Meryl Streep ist so etwas wie eine Superheldin. Sie kann alles, egal, ob sie in einer romantischen Komödie mitspielt, eine knallharte Verlegerin mimt oder sich durch ein ABBA-Musical singt. Streep war und ist eine Wegbereiterin für Frauen in Hollywood, durch die Auswahl ihrer Rollen, aber auch dadurch, dass sie eine Initiative für Drehbuchautorinnen über 40 ins Leben rief und, so Comedian Tina Fey bei den Golden Globes 2014, beweist, „dass es in Hollywood immer noch großartige Rollen für Meryl Streeps über 60 gibt“.
Aber selbst Superheldinnen sind nicht allmächtig – und schon gar nicht allwissend. Das zeigen nicht nur sämtliche Superheld*innen-Filme der letzten Jahre, sondern auch Streeps Kommentare zum Thema „toxic masculinity“, die sie letzte Woche während einer Diskussion zur neuen Staffel ihrer Serie Big Little Lies machte.
Stark, aggressiv – und tödlich
Toxic masculinity (dt. toxische oder giftige Männlichkeit), so Streep, sei beleidigend für Männer: „Wir verletzen unsere Jungs, wenn wir etwas toxische Männlichkeit nennen.“ Frauen könnten ebenfalls „verdammt toxisch“ sein, weshalb man generell von „toxischen Menschen“ sprechen müsste. Sowohl Männer als auch Frauen, findet Streep, hätten „gute und schlechte Seiten“, und es sollte weniger um Labels gehen als vielmehr um den Umgang miteinander, schließlich „sitzen wir alle in einem Boot“.
Welches Boot genau Streep meint, ist nicht klar – dass sie offensichtlich keine Ahnung vom Konzept der toxischen Männlichkeit hat, hingegen schon. Dieses Konzept bezieht sich weder auf einzelne Männer, noch will es ausdrücken, dass Männer oder Männlichkeit grundsätzlich toxisch sind. Stattdessen beschreibt der Begriff gesellschaftlich vorherrschende Vorstellungen von Männlichkeit:
Beispielsweise, dass Männer keine Schwäche zeigen, aggressiv und hart sein sollen. Männlichkeit gilt als etwas, das immer wieder bewiesen werden muss, in Form von Ritualen und (Mut-)Proben. Stereotype männliche Eigenschaften wie physische Stärke, Sexualität und Aggressivität werden betont und überhöht. Toxisch ist diese Art von Männlichkeit deshalb, weil sie ein bestimmtes Bild von Männlichkeit voraussetzt und propagiert, das viele Männer gar nicht erfüllen können oder wollen, von dem sie aber glauben, sie müssten es tun. |
Anders, als Meryl Streep sagt, ist toxische Männlichkeit, beziehungsweise das dahinterstehende Konzept, also kein Angriff auf Männer oder Männlichkeit. Im Gegenteil: Das Konzept analysiert und macht darauf aufmerksam, wie problematisch bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit gerade auch für Männer selbst sind und wie diese ihnen (und Frauen) schaden. Bei dem ganzen Thema geht es nicht um Individuen, sondern um starre gesellschaftliche Normen, darum, wie eng gefasst unsere Vorstellungen davon sind, was „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ ausmacht. Es geht darum, dass toxische Männlichkeit tödlich ist, für Männer und für Frauen. Sie ist verantwortlich dafür, dass die Suizidrate bei Männern höher ist als bei Frauen, dass Männer häufiger Opfer von Gewalttaten werden. Dafür, dass täglich Frauen durch die Hand eines Mannes, ihres Partners oder Ex-Partners, sterben.
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Toxische Männlichkeit regiert das Land
Meryl Streep mag schlicht uninformiert und ahnungslos gewesen sein, als sie die Bemerkungen machte. Das ist an sich nicht schlimm, der Feminismus ist schließlich kompliziert, der Mensch lernfähig und vielleicht haben durch die öffentliche Diskussion ein paar Menschen mehr begriffen, was toxische Männlichkeit ist bzw. nicht ist. Trotzdem ist Streeps Ahnungslosigkeit verblüffend, gerade angesichts der Tatsache, dass in ihrem Heimatland, den USA, die Verkörperung toxischer Männlichkeit das Land regiert und Frauen dort erleben müssen, wie ihre reproduktiven Rechte nach und nach eingeschränkt, weggenommen, werden. Auch Frauen können toxisch sein? Ja. Aber in keinem Land der Welt haben Frauen so viel politische Macht, dass sie die Rechte von Männern kontrollieren und begrenzen können, dass sie Menschen einzig und allein aufgrund ihres Geschlechts gewisse Freiheiten zugestehen – oder nicht. Es geht also mitnichten darum, „unsere Jungs“ anzugreifen oder zu verletzen. Es geht um eine Form der Männlichkeit, die konkreten, dramatischen Schaden anrichtet.
Ja, auch Superheldinnen sind nicht allmächtig oder allwissend. Aber Uninformiertheit hin, Ahnungslosigkeit her: Von einer Meryl Streep hatte man dann eben doch mehr erwartet.