Nun also Ryan Adams. Ryan Adams, bei dem man doch immer irgendwie davon ausging, dass er zu den „Guten“ gehört: Weil er so gefühlvolle Songs schreibt und in Interviews offen über Emotionen spricht, seine psychischen Probleme thematisiert. Weil er Indie-Musiker ist und als solcher ja grundsätzlich progressiver, pro-feministischer eingestellt ist als Musiker*innen anderer Musikrichtungen. Nun stellt sich heraus: Ryan Adams ist eben keiner von den „Guten“ – er hat seine Macht und Stellung im Musikbusiness missbraucht, um sich an junge Frauen heranzumachen. Wie die New York Times letzte Woche berichtete, soll Adams mehrere Musikerinnen, darunter Phoebe Bridgers und seine Ex-Frau Mandy Moore, psychisch unterdrückt und sexuell belästigt haben. Adams nahm sich ihrer Karrieren an, stellte Erfolg in Aussicht. Doch sobald die Frauen nicht mehr wollten, sich von ihm trennten, oder auch nur eigene Vorstellungen von ihrer Karriere hatten, wurde Adams kontrollierend, bedrängte und beschimpfte sie, drohte und manipulierte. Mandy Moore, die während ihrer sechsjährigen Ehe mit Adams kein einziges Album veröffentlichte, sagt: „Musik war für ihn ein Mittel der Kontrolle.“
Völlig normal für einen Rock-Star
Das sieht Adams selbst natürlich ganz anders. Auf Twitter schreibt er, er sei nicht perfekt und habe viele Fehler gemacht, aber die Dinge, die in dem New York Times-Artikel ständen, seien so nicht korrekt. Über seinen Anwalt ließ er verlauten, er habe nicht die Macht, über Karrieren zu entscheiden. Eine aufrichtige Entschuldigung sieht anders aus. Praktischerweise gibt es aber jede Menge Männer, die nur zu gerne bereit sind, das für Ryan Adams zu übernehmen. Laut Neil McCormick, Musikkritiker des britischen Telegraph, ist Adams Verhalten nicht so schlimm, schlicht deshalb, weil es für einen Rock-Star normal ist. Mehr noch, es ist essentiell für den musikalischen Output! Wenn Adams nun aufgrund seines Verhaltens Frauen gegenüber dauerhaft persona non grata wird, dann ist das quasi das Ende des Rock („If Ryan Adams can be ruined by his creepy behaviour, most of rock will go down with him“).
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
McCormick perpetuiert mit dieser Aussage, wie so viele andere, den Mythos des männlichen Genies. Auch und gerade in der (Indie-)Rock-Szene wird dieser Art des Genies gehuldigt. Eine schwierige Persönlichkeit und exzentrisches Verhalten gelten in diesem Kontext nicht als problematisch, sondern als Zeichen einer sensiblen und aufgewühlten Seele, und können immer mit traumatischen Erfahrungen in der Vergangenheit erklärt werden. Zeigen Musikerinnen hingegen ähnliches Verhalten, gelten sie als divenhaft und schwierig. Das Genie, es existiert eben nicht in weiblicher Form.
Problematisches Verhalten wird aktiv gefördert
Weil das männliche Genie dem Rest der überwiegend männlichen und weißen Musikindustrie allein phänotypisch so sehr ähnelt, ist das Bedürfnis, etwaiges Fehlverhalten dieses Genies zu thematisieren, selbstverständlich nicht besonders groß. Problematisches Verhalten wird so nicht nur akzeptiert, es wird aktiv gefördert. Als die Journalistin Rachel Brodsky in einem Porträt der Indie-Band The Last Shadow Puppets erwähnt, dass sie sich in Gegenwart der beiden Bandmitglieder unwohl und belästigt gefühlt habe, wurde das von vielen als weibliche Überempfindlichkeit abgetan. Selbst ein smarter und in feministischen Themen versierter Journalist befand: „Ohne ungebührliches, sexistisches Verhalten verharmlosen zu wollen: Die Vermutung, dass hier Pressetag-Fatigue unglücklich mit kulturellen Humor-Unterschieden zwischen Britanniens Ladism und politischer Correctness amerikanischer Ausprägung korrellierte, liegt schon sehr nah.“ Irgendeine Entschuldigung findet sich eben immer.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Beispiele für den Typus des männlichen Genies gibt es in der (Indie-)Rock-Branche zuhauf, darunter z.B. Jack White. Und eben Ryan Adams, der laut Aussage von Mandy Moore zu ihr sagte, sie sei keine richtige Musikerin, weil sie kein Instrument spiele. Der Taylor Swifts Album 1989 in einem musikalischen Akt des Mansplainings coverte, um, so zumindest der Eindruck, Swifts Songs eine (männliche) Tiefe und Glaubwürdigkeit zu verleihen, die diese vorher nicht hatten. Die zumeist männliche Musikkritik war darüber natürlich entzückt. Publikationen, die Swifts Album vorher nicht rezensiert hatten (da zu sehr Pop und einer Kritik mithin würdig), stürzten sich begeistert auf Adams Cover und lobten die Nuancen, die er den Pop-Songs verlieh. Weil Swifts Songwriting nicht für sich stehen kann – es braucht ein männliches Genie, um aus vermeintlich kitschigem Pop Musik mit Tiefgang zu machen.
Keine Ausnahme, sondern die Regel
Die Wahrheit ist: Solange der Kult um männliche Genies besteht, wird ein Ryan Adams nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel sein. Weil vermeintliche Genialität in den Augen vieler Machtmissbrauch rechtfertigt – oder ihn zumindest als nicht sonderlich schlimm erscheinen lässt.
Collage: Bild von Ryan Adams via Instagram.