Eine Flasche Rotwein alleine? Nein niemals. Unter der Woche trinken? Nein, das kommt nicht in Frage. Das Leben im Griff, am Abend Tee und Saft, zur Zigarette gerne Cola, aber Alkohol vor dem Wochenende? Nein. Donnerstag ist der kleine Freitag? Na gut, Weißweinschorle ist ja nicht so schlimm, Aperol, weil die Woche hart war, noch zwei Bier, weil es gerade so nett ist. Wie konnte es nur so spät werden.
Es sind nicht die Partyexzesse oder Techno Raves, es ist auch nicht die Gönner-Flasche Rotwein in der Badewanne. Es ist das, was passiert, wenn alle beisammen sind und sich gemeinsam des Lebens erfreuen, weil es dann irgendwie lustiger ist und man länger kann und das Essen besser schmeckt. Jetzt wo es wärmer wird, halte ich es draußen lange aus, auf den gemütlichen Berliner Straßen mit dem ersten Kaltgetränk in der Hand oder dem zweiten und dann später etwas mehr. Ich trinke. So wie alle denke ich bis heute, und mache es mir leicht, Woche für Woche gläserweise Gift mit bedingt schlechtem Gewissen hinabzustürzen. Manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Reue am Morgen danach, aber sei es drum. „Am Ende lohnt es sich doch für die besten Freundinnen, das wirklich gute Date und den perfekten Sommerabend. Feuchtfröhlich.“
Sven Stockrahm beschreibt in einem Alkohol Q&A für Zeit Online Fragen zur provisorischen Selbstdiagnose. „Wie oft trinke ich Alkohol, etwa jeden Tag? Bekämpfe ich den Kater wieder mit dem Suchtmittel? Werde ich mit Alkohol aggressiv?“. Im Weiteren beschreibt er den Übergang zur tatsächlichen Sucht als fließend, schleichend quasi und ganz subtil. So, wie sich ein leichter Schwips am Abend eben anfühlt, füge ich in Gedanken hinzu.
„Ein sicheres Level an Alkohol gibt es nicht. Jeder Tropfen schadet letztendlich. (…) An sich wird empfohlen, dass Männer täglich einen halben Liter Bier oder zwei Wein trinken. Für Frauen gilt die Hälfte“– Sven Stockrahm, Zeit Online – Instagram
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Ich habe oft das Gefühl, dass es ja vielen so geht. Dass meine Eltern und deren Eltern und die Nachbarn und alle Freunde sowieso genau das durch haben, gesellige oder geselligere Runden und eine Feier hier und da und ein Mal im Jahr ein Festival. Allen geht es heute blendend. Und dann ist da auch noch diese soziale Erwünschtheit. Der schiefe Blick von rechts, wenn mensch den Virgin Mojito bestellt. Auch gewöhnungsbedürftig. „Morgen aufhören? Ganz ohne? Klar doch, wenn ich muss!“. Oder etwa doch nicht? Ich habe gemerkt, dass der Gedanke an Verzicht mich stört. Dass es irgendwie nervt, das Alkoholfreie zu bestellen, wenn alle anderen schon mit dem zweiten Gezapften anstoßen. Ich habe wahrgenommen, dass ich latent ungehalten werde, wenn jeder rumalbert, und mir allmählich die Augen zufallen. Und während wir alle nicht wahrhaben wollen, was wir uns tatsächlich Woche für Woche antun, mit den 2, 3 Gläsern zu viel, die eigentlich nur einem selbst auffallen, war meine Haut mit 16 das letzte Mal so schlecht, das Gesicht recht regelmäßig an Sonntagen etwas aufgequollen und der dicke Schädel eine latente Gewohnheit, mindestens jede zweite Woche. Dann lieber nicht mehr. „Ich spare mir Trinkgelage und Feierei. Wer braucht die schon.“
„Das klingt nach wenig – ist es auch. Die allermeisten Menschen in Deutschland trinken sehr viel mehr. Nimmt man zum Beispiel alle Menschen in Deutschland ab 15, auch die, die gar nichts trinken, kommt man auf 10,7 Liter reinen Alkohol pro Kopf, und das sind mehr als neun Bier pro Woche“– Sven Stockrahm, Zeit Online – Instagram & DHS Jahrbuch Sucht 2018: John et al., 2018
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Wenn ich meinen Konsum, der tatsächlich exzessiver, aber auch viel weniger exzessiv sein könnte, erkläre, klinge ich wie jemand, den ich selbst als Problemfall einschätzen würde. „Ich könnte sofort aufhören“, „Ich habe das im Griff“, „Ich habe kein Problem“. Und die Realität, gemessen an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Grenzwerten, sieht dann doch anders aus. Und wenn ich mich umgucke, zum Partner schaue oder zum engsten Freundeskreis, haben wir entweder alle keins oder eben alle ein riesiges Problem, das sich Promille nennt. Auch wenn es nicht der tatsächliche Korn zum Mittagessen ist, sondern der gediegene Weißwein am Wochenende. Wie ist das passiert?
