Lourdes Ciccone Leon, Madonnas 21-jährige Tochter, steht ihrer Mutter in Sachen Unangepasstheit und Style in nichts nach. Schon vergangenes Jahr vertraute MadeMe auf Lourdes und buchte sie als Aushängeschild für die Kooperation mit dem Streetware Label X-Girl. Jetzt haben sich MadeMe und Converse zusammengetan, eine Kollektion für „revolutionäre Mädchen“ im Stil der frühen 90er Jahre designt und Lourdes wieder ins Boot geholt.
CONVERSE X MadeMe ist „by girls, for girls“ und möchte sich vom vornehmlich männlich dominierten Streetware-Markt abgrenzen. Dies geschieht mit knallgelben Track Pants, Schulterfreien Trägertops und den klassischen One Star-Platforms, welche auch als Cord-Variante daherkommen. Passend dazu präsentiert Lourdes, provokant posierend, nicht nur den coolen Lifestyle der Sonderkollektion, sondern auch das weiterhin vorherrschende Hauptmerkmal des heutigen, weiblichen Rebellinnentums: Ihre natürliche Körperbehaarung.
Ja, leider ja! Denn nachdem wir schon 2011 darüber geschrieben haben, fühlt es sich heute, sieben Jahre später, so an, als hätte sich in unserer Gesellschaft kaum etwas getan. Es gilt immer noch als radikal, wenn Frau an anderen Stellen Haar zeigt, als auf dem Kopf und es gehört immer noch Mut dazu, diese Natürlichkeit zu leben. Man sieht, hier in Berlin, zum Glück vereinzelt Frauen mit Achsel- oder sogar Beinhaaren, aber es ist noch immer ganz und gar nichts Alltägliches. Das uns von der Schönheitsindustrie aufdiktierte Ideal der glatt rasierten Frau ist immer noch allgegenwärtig.
2017 realisierte Adidas eine Kampagne mit Arvida Byström, einem schwedischen Model, welches sich, nicht nur auf Instagram, für Feminismus und die Aufhebung von Geschlechterrollen einsetzt. Dies tut sie behaart. Während ich mich damals freute, dass ein von der Norm abweichendes Frauenbild öffentlichkeitswirksam gezeigt wurde und somit theoretisch Grenzen und festgefahrene Muster hätten durchbrochen werden können, hat Arvida Byström Gewaltandrohungen en masse bekommen.
Nach und nach sprießte es unbemerkt überall und ich entschied mich diesen Prozess, allein aus der Neugierde heraus, wie meine natürliche Körperbehaarung überhaupt aussehen mag, zu beobachten. Schließlich hat Frau in der frühen Jugend gelernt: Haare am Körper gehören abrasiert und in ihrer Existenz knallhart weg ignoriert! Also galt es sie zu entdecken worauf ein kritischer Prozess der Auseinandersetzung folgte und ein Entschluss: Ich mache nicht mehr mit.
Es näherten sich Situationen unter der Dusche in denen ich mich hätte rasieren können, doch ich entschied mich dagegen. Bewusst, immer wieder, bis zum heutigen Tage. Das wäre alles kein Thema und fürchterlich egal, wenn es nicht zum Leben dazugehören würde, das Haus zu verlassen, sich der Gesellschaft zu präsentieren und als Frau abgecheckt und für angemessen, schön oder gar begehrenswert erachtet zu werden. Seit knapp einem Jahr spare ich enorm viel Zeit ein, die ich sonst fast täglich mit dem Rasieren aller möglichen Stellen meines Körpers verschwendet hätte – ein Traum! Gleichzeitig kostet es mich wohl ähnlich viel Zeit um mein Selbstbewusstsein immer wieder aufs Neue gerade zu rücken um den Blicken standzuhalten und mich dem Ideal der Gesellschaft zu widersetzen.
