Marc Jacobs hat es getan, Victoria Secret auch, Valentino ist ebenfalls mit von der Partie und selbst Caro Daur macht ab und an mit: Dabei, sich an anderen Kulturen zu bedienen, meine ich, im optischen Sinne. An nicht-europäischen traditionellen Gewändern und Frisuren zum Beispiel. Was beim H&M „Ethno Schmuck“ anfängt, reicht bis hin zum aufgemalten Bindi beim Open Air, auch der Federschmuck ist auf dem Coachella omnipräsent und dann wären da noch all die Rastazöpfe, so wie neulich neben mir in der U-Bahn. Alles gar nicht politisch korrekt? Das finden viele. Nun aber mal halblang. Kulturelle Aneignung bleibt zwar kulturelle Aneignung – ist sie aber immer gleichermaßen zu diskreditieren?
Anlässlich des Karnevals hatten wir ein ähnliches Thema bereits selbst auf dem Tisch. Aber auch pünktlich zu Beginn der nahenden Modewochen wird das optische Adaptieren anderer Kulturen stets heiß diskutiert. Sich mal hier, mal dort zu bedienen und ein Agglomerat aus vermeintlich „neuen Trends“ schaffen; kaum einem gelingt dies besser als der weißen Populärkultur. Immer dann, wenn Primark und Kylie Jenner mit dem neusten Schrei der Saison aufwarten, tauchen Tradition und Relikte nicht-westlicher Kulturen sogar auf Seiten wie Promiflash auf. Wow. Und so kommt es, dass Karlie Kloss und ihr Mohawk neulich allerorts und gut sichtbar gefeiert worden, auf Titelseiten großer Onlineformate. Die „Africa Show“ von Valentino wurde ebenfalls zum Hit und auch die Braids der Kardashians gelten als Dauerbrenner. So richtig sauer bin ich darüber schon lange nicht mehr. Nur mit meinem Latein am Ende vielleicht – und manchmal auch ein bisschen genervt vom Unverständnis vieler und der ewig schräg geführten Debatte.
„Was früher das chinesische Schriftzeichen auf der Wade war, ist heute die blonde Rastfrisur“, habe ich gerade erst jemanden sagen hören und musste schmunzeln. Wie konnte das überhaupt passieren?
Fest steht: Nahezu alles, was der weiß geprägten Popkultur fremdartig erscheint, wirkt gleichzeitig mit einer magischen Anziehungskraft auf sie ein. Ein japanisches Schriftzeichen ist edgy, ein arabischer Schriftzug besonders „street“ und zum Feiern wird man sich doch wohl noch noch zurecht machen dürfen, mit Bindies und Federn und allem, was dazu gehört? „Ich lasse mir keine Schriftart verbieten“, schreit der urbane und kulturell engagierte Wut-Mob und ich nicke irgendwie zustimmend. Verbieten will hier grundsätzlich erstmal niemandem etwas. Wohl aber kritisch hinterfragen – das können wir aufgeklärten Großstädter in der Theorie doch auch so wahnsinnig gut,. An dieser Stelle den Kontext zu beleuchten – das wäre immerhin ein Anfang. Weil es eben doch nicht ganz egal, sondern sehr wichtig ist, wo gewisse Accessoires und Traditionen denn eigentlich her kommen. Weil es selbstverständlich sein müsste, Rücksicht zu nehmen. Um nicht jene auszuklammern, die in diesen Traditionen wirklich zuhause sind.
Ich sage es mal so: Bei mir persönlich hört der Spaß spätestens mit deer Aneignung von religiösem Schmuck oder Gewändern auf. Nichts ist respektloser, als derartige Relikte ihrem natürlichen Umfeld im Sinne eines Modetrends zu entreißen. Deshalb liegt es mir besonders am Herzen, immer wieder darauf hinzuweisen, in jedem Individualfall nach der Sinnhaftigkeit der jeweiligen kulturellen Adaption zu fragen: „Warum trägt dieser Track als Titel ein japanisches Schriftzeichen? Ist das völlig cool und im Kontext als angemessen zu empfinden?“ Und: „Wie fühlt sich eigentlich eine Japanerin dabei?“ „Wo kommt der Trend zu Rastas her, warum trug und trägt man sie?“ Diese Fragen können überhaupt nicht grundsätzlich beantwortet werden, weil Kunst eben mehr als Oberfläche ist. Aber auch, weil Oberfläche nunmal Oberfläche bleibt. Beantwortet werden sollten sie deshalb dennoch. Aus Respekt. Und damit wir uns zumindest mit Dingen schmücken, dessen Bedeutung wir kennen.