Legitimieren wir den Missbrauch, weil es eben alle tun? Oder weil wir so sophisticated sind, dass eine tatsächliche Alkoholkrankheit quasi unmöglich erscheint? Am Ende ist es vermessen davon auszugehen, es könnte einem selbst nicht passieren.
„Wer denkt, dass Sucht oder eine kaputte Leber ihn gar nicht betreffen, sollte sich bewusst machen, das Alkohol sehr subtil und langfristig schädigt. Das Risiko erhöht sich für Schlaganfälle, es greift das Herz an und löst schließlich auch Krebs aus. Wichtig ist: Alkohol schadet Frauen viel schneller als Männern, weil der Alkoholspiegel im Blut bei ihnen schneller steigt und auch der Magen weniger Alkohol abbauen kann.“– Sven Stockrahm, Zeit Online – Instagram
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Ich bin ziemlich wütend auf all das. Darauf, dass Alkohol, eine wahrhaftige Droge, seit meiner Jugend ein relativ fester Bestandteil meiner Abendgestaltung ist. Darüber, dass ich gerne trinke, obwohl das Thema Alkohol in meinem familiären Umfeld einige Zeit eine tragende Rolle gespielt hat, für Probleme sorgte und für viel Leid. Ich sollte es also besser wissen. Nur was ist die Konsequenz? Nur noch aus Genuss, sprich ausschließlich Wein, wenn er zum Essen passt und dann nur einen? Eine Weinschorle ist erlaubt und dann ein Fruchtsaft? Und was, wenn man nicht genug kriegen kann und ihm verfallen ist, dem kleinen Dusel, der sich einstellt. Null Toleranz vielleicht, das Ritualisieren von anderen Feierabend-Getränken, ein Wechsel vom kühlen Blonden zum Malzbier, die Schorle statt Aperol und passende alkoholfreie Drinks zu Spargel, Lachs & Co.
„Immer gut für die Gesundheit ist wenig oder gar nichts zu trinken. Wer auf Alkohol verzichtet und dann am Wochenende oder im Urlaub richtig „bechert“ – das ist keine gute Idee. (…) Kurzfristig sehr viel zu trinken ist sehr riskant und fördert das Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen oder Krebs. „Rauschtrinken“ bedeutet tatsächlich schon fünf Getränke für Männer und vier für Frauen.“– Sven Stockrahm, Zeit Online – Instagram
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Ich habe mich umgehört und bin nicht alleine mit meinen Sorgen und Ängsten. Und auch wenn Wein, Sekt und Bier in uns, unserer Lebenswelt und unserer Freizeit fest verankert sind, lohnt sich ein kritisches Hinterfragen und in der Konsequenz ein Verändern der gegebenen Gepflogenheiten. Die Frage, warum es für die Zeit mit den Liebsten hin und wieder Alkohol braucht, der im Endeffekt nie gesundheitsfördernd ist, und mindestens so behandelt werden sollte uns, wie ein zu umgehender Zuckerflash mit allen Nebenwirkungen, zu denken geben und das nicht zu knapp.
Die Pause mit anschließendem Exzess ist nicht das, was ich brauche. Eher eine andere Form der Trinkkultur, in der man das eine Bier trinkt, das wirklich schmeckt, und die Entscheidung dann den Mitstreiter*Innen überlässt, für sich selbst aber zum Alkoholfreien greift, wenn man eigentlich nicht mehr mag, und droht der Gewohnheit zu verfallen. Oft geht es letztendlich nämlich nur darum, eben auch etwas in der Hand zu halten und ab und zu zu nippen.
„Was heißt das alles nun für Ihr Feierabendbier oder den Drink in der Sonne? Die meisten werden nicht aufhören wollen, mal was zu trinken. Selbst wer sich hin und wieder betrinkt, lebt zwar riskanter, stirbt aber nicht sofort. Täglich tötet heftiges Trinken zwar 40 Menschen in Deutschland. Darunter fallen aber auch Menschen mit einer langjährigen Alkoholabhängigkeit (Journal of Health Monitoring: Rommel et al., RKI, 2016). Wer dies im Hinterkopf behält und weiß, wie er Schäden verringern kann, der startet sicherer in den Sommer. Vielleicht auch mit dem einen oder anderen Bier weniger in der Hand.“– Sven Stockrahm, Zeit Online
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Die Ergebnisse der Langzeitstudie von Angela Wood, welche mit einem mehrköpfigen Team von 1964-2010 die gesundheitlichen Langzeitfolgen von Alkoholkonsum in 19 westlichen Nationen erhoben hat, beruhen auf Daten von 599.912 Menschen die Angaben über ihren Alkoholkonsum innerhalb eines Jahres gemacht haben. Hier geht es zur Studie. Sven Stockrahms Zeit Artikel „Bloß nicht mehr als ein Bier pro Tag“, gibt es außerdem hier.