Vor ein paar Jahren erzählte mir eine Freundin, damals in leitender Funktion in einem Unternehmen, dass sie sich schwer damit getan habe, eine mehrwöchige Urlaubsvertretung für sie zu finden. Nicht, weil es nicht genügend qualifizierte Kandidat*innen gegeben hätte. Nein, ihr Problem war, dass sie Angst vor der Konkurrenz hatte („Natürlich will ich nicht, dass mich jemand ersetzt“) – weshalb sie sich am Ende für einen Mann entschied. Ihre Begründung: „Ich weiß, dass das bescheuert ist. Ein Mann ist schließlich genauso Konkurrenz wie eine Frau. Aber es fühlt sich für mich anders an. Mit einem Mann werde ich weniger verglichen als mit einer Frau.“
Eine andere Freundin bewarb sich nicht auf eine vielversprechende Position – für die sie qualifiziert, ja, prädestiniert gewesen wäre – weil sie vorab die männlichen Kollegen gefragt hatte, wie die das finden würden. Die Antwort: Eher verhalten. Das verunsicherte meine Freundin, die sich zumindest Zuspruch erhofft hatte. War sie wirklich die Richtige für den Job? Sie glaubte es selbst nicht mehr. Als ein Mann den Job bekam, der viel weniger qualifiziert als sie selbst war und seine Arbeit so schlecht machte, dass sie diese quasi übernehmen musste (ohne das damit verbundene Geld und die damit verbundene Anerkennung), ärgerte sie sich: „Warum habe ich mich von den Jungs so verunsichern lassen? Ich hätte mich einfach bewerben sollen, statt auf deren Unterstützung zu warten.“ Ihre wenigen Kolleginnen hatte sie übrigens gar nicht erst nach deren Meinung gefragt – vielleicht, weil die Meinung der Männer gefühlt wichtiger war. Vielleicht, weil sie, wie meine andere Freundin, Frauen eher als Konkurrenz begriff als Männer.
Im ständigen Wettbewerb
Im Prinzip ist es kein Wunder, wenn Frauen so denken: Ständig wird ihnen eingeredet, es könne nur Eine geben. Rihanna ist die „neue Beyoncé“, Annegret Kramp-Karrenbauer die „neue Angela Merkel“. Und so weiter und so fort. Erfolg, so wird suggeriert, ist endlich und nur eine begrenzte Anzahl von Frauen können ihn haben. Wenn die Eine gewinnt, verliert die Andere. Auch Männer stehen in Konkurrenz zueinander, klar. Aber sie werden nicht in dem Maße gegeneinander ausgespielt wie Frauen.
Grund dafür ist ein Mythos, den Tavi Gevinson, Bloggerin und Gründerin des Rookie Magazine, treffend „Girl Hate“ getauft hat: Mädchen und Frauen wird eingeredet, sie befänden sich im Wettbewerb miteinander. Das wird dann „Zickenkrieg“ oder „Stutenbissigkeit“ genannt und so getan, als gehöre es für weibliche Menschen eben dazu, sich gegenseitig „anzuzicken“ und besser, beliebter, schöner sein zu wollen als die andere. Dabei ist daran nichts natürlich. Vielmehr werden durch die propagierte „Girl Hate“ Neid, Missgunst und Unsicherheit befördert sowie die Vorstellung, es könnte immer nur „die Eine“ von jeder Sorte geben: die Start-up-Gründerin, die Star-Autorin, das Cool-Girl. Hinter dem Mythos „Girl Hate“ steckt also ein gesellschaftliches Problem: Er trägt dazu bei, dass schon Mädchen und später Frauen sich selbst und andere Mädchen und Frauen klein halten und sich untereinander bekämpfen. Und er verhindert, dass sie ihre Energie in andere Dinge stecken. Banden bilden, zum Beispiel.
