Es gibt die richtig üblen Tage. Die, an denen wir uns sicher sind, dass als sicherer Hort nur das eigene Bett infrage kommt und selbst das wie das letzte aller Lose erscheint. Dann gibt es die Tage, die schlimm sind. Solche, bei denen das Aufstehen schwerfällt, wir es aber trotzdem irgendwie schaffen, zumindest die beste Freundin fest zu umarmen, um dann in Tränen auszubrechen. Und dann gibt es die anderen Tage, ca. 90 Prozent des Jahres quasi, in denen es scheint, als hätte es Version eins und zwei nie gegeben. Diese 90 Prozent ist eine Angeberinnen-Zahl, schon klar. Aber diese gilt es aufrecht zu erhalten.
Schritt eins: Ich habe aufgehört mit der Selbsttherapie.
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2014 war ich bei einer Psychotherapeutin. In der Verhaltenstherapie war sie quasi ein Jahr die erwachsene Stimme, die zu Krisenzeiten gefehlt hat. Die Person, die Irrationalität gedeutet hat, erklärte, wie ich sie loswerde und auch, wie Bindungs- und Verlustängste überhaupt entstehen. Die erwachsene Person, die man braucht, wenn man weit weg von Zuhause im Alter von Anfang 20 ist. In jedem Fall war Hilfe suchen der richtige Schritt. Da gibt es nichts zu bereuen, denn:
Ich kam nicht mehr raus. Aus dem richtig üblen Tag wurden tränenreiche Wochen und eine stumme Isolation. Therapie, das hat geholfen und gestärkt und war irgendwann vorbei. Und trotz des Privilegs eine Therapie besucht haben zu dürfen, war die zeitliche Begrenzung für mich ein Glück. Man würde meinen, die weise Person zum Reden könnte jede*r gebrauchen. Unterschreibe ich nur fast. Denn neben ganz viel Entlastung, Deutung und Erklärung gab mir meine Therapeutin vor allem das Werkzeug zum Wühlen in die Hand.
Ich konnte Brücken bauen, zwischen meinem Jetzt und vergangenen Traumata, hatte das Gefühl, mein Selbst endlich ganzheitlich zu verstehen und wollte mehr. Eine Erklärung zu haben für eigene Verhaltensweisen bis hin zu toxischen und Selbstzerstörerischen Gedanken, das war pure Befriedigung. Auf einmal schien alles Sinn zu ergeben. Ich geheilt, Traumata ergründet, Lücken geschlossen. Verhaltenstherapie war, wenn man so will, ein bedingter Erfolg. Bis heute kann ich irrationale Gedankengänge ausfindig machen und aktiv steuern. Mich rausholen aus unbegründeten Befürchtungen oder ängstlichen Momenten. Ich konnte allerdings lange nicht aufhören, weiterhin nach Gründen zu suchen.
Vor nunmehr fünf Jahren habe ich allerhand diagnostiziert. Da gab es Familienaufstellungen, Traumata einer rassistischen Sozialisation, Traumata einer alleinstehenden Mutter-Tochter-Beziehung. Ein gigantischer Schuh wurde daraus und bis heute ziehe ich ihn mir fast zu gerne an. Vieles machte unheimlich Sinn und bis heute tut es gut, hier und da auf diese alten Geschichten zurückzugreifen. Nicht zuletzt um nicht zu hart zu sich zu sein, Rücksicht auf die eigene Seele zu nehmen und am Boden der Tatsachen zu realisieren, dass wir alle nur Kreaturen unserer Sozialisation sind und vor allem in jungen Jahren nur sehr bedingt Einfluss nehmen können.
Das Problem: Auch nach der Therapie ging es lange Zeit damit weiter. Äußerst talentiert fand ich in jedem emotionalem Tiefgang, auch in solchen die ich heute sicher auf Wetter, Jahreszeit und PMS zurückführen kann, einen Anlass, die abgezeichnete Familienaufstellung zu Rate zu ziehen.
Wühlen, Fischen, graben in lange vergangener Zeit, auch wenn das tatsächliche Drama gerade im Jetzt passiert und im Grunde genommen wenig mit einst erlebten Schicksalsschlägen zutun hat. Und selbst wenn es so ist: Ist es nicht manchmal leichter, die Krise im aktuellen Kontext zu bearbeiten, statt im vergangenen, nur der Begründung wegen, Gründe zu suchen? Weil wir ja gar nicht wissen, ob es die Begründung ist die endgültiges Seelenheil schafft?
Läuft man nicht wohlmöglich Gefahr, negativen Erfahrungen und Erinnerungen mehr Raum zu geben als es in genau solchen Momenten gut tut? Als jemand der niemals eine Depression attestiert bekommen hat, stellt sich für mich die Frage, inwieweit mir die weiterreichende Selbstanalyse, vielleicht am Ende situativ geschadet hat. Mit den besten Absichten habe ich schon mehrfach etliche Stunden mit dem Grübeln über mich selbst verbracht, bin teilweise zu Tief eingedrungen in die Analen meines Selbst, um am Ende mit leeren Augen in einen angebrochenen Tag zu schauen.
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Ich werde immer dafür sein, Emotionen Raum zu geben, den himmelhoch jauchzenden aber auch denen, die wirklich Trübsal blasen. Doch manchmal war das tiefe in sich gehen eine reine Blockade dafür, auch den trüben Tag oder eben mehreren davon, vor allem in kalten Monaten, passieren zu lassen. Immer einen Grund zu suchen für Hochflüge und Niederschläge, das hat einiges durcheinandergebracht und mich lange Zeit glauben lassen, ich wäre ein durchschaubares und zu berechnendes Menschenwesen.
Zur Therapie gehen, das würde ich mir natürlich nicht versagen. Sogar per Eigendiagnose dazu raten, wenn ich merke, dass etwas besonders im Argen ist oder ich es selbst aus der Stimmung nicht herausschaffe. Zurzeit fahre ich allerdings überaus gut damit, auch den wirklich schlechten Tag passieren zu lassen und manchmal voller Vorfreude auf den Nächsten ins Bett zu gehen. Fest davon überzeugt, dass dieser besser werden kann und wird.
Selbstverständlich gibt es Situationen im Leben, in denen viele Menschen professionelle Hilfe benötigen. Nehmt solche Begebenheiten in eurem Umfeld und bei euch selbst ernst und supportet die Betroffenen. Wertvolle Tipps und Grenzwerte findet ihr außerdem im Interview mit der Psychologin Anna Raith.
Ich brauche dringend professionelle Hilfe:Terminservicestelle für Sprechstundentermine Ambulanzen für Psychotherapie in Berlin:ZPHU – Zentrum für Psychotherapie |