Können Sie sich vorstellen, Mutter zu sein? Ginia hat jahrelang darauf gewartet, dass sie Mutterinstinkte bekommt und sie in ihrer Mutterschaft vollkommen aufgeht. Irgendwann kommt das sicher, dachte sie. Aber obwohl die in San Francisco geborene Frau Kinder gern mochte, verspürte sie doch nie den Drang, eigene zu haben – auch nicht, als sie den Mann traf, den sie schließlich heiratete; nicht einmal, als ihre Freundinnen Babys bekamen. Jetzt, mit 42, liegen ihre letzten fruchtbaren Jahre vor ihr, und auch wenn sie an manchen Tagen Sorge hat, dass sie ihre Entscheidung in der Zukunft vielleicht bereuen könnte, ist sie doch ziemlich zufrieden damit, die biologische Uhr zu Ende ticken zu lassen.
„Wenn ich so ein Mensch gewesen wäre, der ein Baby sieht und es gleich ‚aufessen‘ möchte – Sie wissen schon, wie manche Frauen reden, als wäre ein Baby ein Muffin –, dann hätte ich es vielleicht gemacht und gar nicht erst drüber nachgedacht“, sagt Ginia, die darum gebeten hat, zum Schutz der Privatsphäre ihren Namen zu ändern. „Aber bis zu einem bestimmten Punkt, und eben auch mangels dieser Reaktion, war ich mir einfach nicht sicher, ob ich das Leben, das die Kinderlosigkeit mir ermöglicht hat, einfach so aufgeben wollte: häufige Reisen, schöne Kleider, Ausschlafen am Sonntag.“ Ihre Freundinnen erzählten von Ehemännern, die sich nicht genug beteiligten, mit eindeutig wachsendem Unmut; ihre eigene Ehe war ziemlich stabil, und so wollte sie sie auch behalten. „Ich mag Kinder“, sagt sie. „Aber sie sind eine Riesen-Aufgabe – und man hat sie für immer.“
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Ginia mag unter ihren Freundinnen die Einzige ohne Kinder sein, aber sie ist bestimmt nicht allein damit. Die Geburtenraten sinken weltweit, so, wie die mütterliche Unentschlossenheit steigt. Die „Global Burden of Disease“-Studie von 2017 berichtet, dass sich die weltweite Geburtenrate seit 1950 halbiert hat, während eine Analyse von 33 Studien zu Familienplanungs-Absichten (wörtl.: „Fruchtbarkeits-“ oder „Vermehrungs-Absichten“) in Industrieländern festgestellt hat, dass ca. ein Fünftel bis ein Drittel der Frauen, die schwanger werden, nicht sicher sind, ob sie tatsächlich ein Kind wollen. Die US-amerikanische Geburtenrate ist so niedrig wie noch nie. Ebenso die Südkoreas, wo sie letztes Jahr zum ersten Mal überhaupt unter die Grenze von einem Kind pro Frau fiel. Anfang dieses Monats berichtete die „Financial Times“, dass die Geburtenzahl in China das zweite Jahr in Folge nach der Rücknahme der Ein-Kind-Regelung gesunken ist.
Kinder sind teuer
Die Gründe, die Frauen dafür angeben, sind unterschiedlich. Zum einen sind Kinder teuer: Ein USDA-Report von 2017 errechnete, dass amerikanische Eltern im Durchschnitt mehr als 230 000 Dollar (ca. 205 000 Euro) pro Kind ausgeben, vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Alter von 17 Jahren, also noch ohne Ausbildungs-Kosten. Die Wissenschaft hat schon vor einiger Zeit festgestellt, dass ein Kind zu haben so ziemlich das Übelste ist, was man der Umwelt antun kann; eine schwedische Studie fand heraus, dass ein Kind weniger zu haben, nahezu einer Einsparung von 60 Tonnen Kohlendioxid entspricht. Der Zuwachs an arbeitenden Frauen – und solchen mit Haupt-Familieneinkommen – weltweit sorgte ebenfalls dafür, dass viele zögern, einen Job aufzugeben, von dem sie nicht sicher sind, ob er nach der Elternzeit noch da ist.
Aber es gibt auch viele Frauen, die aus anderen Gründen, die manche vielleicht weniger nachvollziehen können, keine Kinder wollen. „Meine Freunde würden mich als die perfekte Mutter bezeichnen“, sagt die 29-jährige Londoner Künstlerin Lotte Andersen. „Ich finde nicht alles gleich eklig und bin gut im Übernehmen von Verantwortung. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch sehr jung war, und ich habe mich um meine Geschwister gekümmert, und ich bemuttere andauernd meine Freundinnen. Aber ich mache genau das, was ich will. Ich habe Sex mit Männern und Frauen. Ich bin in so vielfältiger Weise frei, was mir sehr wichtig ist und grundlegend für meine Persönlichkeit. Das klingt vielleicht egoistisch, ich hasse es, das zu sagen, aber ich habe das Gefühl, jetzt effizient sein zu müssen“, sagt sie. „Schon seit ich klein war, hat mir der Gedanke, dass man für ein Kind acht bis zehn Jahre opfern muss, Angst gemacht. Meine Arbeit ist mein Kind.“ Aber auch wenn ihr diese Entscheidung und ihr Leben, so wie sie es führt, Kraft gibt, fühlt sie sich doch verurteilt.
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Frauen ohne Kinder werden oft verurteilt
Und wahrscheinlich wird sie das wirklich. Selbst wenn mehr und mehr Frauen sich gegen Kinder entscheiden – und die Vorstellung, dass es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, eine „Familie“ zu gründen, deutlich normaler geworden ist – werden Frauen, die sich diesen Ansprüchen nicht beugen oder noch nicht einmal mütterliche Gefühle spüren, noch immer stigmatisiert. Frauen, die sich dem entziehen, werden als irgendwie „bedrohlich“ angesehen, meint Anderson. Sie stellen unsere Erwartungen, was Frauen tun oder „sollten“, auf den Prüfstand.
