Vor einigen Jahren war meine Freundin C. mit ihrer damaligen Partnerin abends in einer Bar. Sie wollten in Ruhe ein Bier trinken, quatschen, Zeit miteinander verbringen. Die beiden küssten sich, wie Paare das eben manchmal so machen. Plötzlich stand ein Typ vor ihnen. Sorry, sagte der, er wollte nur fragen, ob sie das wohl wiederholen könnten, also, den Kuss. Sein Kumpel – er wies auf einen weiteren Mann irgendwo im hinteren Teil der Bar – hätte das nämlich nicht mitbekommen.
Steigende Anzahl homophober Übergriffe
An diesen Vorfall musste ich denken, als ich Ende letzter Woche von dem Angriff auf ein lesbisches Paar in London las. Die 28-jährige Melania Geymonat berichtete, sie und ihre Partnerin, Chris, seien in einem Londoner Nachtbus von einer Gruppe junger Männer angegriffen und ausgeraubt worden:
„Da waren mindestens vier von ihnen. Sie begannen, sich wie Hooligans zu benehmen, verlangten, dass wir uns küssten, damit sie zusehen konnten, nannten uns ‚Lesben‘ und beschrieben Sex-Stellungen. Ich kann mich nicht mehr an alles genau erinnern, aber das Wort ‚Scheren‘ ist mir im Gedächtnis geblieben.“
Sie und Chris, so Geymonat, seien ganz allein mit den Männern gewesen. Sie hätte versucht, die Situation durch Witze zu entschärfen, aber die Männer hätten sie weiter belästigt, ihnen Münzen zugeworfen und an einem Punkt begonnen, Chris zusammenzuschlagen. Geymonat habe eingreifen wollen und sei dann selbst geschlagen worden.
Die Bilder der beiden blutenden Frauen gingen um die Welt: Geymonats weißes Hemd ist blutbefleckt, ihre Partnerin ist im ganzen Gesicht blutverschmiert. Mittlerweile wurden vier Männer im Alter zwischen 15 und 18 Jahren festgenommen. Was sie am meisten erschüttert habe, so Geymonat, sei die Tatsache, dass Gewalt alltäglich geworden sei. Das stimmt: In Großbritannien, aber auch in Deutschland, werden Homosexuelle immer häufiger Opfer von Übergriffen. In Großbritannien hat die Anzahl der Angriffe auf lesbische, schwule und bisexuelle Menschen in den letzten vier Jahren um 80 Prozent zugenommen, das zeigt eine Umfrage von Stonewall und YouGov. In Deutschland registrierten die Behörden in den letzten Jahren ebenfalls eine steigende Zahl solcher Übergriffe.
Inszenierte Sexualität
Homophobie ist real, und sie ist alltäglich. Homosexuelle müssen immer noch aufpassen, wie sie sich in der Öffentlichkeit verhalten. Hand in Hand gehen, sich küssen und umarmen: Solche Alltäglichkeiten können gefährlich sein, weil sie von vielen als „unnatürlich“, als „krank“, schlicht als störend empfunden werden. Als reine Provokation. Miteinander knutschende Männer in der Öffentlichkeit? Das ist doch nicht normal!
Bei homosexuellen Frauen kommt noch eine weitere Dimension hinzu: Von ihnen wird erwartet, dass sie ihre Sexualität so inszenieren, dass sie Männern gefällt. Ihre Sexualität wird nicht als etwas Authentisches, Persönliches gesehen, sondern als eine Darbietung zugunsten derer, die sie anschauen. Frauen, die sich in der Öffentlichkeit küssen, ihre gegenseitige Zuneigung zeigen, tun das schließlich nur, so die (heterosexuell-männliche) Auffassung, um die Aufmerksamkeit von Männern zu bekommen. Deshalb forderte der Mann in der Bar meine Freundin auf, den Kuss mit ihrer Partnerin zu wiederholen – sein Freund hatte das Spektakel schließlich verpasst. Deshalb verlangten die Männer im Londoner Bus, die beiden Frauen sollten vor ihnen rummachen, am besten eine „Scissoring“-Performance bieten – weil Lesben in Pornos das doch auch machen.
Heterosexuelle Fantasien
Dass Frauen sexualisiert und objektifiziert werden ist, normal. Leider. Dass Frauen, die sich dem verweigern, als „unfickbar“, „hässlich“ und „prüde“ bezeichnet werden, auch. Geht es um lesbische Homosexualität, trifft dieser männliche Sexualisierungsanspruch außerdem auf Homophobie und Misogynie. Vielleicht, weil lesbischer Sex eine heterosexuelle Männerfantasie ist. Vielleicht, weil lesbische Frauen ihre Sexualität nicht in Bezug zur männlichen setzen und das als Provokation empfunden wird. Melanie Geymonat sagte nach der Attacke auf sie und ihre Partnerin: „Ich bin es leid, als sexuelles Objekt gesehen zu werden.“ Was passiert, wenn – lesbische – Frauen sich dem männlichen Blick verweigern, wenn sie es ablehnen, ein bloßes Objekt zu sein, zeigt sich immer wieder. In einer Bar, in einem Bus. In Deutschland, in England, überall.