Bisher wurde ich nicht offen angefeindet. Die wenigsten Menschen beleidigen direkt, auf offener Straße, ohne sich hinter der Anonymität des Internets verstecken zu können. Unter dem Hashtag #rebelheart präsentierten Lourdes und ihre Mutter immer wieder ihre Achselhaare auf Instagram und ernteten neben Zuspruch immer wieder auch ablehnende Kommentare. Diese Last hat man zu tragen, sobald man in der Öffentlichkeit steht und nicht normkonform agiert.
Ich muss aber gestehen, dass ich das Gefühl habe, unsereins, die wir nicht Madonna oder Madonnas Tochter sind, hat es ein wenig schwerer sich gegen altbekannte Normen zu stellen. Wir werden nicht für thematisch passende Shootings gebucht und sind eventuell auch nicht umgeben von einer unterstützenden Blase, mit Menschen die unsere freie Entfaltung unterstützen.
Hashtagkampagnen wie #allehaaresindschön von “Auf Klo”, einem Talkformat für junge Mädchen, wollen wachrütteln und fordern zum Mitmachen auf. So sieht man in den Weiten des Internets, immer wieder mutige Frauen, die sich behaart zeigen und ein Zeichen setzen wollen. Ob sich ebendiese Menschen zeitnah wieder einen Rasierer schnappen um sich in der realen Welt, die Rebellentum offenkundig eher wenig feiert, wieder einzufügen?
Den oftmals starrenden Blicken von sowohl Männern als auch Frauen aller Altersklassen, Kinder ausgenommen, tagtäglich standzuhalten ist kein Zuckerschlecken und kostet eine Menge Mut. Mut, den kein Mensch nachvollziehen kann, der sich nicht für eine Weile im normalen Leben natürlich behaart gezeigt hat und dabei gleichzeitig als weiblich zu erkennen ist.
Ich persönlich ziehe ihn durch, meinen kleinen Akt der persönlichen Befreiung, obwohl ich behaarte Beine gegenüber glatten Beinen nicht unbedingt favorisiere. Eigentlich ist es mir schlichtweg schnuppe, ob Menschen glatte Achseln, Haare am Bauch, den Armen oder Beinen mit sich herumtragen.
Bedenkt doch bitte: Frau gehört gleichberechtigt zur Gattung Mensch, ist natürlicherweise behaart und sollte behaart sein dürfen – wie ein Mann. Dass dieser Idealzustand, bezogen auf viele weitere Bereiche der Politik und Gesellschaft noch lange nicht erreicht ist, ist bekannt. Das Thema der Körperbehaarung ist so banal wie ungerecht: Niemand sollte gezwungen sein immer und immer wieder Zeit, Energie und Ressourcen aufwenden zu müssen um einem konzipierten Schönheitsideal zu entsprechen. Vielen mag es gar nicht so bewusst sein, aber sollten die Temperaturen unverhofft in die Höhe schnellen, können sich Männer in Sekundenschnelle knappe Kleidung anziehen und sind startklar. Frauen dürfen das nicht. Frauen müssen alle sichtbaren Hautpartien, an denen zu viel Haar zu sehen sein könnte, bearbeiten und können erst dann das Haus verlassen.
Dieses ungleiche Spiel wiederholt sich für ungefähr die Hälfte aller Menschen fast täglich, ein Leben lang. Ich habe mit Menschen gesprochen, die nicht einmal wussten, dass Frauen so behaart sein können wie Männer. Es ist noch viel zu tun und da nicht davon auszugehen ist, dass die Schönheitsindustrie von selbst darauf kommt, wie sinnig es wäre, Frauen Natürlichkeit zuzugestehen, können wir uns nur alle ein bisschen mehr in bewusster Akzeptanz und Selbstliebe üben. Jeder Mensch sollte sich jedes Körperhaar nach Belieben entfernen oder nicht entfernen dürfen. Ich plädiere für eine Welt, in der behaarte Menschen keine Diskussionen über eben diese Behaarung auslösen und freue mich über jeden noch so kleinen Schritt: Über jede Frau, die es schafft, für einen Moment ihre Natürlichkeit zu akzeptieren und jede Kampagne, die Frauen abseits des vorherrschenden Ideals zeigt – gern auch nicht, um das weibliche Rebellentum zu unterstreichen.