„Viele glauben, dass Frauen, die keine Kinder wollen, keine Kinder mögen, was so gut wie nie der Fall ist“, sagt die Psychologin Dr. Sarah Gundle, klinische Leiterin am Behavioural Health Studio Octave in Manhattan. „Ob man Kinder mag oder nicht, ist nur selten der Grund, aus dem Patienten entscheiden, kinderlos zu bleiben. Frauen haben heute mehr Möglichkeiten, und für viele ist das nur eine Option wie jede andere. Aber die Vorstellung von Frauen [als Müttern] ist so tief in unserem kollektiven Bewusstsein verankert, dass Frauen, die sich dagegen entscheiden, häufig als ein wenig verdächtig gelten.“
Oder sogar mehr als nur ein wenig. Eine 2017 in der Zeitschrift „Sex Roles“ veröffentlichte Studie fand heraus, dass viele Leute die Entscheidung, auf Elternschaft zu verzichten, nicht nur als unnormal, sondern auch als moralisch falsch betrachten. „Freiwillig kinderlose Menschen sorgten für moralische Entrüstung – Wut, Abscheu, Enttäuschung – im Vergleich zu Menschen mit Kindern“, sagt die Autorin der Studie, Dr. Leslie Ashburn-Nardo. „Man sah sie außerdem als psychisch weniger erfüllte Personen.“ Anders ausgedrückt, sagt sie, gehen die meisten von uns davon aus, dass freiwillig kinderlose Menschen ein „unvollständiges“ und „unglückliches“ Leben führen. Im chinesischen Online-Magazin „Sixth Tone“ schreibt Fan Yiying über die offene Ablehnung in China gegenüber Paaren, die sich entscheiden, keine Kinder zu haben; sogar die im Text zitierte Eheberaterin „rät ihren Kunden, Kinder zu haben, nennt Elternschaft ‚eine unverzichtbare Lebenserfahrung‘ und argumentiert, dass Kinder Arbeit und andere Lebensziele nicht ausschließen müssen.“
Es ist fast ironisch, wie Dr. Gundle bemerkt, dass Kinder zu haben, Menschen nicht wirklich glücklicher macht. Eine Studie, die 2016 im „American Journal of Sociology“ veröffentlicht wurde, untersuchte Familien in 22 Ländern und stellte fest, dass Kinder zu haben, Menschen erheblich weniger glücklich werden ließ, als keine zu haben – ein Phänomen, das Forscher die „Parenting Happiness Gap“ nennen (ungefähr zu übersetzen mit „durch Elternschaft bedingte Glücks-Differenz“. Das gilt vor allem für die USA, in Ländern mit besseren Sozialsystemen wie Frankreich, Schweden, Norwegen oder Finnland soll es andersherum sein.
Dennoch, meint Dr. Ashburn-Nardo, „neigen wir als Gesellschaft dazu, anzunehmen, dass [Kinder zu haben] mehr als das ist, was die meisten Menschen machen, es ist das, was sie auch machen sollten. Es kann hilfreich sein, Voreingenommenheit abzuwenden, wenn eine kinderlose Frau einen Grund nennt, warum sie keine Kinder will“, fährt sie fort. „Aber das ist nicht sonderlich fair – wir fragen ja auch keine Eltern, warum sie sich für Kinder entschieden haben, warum sollten wir also nach den Motiven Kinderloser fragen?“
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Es könnte vielleicht auch daran liegen, dass Eltern ihre eigenen Motive infrage stellen. Dr. Gundle sagt, dass sie viele Patienten trifft, die gemischte Gefühle zum Thema Kinder haben, nachdem sie bereits eigene Kinder bekamen, oft als Reaktion auf den Druck gegenüber Frauen, besonders Müttern, perfekt zu sein, sich zu viel aufzubürden und die Kinder immer zu ihrer Priorität zu machen. „Ambivalenz unter Müttern ist sehr verbreitet, wird aber nur selten angesprochen, weil sie so häufig mit Scham verbunden ist“, sagt Dr. Gundle. „Aber der Wunsch, Kinder ‚richtig‘ zu erziehen, belastet Eltern letztlich in alarmierender Weise.“
Andersen meint, für sich sei ihre Entscheidung gegen Kinder eine der verantwortungsvollsten und am wenigsten egoistischen gewesen, die sie bisher getroffen habe. „Es gibt viele Dinge, die ich mehr liebe als mich selbst“, sagt sie. „Ich denke nur einfach, ich bin oben angekommen, bin absolut ausgebildet, privilegiert, warum in Gottes Namen sollte ich dieses Privileg nicht ernst nehmen? Wenn ich nach Peru reise und die Kunst machen kann, die ich möchte, ist das eine bessere Nutzung meiner Zeit, als ein Kind zu stillen. Ich wünschte nur, dass mehr Mädchen wüssten, dass das eine Option ist. Ich glaube, sie müssen Frauen zu Gesicht bekommen, die sich für andere Dinge entscheiden – eines Tages wird es heißen, Tante Lotte hatte ein tolles Leben.“
Dieser Text von Dr. Peggy Drexler stammt aus unserer VOGUE COMMUNITY.
Dr. Peggy Drexler ist eine in New York lebende Psychologin und Filmemacherin. Sie ist die Autorin von zwei Büchern über Gender und Familie. In ihrem nächsten Buch wird es um die Kultur des weiblichen Wettbewerbs gehen; Peggydrexler.com