Obwohl es auch viel eindeutiger geht. Zum Beispiel, wenn es um das Haupthaar geht. Nur wenige weiße Menschen tragen einen natürlichen Afro. Es scheint aber en vogue, sich langes Kunsthaar einzuflechten, einen Riesenknoten auf dem Kopf zu tragen oder Cornrows oder Turbane.
„Jetzt flechten! Mit dem Revival der Nineties-Frisuren haben sich auch Rastazöpfe wieder auf unsere Köpfe geschlichen. Karibik-Feeling inklusive. Das perfekte Sommer-Haar: Stil-Ikonen wie Rita Ora tragen den angesagten Afro-Look schon. Zum Eingrooven haben wir aber auch eine softe Dread-Variante im Angebot“
Das zum Beispiel ist per se nicht verwerflich. Und Verbote? Wo kämen wir denn da hin? Manchmal macht aber der Ton die Musik. So wie in dem obigen Zitat.
Aua, Schwarzkopf – das muss doch nicht sein. Rhetorisch wurde hier nicht nur erschreckend unreflektiert daneben gegriffen, nein, das hier ist ein Zeugnis von Alltagsrassismus, wenn man so will. Es wurde noch dazu nämlich verschwiegen, dass besagter hübsche „Afro-Look“ ganz und gar nicht aus den Neunzigern wieder auferstanden ist, sondern geradewegs von denjenigen kommt, die ebenjene Frisur schon lange tragen – aber nicht wegen der Coolness. Ganz zu schweigen von dem weißen Model auf dem Header.
Neben unschönen Beschreibungen wie dieser von Schwarzkopf oder Promi Flash: „Ob nun als Sport- oder als Video-Frisur, feststeht, dass dieser Rasta-Look nicht wirklich zur sonst so eleganten Kim passt. Da ist uns die Wallemähne doch tausend Mal lieber“ (ähm, aha danke!), ist es vor allem die Art und Weise wie angebliche Trends, Ethno-Strömungen oder Boho-Looks propagiert werden: Wie bei Glamour zuletzt an weißen Models, Caro Daur oder Jennifer Rostock, die in ihrem erscheinen als „Rasta-Queens“ als stark und emanzipiert galten und ein großes Trendbewusstsein nachgesprochen wurde. Wer hat denn erst die Frisur so stark und emanzipiert erscheinen lassen? War ja klar!
Da soll doch jede*r die Frisur tragen die er oder sie mag. Ehrlich wahr. Prinzipiell hab ich nichts dagegen, dass Menschen sich ausprobieren, sei es in Sachen Mode, Make-Up oder eben auf dem Kopf, aber liebes Mediendeutschland, sei doch bitte so gut und unterschlage nicht die wahren UhrheberInnen von Dreadlocks, Boxbraids und Co. Die sahen nicht nur genau so wundervoll aus wie die weiße Trägerschaft, sondern haben den Trend viel mehr als Notwenigkeit zum Haarschutz, zur Haarpflege und der Anpassung an eine weiße, glatt- und langhaarige Gesellschaft verstanden. Schon seit Jahrzehnten nämlich und nicht als prämilenialer Trend.
Während ich „Africa Fashion“ und „Afro Looks“ also erst gar nicht mehr diskutieren will, mag ich gleichzeitig inständig daran glauben, dass auch meine Sitznachbarin in der Bahn neulich ganz genau weiß, was sie da derzeit auf dem Kopf trägt. Ich will, dass wir Respekt voreinander haben. Ich will, dass wir frei entscheiden können, zu welchen Accessoires wir greifen. Aber unter gewissen Bedingungen, ohne die die Wertschätzung auf der Strecke zu bleiben droht.
Vor allem aber will ich mich endlich über diesen interkulturellen Kanon freuen können – sofern die Botschaft, die Geschichte und vor allem die kulturelle Bedeutung diverser modischen Erscheinungen auch wirklich bei denjenigen angekommen sind, die sich mit ihnen schmücken. Wenn jetzt noch die Medien einlenken und sensibler werden, dann stehen die Chancen ja sogar ganz gut.