Die Sandale tut mir gerade zu leid. Gedisst, verschrien, ignoriert wurde sie. Jahrelang. Umschlungen von 80-Jährigen Wasserfüßen, gepeinigt von dunkelschwarzen Dreckszehen und Tourifüßen aller Herren Länder, fristete sie ein trauriges Leben fernab von Modelbeinen und Modemädchen. Wer sich ihrer dennoch annahm, tat dies entweder aus Verzweiflung, Unwissen oder Ignoranz gegenüber jedweder Stiletikette. Wir reden hier nicht von Zehen-Slippern oder Riemchen-Schuhen, nein, dieser Text ist dem Urmodell aller luftigen Lederbegleiter gewidmet.
Als ich drei war, oder vier, vielleicht auch erst zwei, bescherte meine Familie mir mein erstes Paar Sandalen der Marke „Elefanten“. Gut für Kinderfüße, weil ordentliche Sohle. Dann klopfte die Pubertät an mein schamerfülltes Herz. Mit zunehmendem Blick auf die Trends dieses Landes, stellte ich schon in jungen Jahren fest, dass nicht nur mein Erdkundelehrer, der mit Vorliebe das Modell „Wandertauglich“ inkusive brauner Socken ausführte, Schuld war am Verfall der Ära der Bequemlichkeit. Denn selbst Komfort steht nur so lange an erster Stelle, wie man sich selbst angesichts der leidenden Optik nicht in die Positions eines Affens katapultiert.
Vorbei war es plötzlich mit der Leichtigkeit, vorbei mit der Freiheit für alle zehn Zehen. Man trug Flip Flops und sonst nichts, wenn ich mich recht erinnere. Blasen zwischen Dickem und Zeige-Zeh inklusive, mal ganz abgesehen von dieser Greifvogel-artigen Haltung, der man sich bedienen musste, sofern man nicht nach zwei Metern Marschweg ganz ohne Plastik-Edition umher laufen wollte. Wer eine deutche Durchschnittssandale ausführte, bewies entweder Geschmacklosigkeit oder Mut. Höchstens im Urlaub wurden böse Assoziationen mit amerikanischen, dickbäuchigen Touristen klammheimlich unter den Tisch fallen gelassen – außer man fand den braungebrannten Jüngling am Pool ganz nett. Dann tat man zumindest so, als gehöre man nicht der Riege der personifzierten Peinlichkeit an.
Mit den verfliegenden Jahren erschien das sommerliche Fußwerk dann wieder ganz langsam am Horizont der Modemagazine. Man wird schließlich nicht jünger und die Füße nicht fitter. Zeit also für eine Revolution im Namen der Orthopädie. Mit einem lauten Knall platze ein Regen von Birkenstocks auf uns ein. Im letzten Jahr feierte die Traditionsmarke dann ihren endgültigen Aufstieg in die Schickeria. Eine logische Konsequenz? In Anbetracht des Öko-Booms und der inzwischen feiertauglichen Jutebeutel schon.
Zurückspulen, bitte. Vielleicht stieg die Anzahl der Sandalen an silsicheren Füßen nicht im Geringsten, wohlmöglich lebten Touris, Assis, Rentner, Hipster und Erdkundelehrer schon immer in einer Art Coexistenz an einenader vorbei, ohne sich vom identischen Schuhwerk beirren zu lassen. Vielleicht fiel mir bisweilen nur noch nicht auf, dass das ewige Credo „Alles ist erlaubt“ schon längst auch den Fußhimmel erreicht hat. Fest steht: Stilvorschriften haben ausgedient. Wer sagt, Sandalen seien was für Deppen, ist selbst ein Depp. Mit Stolz trage ich seit einiger Zeit schwarze Flitzer mit ausgeprägten Fußbett duch die Welt. Weil meine Krüppel-Ballen und deformierten Zinnel im Sommer eben auch eine Prise Urlaub verdient haben.
Sandalen sind mega cool, basta. Und mein Erdkundelehrer hat ob dieses enormen Selbstbewusstsein einen Hut voll Lob verdient. Scheiß auf alles. Weil Schweißfüße unter freiem Himmel ausdünsten können, der Knochenbau korrigiert wird und der Zwang, permanent zu kleine Schuhe zu kaufen, für einen kleinen Moment aus dem Kopf verschwindet. Sandalen sind das einzig Wahre, wenn das Thermometer + 25 Grad Celsius anzeigt. Es ist mir ganz egal, wenn fortan der Blick auf meine minder prächtig geratenen untersten Körperteile freiliegt – so sehen sie nun mal aus, meine Füße. Und weil’s eben meine sind, werde ich von nun an ihren Bedürfnissen lauschen, ihrem Drang ab und an mal ganz entpsannt frische Luft schnappen zu können, folgen. Sind ja auch schon 23 Jahre alt, die Guten. Angenommen ich würde 100 Jahre alt werden, müssten sie also noch schlappe 77 Jahre gesund bleiben – und das geht eben nicht in Gefangenheit.