Frauen glänzen lassen
Hier greift die sogenannte „Shine Theory“, geprägt von der US-amerikanischen Journalistin Ann Friedman. Inspiriert hat sie ihre Freundin Aminatou Sow, mit der zusammen Friedman den feministischen Podcast Call Your Girlfriend betreibt. Sow, so berichtet Friedman, habe über ihre Freund*innenschaft gesagt: „I don’t shine if you don’t shine“. Es geht darum, dass Frauen sehr viel mehr davon profitieren, wenn sie sich gegenseitig unterstützen, als um Anerkennung, Lob und Erfolge zu wetteifern. Statt erfolgreiche oder einflussreiche Frauen als Konkurrenz zu sehen, sollte man sich lieber mit diesen zusammentun – zum Vorteil von allen. „Dich selbst mit den besten Leuten zu umgeben lässt dich im Vergleich nicht schlechter aussehen“, schreibt Ann Friedman, „es macht dich besser. Selbstbewusstsein ist ansteckend“. Für sie bedeutet das: „Wenn du eine Frau triffst, die auf einschüchternde Weise geistreich, stylisch, schön ist und beruflich viel erreicht hat, freunde dich mit ihr an.“
Letztendlich fordert die „Shine Theory“ Frauen dazu auf, zu Cheerleaderinnen von anderen Frauen zu werden – indem sie erkennen, dass Erfolg etwas feiernswertes ist, egal, ob es der eigene Erfolg oder der einer anderen ist. Denn der Erfolg einer Frau wirkt dem einer anderen nicht entgegen oder hebt ihn gar auf. Wenn eine Frau glänzt, glänzen auch andere. So rief Katrin Rönicke vom Lila Podcast auf Twitter dazu auf, die „Shine Theory mit Leben“ zu füllen und unter dem Hashtag #dieseFrau Lieblingsfrauen zu teilen und zu feiern. Rönicke nennt das „gegenseitig mit Glitter bewerfen“, und zwar in der Öffentlichkeit.
Die Angst, selbst auf der Strecke zu bleiben
Die „Shine Theory“ ist eine konstruktive Antwort auf die destruktive „Girl Hate“, ein radikaler Vorschlag, wie Frauen, gerade im beruflichen Kontext, anders miteinander umgehen können. Leicht umzusetzen ist sie allerdings nicht immer. Die Eingangsbeispiele meiner beiden Freundinnen zeigen das – zu groß ist oft der Konkurrenzdruck, zu sehr die Angst, selbst auf der Strecke zu bleiben, im Schatten anderer Frauen zu stehen. Als meine Freundin, die sich nicht auf die vielversprechende Position bewarb, mir im Nachhinein davon erzählte, war ich baff: Warum hatte sie nicht mit mir gesprochen? Ich kannte sie und das Medienunternehmen, für das sie arbeitete, gut, ich hätte sie darin bestärkt, sich zu bewerben. Als ich ihr das sagte, antwortete sie: „Du bist nicht die Erste, von der ich das höre. Von allen Frauen kam Unterstützung – ich habe stattdessen auf eine Art Erlaubnis der Männer gewartet.“ Ich und andere Freundinnen waren bereit, sie glänzen zu lassen, sie zu bestärken. Wer weiß, ob sie sich nicht doch auf die Stelle beworben hätte?
In anderen Situationen fällt es mir nicht so leicht, Freundinnen und Bekannte mit dem metaphorischen Glitter zu bewerfen. Mein Eindruck ist, dass es vielen Frauen so geht: Sie teilen regelmäßig ihren #GirlCrush in den sozialen Medien, nicht nur am #wcw (Woman Crush Wednesday) – und reagieren trotzdem eifersüchtig auf die Erfolge von Freundinnen und Bekannten. Vielleicht, weil die räumliche Nähe gegeben ist, weil man sich tatsächlich unmittelbar mit ihnen vergleichen kann, weil es einen selbst direkter betrifft. Es ist leichter, auf Twitter eine inspirierende Frau wie die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez zu feiern, als auf einer Veranstaltung von jeglicher Eifersucht befreit auf eine gefühlte (oder tatsächliche) Konkurrentin zuzugehen oder der neben einem sitzenden Bekannten ehrlich zu einem beruflichen Meilenstein zu gratulieren. Der Konkurrenzdruck ist real und andere Frauen für ihre Erfolge zu feiern fällt schwer, wenn man selbst den Eindruck hat, beruflich nicht weiterzukommen oder nicht dort zu sein, wo man gerne wäre. Oder glaubt, die Erfolge anderer würden die eigenen Erfolge überschatten.
Absage an die „Girl Hate“
Als eine meiner Freundinnen einen wichtigen Preis gewann, war mein erster Impuls zu denken: „Bitte nicht.“ Ich wollte mich für sie freuen, aber es gelang mir nicht. Fünf Minuten lang starrte ich frustriert vor mich hin. Dann fasste ich einen Entschluss: Ich wollte nicht die Art von Person sein, die sich nicht für Freundinnen freuen kann. Also schrieb ich meiner Freundin eine enthusiastische Nachricht, gratulierte ihr. Danach fühlte ich mich direkt besser. Ich hatte der „Girl Hate“ eine Absage erteilt – und mich stattdessen daran erinnert, dass es sich gut anfühlt, andere glänzen zu lassen.