Interview // Almost 30 – Warum wir für immer fast-erwachsen sind

18.06.2018 Leben

„Mit twenty-something wird erstmal studiert, gereist und gelebt. Bis auf einmal die große 30 am Horizont erscheint und du dich fragst: Wo stehe ich eigentlich und wo möchte ich hin? Du stellst fest, dass dein Facebook-Feed voll von Hochzeitsbildern, Baby-Glückwünschen und Karrieretipps ist. Du klappst den Laptop zu, schaust auf den leeren Pizzakarton auf deinem Bauch und fragst dich: Wann ist das alles passiert? Und wo war ich?” – So beschreibt Marie Krutmann das Gefühl des Almost-30-Seins. Zusammen mit ihrer Schwester Hannah und ihrer Freundin Hannah Rosenkranz hat sie sich der Idee verschrieben, ein ganzes Magazin über diese gewaltige Emotion zu gestalten, die zwischen wohliger Nostalgie und immerhin belebender Zukunftspanik changiert. Jetzt fehlt nur noch ein wenig Unterstützung. Und die hat sich das internationale Kollektiv rund um die drei Berlinerinnen mehr als verdient. Wir wissen jetzt nämlich erstens, dass wir nicht allein sind und zweitens, wie wir diesen Gemütszustand des niemals richtig Erwachsenwerdens in zwei einfache Worte fassen können, ganz gleich wie alt wir tatsächlich sind: Almost 30. Das sind wir. Und wir sind viele.

Was schön ist und gar nicht schlimm. Das weiß ich spätestens seit meinem Gespräch mit Co-Gründerin Hannah Krutmann, die fest daran glaubt, dass wir für all das Nachdenken und Zweifeln und Suchen am Ende reichlich belohnt werden: Mit einem Leben, das nicht stillsteht.

Mit dem Launch des Magazins Almost 30 widmen sich die Gründerinnen Hannah Krutmann, Marie Krutmann und Hannah Rosenkranz dem Lebensgefühl einer ganzen Generation. Mitwirkende aus verschiedenen Ländern schreiben, fotografieren und illustrieren eine Hommage an das Gefühl, niemals ganz erwachsen zu werden. Die erste Print-Ausgabe zum Thema Freundschaft soll im September 2018 erscheinen. Mit einer Crowdfunding-Initiative sucht das Team aktuell nach finanzieller Unterstützung.

Liebe Hannah, „Almost 30“ – das ist ein allumfassendes Lebensgefühl und kein Alter,  richtig? Ich spüre es jedenfalls ganz tief in mir drin und mehr denn je – seit ich tatsächlich 30 bin.

Ja, absolut. Es ist, glaube ich, wirklich irrelevant, wie alt du auf dem Papier bist um dich almost 30 zu fühlen. Viele der Themen, die zum Almost-30-Gefühl dazu gehören, tauchen sicher tatsächlich verstärkt auf, wenn man eben fast 30 ist. Aber das heißt nicht, dass man sie nicht auch schon davor oder danach noch im Kopf herumschwirren haben kann. Almost 30 ist ein Gefühl von persönlicher Freiheit. Quasi erwachsen zu sein und alle Entscheidungen für das eigene Leben frei treffen zu können – Wo will ich leben? Mit wem? Will ich Kinder? Welchen Job will ich? Aber natürlich bringt diese Freiheit oft auch eine lähmende Überforderung mit sich. Weil man plötzlich vor vielen Entscheidungen steht. Das Almost-30-Gefühl hat also so viele Facetten, dass es durchaus als Lebensgefühl durchgeht – und mehr ist als eine vorübergehende Emotion.

