurden.
Malaikaraiss
Über Malaikaraiss für den Herbst/Winter 2018/2019 hatten wir hier bereits ausführlich berichtet: „Malaika Raiss hat sich (vorerst) entschieden und übernimmt damit eine Vorreiter-Funktion in Berlin: Ihre Show war ausschließlich in Form von 13 kleinen Film-Snipets direkt auf der offiziellen Website verfügbar. Von mir erntet Malaika für so viel Mut Neues zu wagen nichts als Applaus und ein paar virtuelle High Fives. Da macht jemand seinem T-Shirt-Aufdruck aus der vorletzten Saison alle Ehre: Rebel Girl, par excellence!“ Stilistisches bleibt es, was soll ich anderes sagen, vor allem: Malaika’esque. Nach 15 Saisons ist der Wiedererkennungswert längst selbstverständlich:
Dawid Tomaszewski
In diesem Jahr hat unsere Praktikantin Luna Dawids Show besucht und sie wie folgt beschrieben: „Die Herbst-/Winter Kollektion 2018/2019 von Dawid Tomaszewski trägt den Namen „Overture“ und ist inspiriert von dem Europa der 40-er Jahre. Dieses Jahrzehnt kombiniert Dawid aber geschickt mit den Mustern und Materialen des japanischen Garten und zieht von dort aus eine Verbindung zum, schon aus vorherigen Kollektionen bekannten, Bauhaus-Print. Die vielen kleinen Strassteine, die Tomaszewski dazu noch benutzt, haben den Effekt einer köstlichen Cherry on the Top. Ich weiß jetzt auch, was die Leute meinen, wenn sie von der Wichtigkeit des Drumherums sprechen: Hypnotize You von N.e.r.d. katapultierte das Früher durch nur wenige Töne ins Jetzt.“ Wir sind besonders große Fans der Accessoires. Wäre da nicht ein kleines Detail, das wir aufs schärfste verurteilen: Echtpelz. Wir verstehen, dass potenzielle Kundinnen mitunter bestialisch denken und weiterhin nach totem Tier verlangen. Aber pfeif doch bitte auf die, die weder Herz noch Hirn haben.
Strenesse
„The Future is Female“ lautete das Thema der Präsentation von Stenesse, die mir optisch überragend gut gefiel – wäre die Erklärung für das Gezeigte doch nur ein wenig anders ausgefallen. So scheint es, als könnten wir Frauen ausschließlich in vermeintlicher Männer-Garderobe das Siegerinnentreppchen erklimmen, non? Mehr dazu lest ihr hier.
Horror Vacui Munich
Ein weiteres, deutsches Label hat es uns schon längst angetan: Horror Vacui – das Label von Anna Heinrichs. Inspiriert von 400 Jahre alter Nachtwäsche, zeigen sich die Kleider und Blusen unser Träume nahezu märchenhaft. Wer aber meint, dass so viel Detailverliebtheit unmöglich alltagstauglich sein kann, irrt: Man sehe sich bloß mal den Instagram Kanal des Label an, staune und lasse sich eines Besseren belehren. Ganz große Horror-Liebe, die so ganz und gar nicht gruselig ist.
Hien Le
Unser Hien. War leider nicht an seinem Stand zu finden, als wir eintrudelten. Später dann aber verriet er uns, dass bald ein Lookbook geschossen würde. Wir warten also gespannt und stellen in der Zwischenzeit fest. Hien wird härter. Was wunderbar ist, denn der Alltag ist kein Zuckerschlecken. Auf den feuerroter Cordstoff freuen wir uns am allermeisten.
Dorothee Schumacher
Wir bewundern Dorothee Schumacher für alles, was sie ist. Das schrieb ich schon im Vorjahr, weshalb ich umso geknickter war, aufgrund eines Kinder-Notfalls (Fieber!) nicht bei diesem Spektakel, einer pompösen Präsentation, dabei gewesen zu sein. Es muss nämlich ganz großartig gewirkt haben. Ein bisschen wie gelebter Zusammenhalt vielleicht. Wir wissen ja, dass das Gerede über Female Empowerment zuweilen oft viel lauter ist als der gelebte gegenseitige Support, weshalb Dorothee in dieser Saison entschied: Kein Runway! Denn dort kann man schlecht kommunizieren, mit anderen Frauen, mit anderen Menschen. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Und so kam es, dass der Plan, wie ich später hörte, aufging: Feminismus für alle. Weil es vornehmlich darum ging, sich mit Kolleg*innen auszutauschen und hinzuhören. Hingesehen hat man dann allerdings auch. Wie auch nicht bei diesen Entwürfen:
William Fan
William, oh Wiillam. Hier könnt ihr Sarahs Liebesbrief an diesen außergewöhnlichen Menschen gern noch einmal nachlesen. Hier sieht man übrigens, wieviel eine Show mit dir machen kann, wegen all der übersprudelnden Gefühle, wegen des Herzblutes, das in jedem Detail steckt. Weil man eine Kollektion plötzlich nicht nur sieht, sondern begreift und fühlen kann. Diese hier ist als Hommage an Williams Eltern zu sehen und vielleicht gerade deshalb so außergewöhnlich und stark.
Marina Hoermannseder
An dieser Stelle übergebe ich wieder an Luna, unsere Praktikantin:
„Hätte man mir vor zwei Jahren gesagt, dass ich aus Reportagegründen im Januar 2018 in der Front Row bei Marina Hoermanseder sitzen würde, hätte ich wahrscheinlich Schnappatmung bekommen. Marina Hoermanseder, egal ob man die deutsche Modebranche schon zum Frühstück konsumiert, oder nicht, ist bekannt, sehr bekannt. Schon zu Studienzeiten fokussierte sie sich auf die Verbindung von orthopädischem Korsett und Lederschnallen, wodurch eine ganz neue Ästhetik, aber auch ein wahres Handwerk entstand. Eine Ästhetik, die so erfolgreich ist, sogar Fans wie Rihanna, Lady Gaga oder FKA-Twigs regelmäßig durchdrehen.
3, 2, 1, go! Eine schwarze Frau in goldenem Korsett-Body und schillernden Overknee-Boots betritt den Laufsteg. Der Body enthält weibliche Elemente in Form von Brüsten und männliche Elemente wie wage angedeutete Bauchmuskeln und Nieten. In meinem Kopf sprudeln Erinnerungen an alte römische Uniformen, sowie Bilder von Michelangelos David hoch. Das Korsett ist nicht grazil, der Entwurf verwirrt und trotzdem gefällt er ungemein und prägt sich im Kopf ein wie ein Brandmal. Was darauf folgt, sind aufwendige Steppjacken in Tarnfarben, hochwertige Camouflage Monturen, voluminöse Skianzüge, Bustiers, überlange Mäntel, Strip Pants, enge Kleider und natürlich bekannte Key-Pieces wie der Lederrock mit Lederriemen. Alles in Aprikose und Olivetönen gehalten. Was auffällt, ist das Aufnehmen des Branding-Trends in dieser Kollektion. Egal ob Schal, Pulli, Lederrock, die Liebe zu Hoermanseder kann man nun auch direkt nach außen tragen. Stilmäßig ist es eine bunte Mischung, während ich mir manche Teile direkt in den Kleiderschrank hängen würde, würde ich manche eher auf der Kleiderstange lassen. Das Schlusslicht bilden die Models die zusammen in in „MH“-Pullis mit dem Team von Marina Hoermanseder den Laufsteg beschreiten. Team Work, denke ich. Die Zeiten der Einzelgänger*innen scheinen gezählt. Endlich.“