Es gibt da so ein Ritual zwischen mir und meiner guten Freundin A. Wir wohnen in unterschiedlichen Städten und immer dann, wenn wir uns gegenseitig besuchen, ergötzen wir uns nächtelang an der enormen Bandbreite schlechter deutscher Kinofilme. Das funktioniert auch auf Distanz, via Telefon, und zwar mindestens ein Mal pro Woche, je nach Wetter, Stimmung, Gusto und natürlich Filmangebot. Das hat sich irgendwann einfach eingebürgert. Denn ein ausgiebiger Rant über schlechten Schnitt, sexistische Stereotypisierung oder unschlüssige Kameraführung wirkt zwischendurch Wunder und wie Balsam für die Seele. Mal richtig Dampf ablassen und lästern über diesen fiktiven Nonsens da auf dem Bildschirm und eintauchen in die wunderbare Welt der Til Schweigers. Ein persönliches Escape Game eben, um dem Alltag zu entfliehen und sich immerhin über die aufzuregen, die unsere Motzereien ohnehin niemals hören werden. Seit geraumer Zeit hat sich auf meiner „Watch-and-rant-Liste“ aber ein ganz neues Genre positioniert. In weiser Voraussicht auf den düsteren Herbst habe ich also eifrig Trailer studiert und schließlich festgestellt: Der gemeine Liebesfilm ist meine neue Nemesis. Vielleicht war er es aber auch schon immer. Bloß merke ich gerade jetzt, dass mir diese rosarote Brille überhaupt nicht mehr gut tut, ganz im Gegenteil. Wegschauen konnte ich bisher trotzdem nicht. Ihr wisst schon. Es ist wie ein einziger Unfall.
Gut, hochsensibel bin ich schon. Aber trotzdem glaube ich, nicht allein dazustehen mit meinen emotionalen Vulkanausbrüchen im Angesicht dieser hyper-romantisierten Geschichten. Wenn etwa ein neuer Nicolas Sparks Trailer, oder auch einer aus der Indie-Ecke mich zu überollen droht, kullern ernsthaft schon in den ersten sieben Sekunden die Tränen. Sätze wie: „Ich werde dich niemals aufgeben, Stuart“, oder „Alle Geschichten sind Liebesgeschichten“, lassen jegliche Gehirnmasse binnen Sekunden zu Brei werden und einem Sturzbach aus Hoffnung und unerfüllten Wünschen meine Wangen herunterfließen, ganz besonders an PMS-getränkten Tagen, an denen selbst jedes umgestoßene Glas Wasser eine mittelschwere Lebenskrise auslösen kann. Ich gebe es mir trotzdem immer wieder. Immer, immer wieder. Selbstgeißelung forever.
Ich heule sowieso schnell, das stimmt. Und ich bin auch fix auf die emotionale Palme bringen. Am schlimmsten ist aber der Umstand, dass ich mir all das nicht einfach so anhören oder ansehen kann ohne eine gewisse Verbindung zu meinem eigenen Leben und meinen Erlebnissen herbei zu denken und in Windeseile die Taschentücher fliegen zu lassen. Weil bei mir ja alles anders ist als da bei diesen Übermenschen, alles weniger oder mehr, je nachdem. Also jedenfalls das Meiste. Mit ein Grund dafür, Greys Anatomy nach Jahren der Treue und wiederholten Binges adieu zu sagen: Liebes- und Familientragödien gepaart mit tödlichen Unglücksfällen brachten mich allabendlich um den Verstand. Schluss damit. Endgültig. Jetzt aber echt.
Und als ich mich dann neulich, beim Ansehen des Trailers von „Die Farbe des Horizonts“ (ja wirklich, WOW), bei einem leisen Seufzer gefolgt von einem seicht raus gepressten Tränchen ertappte, beendete ich wutentbrannt das Youtube Video. Ich sage euch wie es ist: Ich schaffe es einfach nicht, all dieses Blabla von meinem Leben zu trennen. All die Irrungen und Wirrungen, Niederschläge und Liebesbekundungen. Eine Portion Gratis Trauer dank Liebesfilm, obwohl doch gerade alles rosig läuft? Unerfüllbare und hochhaushohe Erwartungen an die eigene Beziehung schüren, die geradezu triefen vor Hollywood und nicht einmal in den Ferien und mit ganz viel Phantasie umzusetzen sind? Nein danke. Ach, und Hollywood. Das ist ja noch nicht einmal das Schlimmste. Richtig vertrackt wird es ja tatsächlich erst bei diesen Indie-Streifen, die immerhin gefühlt realistisch rüberkommen. Aber sagt mir: Wer kann schon 84 Stunden nebeneinander im Camper sitzen, sich ständig totlachen, große Reden schwingen und verliebt Füße auf der Ablage kraulen?