[typedjs]„Der zugleich aufregende und beklemmende Meilenstein des 30. Geburtstags ist ein relevantes Thema, mit dem sich all diejenigen identifizieren können, die einerseits von den Privilegien eines erwachsenen Lebens profitieren, sich andererseits jedoch stets die Hintertür zur Jugend offen halten."[/typedjs]

Das klingt ein bisschen so, als sei Almost 30 zu sein (ob nun auf dem Papier oder auch nur im Kopf) zu gleichen Teilen anstrengend, verwirrend, schlimm, aber auch schön. Und abenteuerlich. Vielleicht sagen wir es so: Das Almost 30-Gefühl ist vor allem ein ziemlich lebendiges. Aber auch ein sehr wichtiges – für alles, was kommt. Warum?

Ja, lebendig – das trifft es ganz gut. Du hast dieses Gefühl als anstrengend bezeichnet und das ist es ganz bestimmt. Aber eben nicht nur im negativen Sinne. Natürlich fordert es einen immer wieder heraus, sich mit seinen eigenen Wünschen, Ideen und Möglichkeiten zu beschäftigen und außerdem regelmäßig zu überprüfen, ob das jetzige Leben überhaupt noch das ist, das man möchte. Vermutlich ist es sogar etwas weniger anstrengend, sich einmalig für einen Weg zu entscheiden, der ganz klassisch sein kann: Hochzeit, Kinder, Eigenheim, Beamtenjob und dann dabei bleiben – egal welche Zweifel aufkommen. So kann man das natürlich machen. Auch gut. Wenn man sich stattdessen aber Vieles offen hält und der eigenen Entwicklung mehr Beachtung schenkt, erfordert das sicher große Anstrengung. Die wird aber auch belohnt. Es ist nämlich viel Bewegung und auch vieles im Fluss in einem solchen Leben. 

Es gibt sie ja tatsächlich, diese Menschen, die schon immer wussten, was sie glücklich macht. Zumindest vermeintlich. Ich bewundere das ein Stück weit. Viele davon würden uns (ich zähle mich jetzt einfach mal zum Club dazu) aber vermutlich als ewige Kinder bezeichnen. Ich persönlich fasse das inzwischen als Kompliment auf. Ist es nicht schön, niemals so ganz erwachsen zu werden?

Ich bewundere sie auch, die Menschen, die schon immer wussten, was sie glücklich macht! Aber ich vermute auch: So verschieden sind wir nicht. Ich glaube nämlich, dass die auch ab und zu Almost-30-Momente haben.

Und ja, immer auch ein bisschen Kind bleiben – das sollte man unbedingt als Kompliment auffassen, denn hey, viele von uns hier leben frei und eigenständig, wir verdienen unser eigenes Geld und knüpfen wertvolle Kontakte. Das ist alles sehr verantwortungsbewusst und erwachsen, da ist die Gefahr schon groß, dass man das Kindliche verliert. Deswegen ist es doch fantastisch, wenn man sich die kindliche Leichtigkeit behält, wenn man mal albern ist, mal etwas vergisst oder ein bisschen bequem ist. Das ist doch absolut charmant. Hoffe ich. Ich glaube fest daran, dass wir für ein glückliches Leben nicht nur ruhen und arbeiten, sondern auch spielen müssen. Play – Rest – Work – Balance oder sowas.

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Geht es genau darum auch in eurem Almost 30 Magazin? Ich stelle es mir ein bisschen wie einen kleinen Schubser einer gute Freundin vor, die sagt: „Wir gehen alle mal durch die Scheiße. Wir wissen alle mal nicht weiter. Aber das ist gar nicht schlimm, sondern das Leben.“

Ein Schubser, das ist vielleicht schon zu fordernd formuliert, weil es suggeriert, dass du etwas anders machen solltest. Unser Magazin agiert aber auf Augenhöhe mit dir. Es will gar kein klassisches Lifestyle Magazine sein, das dir ständig einen Rat geben, mögliche Lösungen präsentieren oder dich motivieren will, „endlich dein Sexleben neu zu gestalten“ oder „endlich dein Gehalt zu verhandeln“. Bei Almost 30 bekommst du ein Timeout. Hier musst du nichts tun oder verändern (das machst du sonst ja schon die ganze Zeit). Du erfährst im Magazin viel eher von den Geschichten und Situationen und Herausforderungen, denen sich andere stellen, die almost 30 sind und kannst dich sicher mit der ein oder anderen Geschichte identifizieren. Das kann ja aber auch sehr hilfreich sein. Die Texte auf Deutsch und Englisch sollen Raum für Identifikation bieten, hinterfragen aber auch die gesellschaftlichen Priorisierungen von Karriere- und Familienkonzepten.

