What’s Gucci my n***a?
What’s Louie my killa?
What’s drugs my deala?
What’s that jacket, Margiela?
Doctors say I’m the illest
‚Cause I’m suffering from realness
Got my n***s in Paris
And they going gorillas, huh!?
Wer schon mal an einer Hip Hop Party teilgenommen hat, der hat diese Zeilen entweder schon selbst gebrüllt oder sie andere brüllen hören, im Kollektiv, heiter und beschwipst, des Lebens durstig. Ich war auch schonmal dabei, weil ich aber nur selten Hip Hop höre, tat ich bloß so als rappe ich munter mit: „Marmelade, Marmelade, Marmelade“. Ihr kennt den Trick. Ob es wirklich angebracht sei, das N-Wort ins Strobolicht zu spucken, fragte ich mich in einem Moment der Klarsicht, antworten wollte im linksliberalen musikverliebten Berlin lieber niemand. Also suchte ich selbst nach einer Erklärung, ohne Erfolg. Da scheiden sich tatsächlich bis heute die Geister, weshalb mir ein zynisches Zitat Tupac Shakurs irgendwann sogar logisch erschien. Der brachte, laut Jonathan Fischer, den feinen Unterschied auf den Punkt: ¸¸Nigger – ein schwarzer Mann mit einer Sklavenkette um den Hals. Nigga – ein schwarzer Mann mit einer Goldkette um den Hals.“ Eine Definition, die auf wackligen Beinen steht und wie ein Scherz klingt. Ich tat also, was jeder klar denkende, emphatische, aufgeklärte Mensch vermutlich so tut, wenn es um Gefühle anderer und Geschichte geht: Die Klappe halten. Und sich dem verfügbaren Regelsystem einer Sprache unterwerfen, die auf andere Rücksicht nimmt und jedwede verbale Verletzung ausschließt. Warum ich das erzähle? Weil es zweierlei verdeutlicht: 1. Dass es keine Ausrede für Dummheit gibt. 2. Dass es viele Dumme, oder besser: Ahnungslose hinsichtlich sprachlicher Political Corretness gibt (die zum Beispiel rassistische Äußerungen tätigen, ohne Rassisten oder Rassistinnen zu sein). Hier schiebt sich natürlich, wie sooft in Zeiten von Weinsteins und Allens, eine weitere Frage nach, nämlich jene, ob Künstler*in und Werk überhaupt voneinander zu trennen sind, ergo: Ist auch der, der unbewusst rassistisches sagt, ein Rassist oder eine Rassistin? Oder bloß saudoof? Auch hier gibt es kein richtig oder falsch, nur unterschiedlichste Thesen. Im Fall von Mira Duma, die uns als einflussreiche Geschäftsfrau, Stilikone und Gründerin der Website Buro 24/7 bekannt ist, scheint die Sache allerdings klar.
Am Montag postete die Russin eine Instagram-Story, in der etwas zu sehen war, das Duma gerade zum Verhängnis wird: Ein Blumengruß von Ulyana Sergeenko, ihres Zeichens Designerin und Freundin von Duma. Auf der beiliegenden Karte das Song-Zitat (so jedenfalls der Versuch Sergeenkos einer Erklärung): „To my n*** in Paris“. Die Sternchen fehlten wohlgemerkt. Genau wie Scharfsinn, Rücksichtnahme und, nunja, tatsächlich auch Hirn.
Ein wahr gewordener Alptraum aller Befürworter*innen von (sprachlichem) Taktgefühl, eine Image-Katastrophe für beide Beteiligten, der Anfang eines (berechtigten) Boykotts und des dazugehörigen Hashtags #RacistMiraDuma, aber auch: die Legitimation für eine mediale Hexenjagd. Und zudem: Gefundenes Fressen für eine Empörungsgesellschaft, die lieber gemeinsam mobbt, als mit einem Einzelnen in den Dialog zu treten. Die gern mit dem Finger auf Probleme zeigt und schimpft, statt sich ernsthaft mit ihnen und deren Ursprung auseinanderzusetzen. Die es liebt, die eigene Weste durch das Aufzeigen fremder Fehler rein zu waschen. Die sich gleichzeitig scheut, zu hinterfragen. Oder gar eine Entschuldigung (die prompt folgte) gelten zu lassen. Die so sehr mit dem Pöbeln beschäftigt ist, dass keine Zeit für eine geistreiche Auseinandersetzung bleibt, die am Ende zusammenführen statt auseinandertreiben könnte. Die Themen in dem Mittelpunkt hätte stellen können, denen viel zu selten Beachtung geschenkt wird, nämlich: Dass einflussreiche Menschen in Machtpositionen mitunter untragbare Meinungen vertreten. Und dass wohl viel mehr Menschen von überall her eine Lektion in Linguistik nötig haben, als zuvor angenommen. Stattdessen scheint sich die Masse lieber damit zu beschäftigen, auf den Mobbingbus Richtung Duma aufzuspringen.
Aber zurück zum Verzeihen: Denn das fällt, zugegeben, in Angesicht Miras trauriger Vergangenheit als große Rednerin gerade sehr schwer fällt. Vor sechs Jahren hielt Duma einen Vortrag, der nun, im bereits benannten Kontext, vom Blogger Bryanboy publik gemacht wurde. Ein ekelhafter Beweis für die Angst vor „dem Andersein“. Für Homophobie und Transphobie, wie sie in Russland nur allzu üblich ist. In einem Land, in dem das Reden über oder Zeigen von Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen seit 2013 unter Strafe steht. In dem jede positive Äußerung über Homosexuelle im Internet verboten ist. Mira Duma scheint damals ein wahres Vorzeigeexemplar der gebrainwashten Elite unter Putin, bzw. Medwedew gewesen zu sein.