Und so kommt es, dass ich beim Gerede über endlose Liebe und Seelenverwandtschaft unweigerlich an meine eigene Beziehung denken muss, dem dargestellten Ideal hinterher trauere und nicht in der Lage bin zu differenzieren, was nun Realismus oder völlige Traumtänzerei ist – obwohl ich erwachsen bin. Wie kann es sein, dass mir gestandene Frau, die idealtypische filmische Darstellung von Mann, Frau und Liebesbeziehung so sehr an die Nieren geht? Und woher rührt es, dass ich den Rotz über Friede Freude Eierkuchen, über dieses ewige „wir sind füreinander bestimmt seit dem wir uns damals im Sandkasten trafen“ dann irgendwie kurz als überaus herzerwärmend empfinde, um mich im nächsten Moment schon wieder vor meiner eigens implizierten Sehnsucht nach Perfektion zu ekeln? Abgesehen davon bin ich sicherlich auch nicht die Einzige, der Sexismen, Grenzüberschreitungen in vermeintlich erotisierenden Szenen oder die immer wieder gleiche Darstellung der Frau als heiratswütiges Biest, das einzig und allein auf der Suche nach dem Richtigen zu sein scheint, auffallen und übel aufstoßen.
Ich weiß – niemand zwingt mich irgendetwas zu konsumieren, schon gar nicht Dinge, die ich nicht abkann. Wäre da nicht Routine und die Gier nach mehr, selbst wenn’s weh tut. Unterhaltsam und kurzweilig sind solche Filme ja noch dazu. Man denke nur an den xten Verschnitt von „Das Leuchten der Stille“. Oder an den Super-Gau „Wanderlust“. Unglaublich, was da los war. Danke Jennifer Aniston. Ein bisschen Spaß macht das Ersaufen in Wut und das Echauffieren ja schon. Und ja, es kann am Ende sogar doch ein wenig heilsam sein. Also wieder: Machen, sein lassen, hinschauen, wegsehen?
Manchmal hilft es schon, das Hirn ganz bewusst anzuknipsen: Ein Film ist nunmal ein Film ist ein Film. So wie Instagram nicht das echte Leben ist. Mit dieser nicht neuen, aber schwer zu kapierenden Erkenntnis, kann so ein Ventil zum Weinen ab und an sogar wieder gut tun. Genau wie die 0-8-15 Unterhaltung, die beim Abschalten hilft – solange wir nicht vergessen, nicht allzu streng mit uns selbst zu sein, in jedweder Hinsicht. Denn was ist schon normaler als der soziale Vergleich, sei es nun mit der Freundin oder seltener mit der Fernsehliebelei. Ja, diese Vergleiche lauern überall. Trotzdem sollten wir uns von ihnen befreien.
Wisst ihr, vielleicht bin ich schlichtweg auf dem falschen Dampfer unterwegs und mein ohnehin furchtbarer Filmgeschmack spielt mir seit jeher einen Streich: Kenne ich die richtig guten Liebesfilme einfach nicht? Klar habe ich Call Me By Your Name gesehen und geliebt, und auch The Lobster fand ich grandios, aber da muss es doch noch mehr geben. Etwas, was vielleicht mehr auf Problematiken eingefahrener Beziehungsmuster eingeht oder unterrepräsentierte Beziehungstypen bespricht (und ich meine jetzt nicht Mila Kunis Meisterwerk „Friends with Benefits“) oder zumindest mal ein nicht rein weißen Cast hat (das Fass will ich gar nicht erst aufmachen), das wäre doch schonmal was. Vielleicht muss einfach mein Horizont erweitert werden. Damit ich endlich wieder ruhigen Gewissens ein Tränchen verdrücken kann, weil die da im Film eben doch ein bisschen so sind wie ich.