[typedjs]„Wir bringen die verstreuten Inhalte der sozialen Netzwerke in den festen Rahmen eines Printmagazins. So ersetzen wir deren Anonymität, übersteigerte Selbstdarstellung, Neid und Konkurrenzdenken mit einem Sicherheitsnetz, das ehrlichen Austausch und eine kooperative Community bietet” - Art Director Hannah Rosenkranz[/typedjs]

Macht euer Magazin Mut? Den braucht man ja, um genau das zu tun, was man selbst will, statt das, was die Anderen machen oder erwarten.

Ja. Ich denke, vor allem die Community drum herum macht Mut. Zu wissen, dass jemand da ist, der dich versteht und zu sehen, dass du nichts falsch machst und dass andere fühlen, was du fühlst, das ist doch ermutigend. Die Community um Almost 30 soll auf jeden Fall unterstützen – wie ein guter Freund oder eine gute Freundin. Passend dazu geht es in der ersten Ausgabe ja auch um Freundschaft: Almost 30 – the friendship issue.

Welche Geschichten werden denn in der Friendship Issue erzählt?

Es gibt zum Beispiel sehr persönliche Essays zu lesen, die sich damit beschäftigen, sich schwer verlieben zu können und dafür die Antidepressiva verantwortlich zu machen. Oder damit, mit 30 den Job gekündigt zu haben um reisen zu gehen und eine ganz neue Richtung einzuschlagen. Wir reden aber auch darüber, wie Freundschaften sich verändern wenn Karriere und Familienplanung einen mehr und mehr isolieren. Und überhaupt: Warum steht Freundschaft nicht auf der Liste der Lebensziele? Ein Experiment gibt es auch: Die Frage, die wir uns hierfür gestellt haben war, ob man Freundschaft planen kann – dafür haben zwei sich unbekannte Personen auf ein Freundschafts-Blinddate geschickt.

Und wie werde ich Teil von alldem? Also Teil dieser Almost-30-Gemeinschaft, die nach einer ziemlich guten Gesellschaft für Hirn und Herz klingt?

Der erste Schritt ist sicher der, dass du dich einfach angesprochen fühlst. Wenn du almost 30 im Herzen bist, dann gehörst du ja schon ganz automatisch dazu. Wir freuen uns aber natürlich besonders über alle, die sich einbringen und das Gefühl nach außen tragen wollen. Wir sind zum Beispiel immer total begeistert, wenn unsere Posts auf Social Media kommentiert oder geteilt werden, wenn wir Emails oder DMs erhalten von Personen, die für uns schreiben, fotografieren oder illustrieren möchten und natürlich auch, wenn jemand stolz das Almost 30 Shirt trägt und die Stadt oder den Laptop mit unserem Sticker verziert. Die Gespräche, die dadurch entstehen, sind unfassbar bereichernd.

Erzähl mal von deinem Lieblingsgespräch. Welcher Moment war besonders prägend? 

Gerade vorgestern habe ich jemanden kennengelernt, der fantastisch ist. Er ist Lehrer, verheiratet und hat ein Haus – so richtig mit Garten und Geräteschuppen und so. Also echt „erwachsen“ und auf dem Papier auch schon eine ganze Ecke über fast-30. Ich hatte mein Shirt an und wir fingen an zu reden und seine Augen fingen mit einem Mal an zu leuchten – da erklärte ich gerade, dass es doch wirklich egal ist, wie alt man wirklich ist und dass es um das Gefühl gehe und da er sagte: “ Das ist ja genau für mich!“. 

Da wurdet ihr unverhofft Verbündete. 