Im „Beweisvideo“ fragt eine Zuhörerin: „You mentioned Bryanboy and his style… he wears women’s clothing. Female fashion is being modelled by men now. What is your opinion on, say, Andrej Pejić (…) who advertises women’s swimsuits? Would you consider that normal?“
Die Antwort, ebenfalls von Profis auf Englisch übersetzt:
„Honestly, I dislike that. Because somewhere, on TV or in a magazine, a little boy could see it and that boy wouldn’t understand it correctly, wouldn’t react correctly. And I think a certain kind of censorship and refined culture is needed here. (…)“
Bryanboy und Transgendermodel Pejic seien „weird people“ und „thank God (that) there aren’t that many of them“.
Wer diese Meinung nicht aufs schärfste verurteilt, hat das Prinzip Liebe nicht verstanden. Der pfeift auf Menschenrechte, verpasst die Schönheit von Diversität und unterstützt Gewalt gegenüber sämtlicher LGBTs. Der kann, wohl wahr, kein guter Mensch sein. Aber vielleicht ja zu einem besseren werden? Mira Duma beteuert derweil, „nicht mehr diese Person von damals zu sein.“
Der Vorwurf von Bigotterie ist natürlich immer nachvollziehbar, wenn es um Geld und Ansehen geht. Die Aussagen Dumas von damals bleiben weiterhin unfassbar, untragbar. Aber wie damit umgehen, jetzt? Wir müssen darüber reden, ganz bestimmt und oft. Wir können besagte NEtschuldigung kritisieren, ja, das gesamte System. Aber wer sind wir, ein öffentliches Urteil über einen Menschen zu fällen, den wir nicht kennen, das über Sachlichkeit hinaus geht. Niemand von uns wird je ergründen, welche Version hier wahr oder falsch ist, wir werden nie erfahren, ob Mira Duma eine homophobe Rassistin mit Leib und Seele ist, die POC gern als N*** sieht und ihre Kinder vor „den Transgendern“ beschützen will, ob sie eine Heuchlerin oder bloß Opfer ihrer Sozialisierung ist. Oder auch:
Ob sie sich mittlerweile vielleicht wirklich ein netterer Mensch geworden ist, ob sie sich zum Guten hin verändert und emanzipiert hat von einer Meinung, die zumindest in Miras Millieu keine Ausnahme sein wird.
Aber wir können entscheiden. Darüber, was wir aus dieser Lektion lernen, wer wir sein und in was für einer Welt wir leben wollen. In Marc Goehrings Welt jedenfalls würde ich mich überaus unwohl fühlen. Der trieb die mediale Verurteilung Dumas, die mit Todeswünschen und Morddrohungen als Reaktion auf das Geschehene begonnen hatte, mithilfe von Photoshop nämlich jüngst auf die Spitze:
Ich frage mich deshalb: Kann Hass die korrekte Antwort auf Hass sein? Ist Verhöhnen besser als Verzeihen? Und wenn man nicht verzeihen kann, ist es nötig, zu mobben? Reicht es nicht, zu diskutieren und zu verurteilen? Ist eine verleumdende Provokation besser als ein kluges Statement, das der Diffamierung erhaben ist? Viele finden: Ja – und vergessen dabei, dass sie sich mit ihrem Verhalten auf die Spuren des Alten Testaments begeben: „Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde.“ (Exodus 21,23–25) Das kann man natürlich so machen. Sollte man aber nicht, im Jahr 2018, wenn man etwas gegen Arschlöcher hat. Sonst ist man nämlich vielleicht selbst eines.
Duma jedenfalls hat mit sofortiger Wirkung ihre Position als Mitgründerin bei The Tot, einem Onlineshop für Kinder, verloren (ich finde, sie hätte jene aufgrund ihrer „Auffälligkeiten“ überhaupt nicht inne haben dürfen). Sie hat die Kommentarfunktion ihres Instagramkanals deaktiviert. Sie hat gesehen, dass ihre jüngsten Fehler (ebenso wie die älteren) Konsequenzen mit sich ziehen. Dass sich nun Menschen gegen sie stellen, die auch nach dem längst bekannten Fehltritt im Jahr 2014 (da veröffentlichte sie über einem Interview das Foto einer weißen Kunstsammlerin, die auf einem Stuhl saß, der einer geknebelten Schwarzen nachempfunden war), kein Problem damit hatten, sich weiterhin gemeinsam mit ihr zu zeigen, vor allem in den Sozialen Medien. Sie kann beobachten, wie ihre Karriere (vielleicht aus den richtigen Gründen mithilfe der falschen Mittel?) zugrunde geht. Vielleicht, weil sie ein Monster ist, es, wie viele behaupten, „verdient“ hat. Ganz vielleicht aber auch, weil das Internet erbarmungslos ist und Mira Duma saudämlich.
Marc Goehring schrieb mir übrigens:
„(…) Es ist nur eine Photoshop-Aktion von zwei Minuten gewesen. Es ist auch kein Hass auf sie. Es ist einfach nur ein Zeichen, dass man mit allem durchkommt. Sie ist eine der privilegiertesten Frauen der Welt, die sich in Interviews als Aktivistin und Philanthropin darstellt, die die Welt verändert.“
Ich verstehe die dahinter stehende Intention durchaus gut, denn auch ich bin wütend und begrüße deshalb seinen aktionistischen Durst nach Diskussion. Finde aber trotzdem, ein Pullover mit der Aufschrift „I’M A BULLY. I’M JUDGMENTAL. I`M WITHOUT SIN SO I CAST THE FIRST STONE.“ stünde ihm überhaupt nicht gut.