Sachsen also. Mal wieder. Weiß ja jede*r, dass die Leute da ein bisschen komisch sind. Die sind halt alle Nazis und die Wiedervereinigung, tja, die haben die eben nicht besonders gut verarbeitet. Im Prinzip wollen die doch die DDR zurück, weil, damals war ja alles besser. Außerdem sprechen die in Sachsen irgendwie komisch, das klingt schon ziemlich blöd, kein Wunder, dass man die da nicht für voll nimmt. Die AfD ist da die stärkste Kraft, was erwartet man eigentlich.
Suche nach Sündenböcken
Sachsen. Viele Menschen, die noch nie dort gewesen sind, oder vielleicht mal kurz in Leipzig oder Dresden vorbeigeschaut haben (#Hypezig, Semperoper) haben erstaunlich gefestigte Meinungen zu diesem Bundesland. Sachsen ist in den Augen vieler Bundesbürger*innen so furchtbar, da müssen sie sich für die Probleme ihrer eigenen Bundesländer nicht schämen. In Sachsen tummelt sich alles, was rechts, asozial und irgendwie nicht so ist, wie Deutschland sich gerne nach außen hin geben möchte.
Es mag sein, dass die (politische und gesellschaftliche) Situation in Sachsen eine besondere ist, dass hier Fremdenhass und nationalsozialistisches Gedankengut besonders gut gedeihen. Das bedeutet aber nicht, dass der Rest Deutschlands keine Probleme mit Rechtsradikalismus hat. Es bedeutet nur, dass man gerne ostdeutsche Sündenböcke sucht für ein mehr oder weniger gesamtdeutsches Problem, weil es immer einfacher ist, aus einem solchen Problem ein Problem der anderen zu machen. Der Osten ist ja nicht Deutschland.
Neonazis in Dortmund
Ich komme aus Herne, einer Stadt im Ruhrgebiet. Herne geht es wirtschaftlich nicht gut, wie es sowieso vielen Städten im Ruhrgebiet nicht gut geht. Herne hat Schulden, die Arbeitslosigkeit sinkt zwar, beträgt aber immer noch 10,9 Prozent. Bei Rankings zur Lebensqualität landet Herne regelmäßig ganz hinten, manchmal fragen mich Menschen: „Krass, ist das da wirklich so schlimm?“ Ich erkläre dann gerne, dass Herne ja aus Herne und Wanne-Eickel besteht – beide Städte wurden 1975 zwangsvereinigt – und eigentlich Wanne-Eickel für die schlechten Statistiken verantwortlich ist. Als letztes Jahr Marcel H. in Herne einen Doppelmord beging, sagte eine Herner Freundin sofort: „Das war sicher in Wanne-Eickel!“ (War es nicht) Die Probleme der anderen.
In Herne hat die AfD bei der letzten Bundestagswahl 13,4 Prozent geholt, was jetzt nicht so viel ist wie das Ergebnis der AfD in Chemnitz (24,3 Prozent), aber eben auch nicht wenig. Herne hat viele Probleme und viele Einwohner*innen scheinen zu denken, dass die AfD Lösungen bietet. So wie anderswo in Deutschland auch. Östlich von Herne liegt Dortmund, wo sich regelmäßig Neonazis zu Massenkundgebungen versammeln – so viele, dass Dortmund als westdeutsche Neonazi-Hauptstadt gilt. Als ich darüber mal mit einem Dortmunder Schriftsteller sprach, winkte der ab: „Die meisten der Neonazis wohnen ja nicht mal in Dortmund, die kommen von außerhalb.“ Sprich, die Nazis sind eigentlich keine Dortmunder Nazis. Die Probleme der anderen.
Unser gemeinsames Problem
Mit 18 Jahren fuhr ich zum ersten Mal in den deutschen Osten, ins sächsische Bernsdorf, um eine Freundin zu besuchen, die ich beim Jugendpressetag im Bundeskanzleramt kennengelernt hatte. Meine Freundin sagte mir, ich solle bis Hoyerswerda fahren, da würde sie mich mit dem Auto abholen. „Ja, Hoyerswerda“, setzte sie hinzu und klang schuldbewusst. Jedem Menschen in Sachsen ist bewusst, dass Sachsen auf ewig mit den Ausschreitungen in Hoyerswerda von 1991 in Verbindung gebracht werden wird, damals, als unter anderem ein Flüchtlingsheim angegriffen wurde. Heute steht Sachsen eben für Chemnitz. Wenn ich sage, dass ich aus NRW komme, kommt nie eine Antwort wie: „Ah ja, in Solingen gab es doch diesen Anschlag auf Menschen türkischer Abstammung. Da kommst du her? Und dann noch diese ganzen Nazis in Dortmund!“
Schon klar, NRW ist eben nicht Sachsen. Und trotzdem. Ich habe die Hoffnung, dass sich in Deutschland gerade etwas ändert im Umgang mit Rechtsextremismus. Dass mehr Menschen merken, dass Rechtsextremismus und Rassismus Themen sind, die uns alle betreffen sollten, egal, wo in Deutschland wir wohnen. Dass Chemnitz als Teil eines größeren, deutschlandweiten Problems wahrgenommen wird. Dass dieses Problem zu unserem Problem wird – und nicht das Problem der anderen bleibt.