Es ist schwer diese Situation in die richtigen Worte zu fassen, weil es so simpel klingt, aber dieser Moment des Strahlens und Sich-Verstanden-Fühlens, als habe ich ihm gerade seinen Soul-Tribe präsentiert, war unfassbar rührend.

 

Und wann wusstest du: Auch ich bin Forever-Almost-30?

Mein Almost-30-Moment war erstmal ein schleichendes Unwohlsein als ich 29 wurde. Ich habe zu dieser Zeit hart an meinem ganzen Leben gezweifelt, vor allem, als ich verglichen habe, was meine eigenen Eltern in diesem Alter schon alles „erreicht“ hatten und da habe ich mich natürlich gefragt, was ich selbst „vorzuweisen“ habe. Mir wurde klar, dass das, worauf ich vermutlich am meisten stolz bin, in meinem Leben, meine großartigen Freundschaften sind. Deswegen habe ich für genau diese Freunde dann ein kleines Festival geschmissen! Das Almost 30 Festival. 

Die Idee zum Magazin war damals also viel kleiner. Es sollte eine Art Zine für das Festival werden. Statt Line-Up Broschüre sollte es quasi ein Zine mit Beiträgen aller Gäste geben, damit sie sich schneller kennenlernen. Die Beiträge, die wir bekamen, waren aber viel ernster und stärker als gedacht und so entwickelte sich die langsam Idee weiter. 

Almost 30 ist erst almost finanziert. Damit sich das schnell ändert, könnt ihr noch 13 Tage lang für dieses großartige Projekt in die Bresche springen, mithilfe von Startnext Crowdfunding. We are almost 30 forever – join the cult! 

[typedjs]Togetherness - Das steckt als Kern ganz fest im Almost-30-Gefühl drin.[/typedjs]

Das klingt wunderbar. Wir tauschen vermutlich viel zu selten unsere Gedanken aus, vor allem zu Themen, die auch mal weh tun können. Dabei schwant mir gerade, dass ich wahrscheinlich niemanden kenne, der oder die nicht irgendwie noch immer Fast-30 ist, in Herz, Kopf und Bauch. Wir sind also viele. Vielleicht sogar eine ganz neue Generation?

Eigentlich tue ich mich ein bisschen schwer damit, zu behaupten, wir würden das Gefühl einer ganzen Generation beschreiben, weil wir immer versuchen, nicht über den Dingen zu stehen, sondern auf Augenhöhe zu kommunizieren. Aber doch, ich glaube, das könnte es wirklich sein! Wir sind die letzte Generation, die noch ohne Handy aufgewachsen ist, wir wissen noch wie „einfach“ es war vor Tinder zu daten und doch sind wir begeistert von all den Möglichkeiten, die uns ständig geboten werden.

Wir stecken also ein bisschen fest zwischen Nostalgie und einer ungewissen Zukunft.

Ganz genau. 

 

Aber daraus kann Wunderbares entstehen. Neue Gedanken und Wege oder eben ein Magazin. Was hat dich das Arbeiten an diesem Projekt gelehrt? 

Das Projekt hat mich ganz schön viel gelehrt. Vor allem, dass Großes entstehen kann, wenn man Dinge Schritt für Schritt geschehen lässt und gemeinsam wächst. Mit meiner Schwester zu arbeiten, ist dabei für mich etwas ganz Besonderes.

Und was hast du am Almost-30-Gefühl am liebsten?

Mmmh, am liebsten habe ich das Gefühl, dass wir nicht alleine sind. Togetherness – Das steckt als Kern ganz fest im Almost-30-Gefühl drin. Obwohl man auf den ersten Blick vielleicht erst einmal all die Verwirrung und Unruhe sieht.

Danke, liebe Hannah. Ich freue mich, bald mehr von euch zu lesen.

Dazu müssen wir bloß noch etwas Geld sammeln. Leider ist Almost 30 erst almost finanziert.

Das kriegen wir hin. Alle zusammen. Wie auch alles andere. 

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