Es war einmal, vor langer, langer Zeit, als die kleine Julia begann, sich für Feminismus zu interessieren. Doch die Suche nach passender Einstiegslektüre war gar nicht mal so leicht, denn: Feminismus war noch längst nicht im Mainstream angekommen. Wer etwas über das Thema wissen wollte, hatte die Wahl zwischen sämtlichen Büchern Alice Schwarzers und eher akademischen Veröffentlichungen. Meine Rettung war damals Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht: Ein locker geschriebenes Buch, das Lust machte auf mehr – mehr Feminismus, mehr Bewusstsein für all das, was in unserer Gesellschaft nicht stimmt. Wer heute nach Büchern mit feministischem Inhalt sucht, wird schnell fündig: Feminismus ist überall und viele große Buchhandlungen haben mittlerweile ein für dieses Thema reserviertes Regal. Hier kommen drei ganz unterschiedliche Bücher, deren Lektüre sich auch dann lohnt, wenn man in Sachen Feminismus, Emanzipation und #MeToo bereits versiert ist – ein Plädoyer, ein Memoir, eine Einführung.
Reyhan Şahin: Yalla Feminismus! (Tropen)
Reyhan Şahin a.k.a. Lady Bitch Ray a.k.a. Dr. Bitch Ray hat kein Problem damit, den Mund aufzumachen, laut zu sein, zu provozieren. Als Rapperin setzt sie sich mit sexistischen Inhalten in der Rap-Musik auseinander, oft brachial und derb. Dabei kann die Tochter türkischer Eltern auch ganz anders: Mit ihrer Dissertation über Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs in Deutschland erhielt sie 2013 einen Deutschen Studienpreis in der Fächergruppe Geistes- und Kulturwissenschaften und schreibt seit Jahren so kluge wie unterhaltsame Artikel, u.a. für das Missy Magazine. In Şahins neuem Buch Yalla, Feminismus! findet sich nun genau diese Mischung aus Lust an der Provokation, kritischer Analyse und einem sagenhaften Talent für einprägsame Wortschöpfungen.
In drei Kapiteln ergründet Şahin die Themen Hip Hop, Kopftuch und Universitätssystem (die „Fuckademia“). Dabei immer im Mittelpunkt: Intersektionalität und wie Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung aufeinandertreffen und sich gegenseitig verstärken. Şahin rechnet ab – mit sexistischen Macho-Rappern, mit weißen Zweite-Welle-Feminist*innen, mit alten weißen Männeruniversitäten.
„Du bist nicht nur dann feministisch, wenn du sichtbar bist und darüber sprichst, du kannst auch aus einem ganz anderen Engagement heraus feministisch oder emanzipiert sein. Und Feminismus ist nicht rein, er kann auch widersprüchliche, antifeministische Züge haben, schließlich sind wir alle in einem Prozess, wir können durch Input neue feministische Ideen und Diskussionen lernen und uns weiterentwickeln. Wir werden nicht als Feministin*nen geboren.“
Chanel Miller: Ich habe einen Namen (Ullstein)
2016 wurde Chanel Miller weltbekannt – allerdings nicht als Chanel Miller, sondern als Emily Doe, als Opfer des damals 19-jährigen Stanford-Studenten Brock Turner. Im Januar 2015 war Miller von Turner nach einer Party an der Universität vergewaltigt worden, Student*innen hatten Turner auf der bewusstlosen Miller liegend gefunden und ihn von der Flucht abgehalten. Er wurde zu nur sechs Monaten Haft verurteilt. Vor Gericht verlas Miller einen Brief an ihren Vergewaltiger, der wenig später zunächst von Buzzfeed, dann auch von anderen Medien veröffentlicht wurde und Millionen von Menschen erreichte. Der Fall und die Tatsache, dass Turner mit einer so geringen Haftstrafe davon kam, löste in den USA noch vor #MeToo eine Debatte über Vergewaltigungen an Unis aus und darüber, warum die Opfer so oft nicht gehört werden.
Mit ihrem Buch Ich habe einen Namen wird aus Emily Doe nun auch in der Öffentlichkeit Chanel Miller – eine junge Frau, die sich den Narrativ ihrer eigenen Geschichte zurückerobert. Die zeigt, welche Macht Sprache und Worte haben können. Aber auch, wie schmerzhaft und schwierig es ist, gehört und als Person wahrgenommen zu werden. Als jemand, der nicht nur Opfer ist.
„Ich heiße Chanel. Ich bin ein Opfer. Ich habe kein Problem mit diesem Wort, lediglich mit der Vorstellung, es sei alles, was ich bin. Allerdings bin ich nicht Brock Turners Opfer. Von ihm bin ich gar nichts. Ich gehöre ihm nicht.“
Barbara Streidl: Feminismus. 100 Seiten (Reclam)
Feminismus ist, das dürfte mittlerweile klar sein, ein komplexes und schwieriges Thema. Ein Thema, das sich eher nicht in einem einzigen Buch erschöpfend behandeln lässt (ich spreche da aus Erfahrung). Die Journalistin und Autorin Barbara Streidl hat sich nun in Feminismus. 100 Seiten der Herausforderung gestellt, auf nur wenigen Seiten kurz und prägnant zusammenzufassen, was Feminismus ist, was nicht, und was er will. Sie gibt Einblicke in die Geschichte der Frauenbewegung, einen Überblick über alte und neue Debatten und Lektüretipps. Vor allem kommen verschiedene Feminist*innen zu Wort (Offenlegung: darunter auch ich), die zeigen, dass es den einen, monolithischen Feminismus nicht gibt – und warum das gut so ist. Selbst alte Feminismus-Hasen finden hier garantiert noch den ein oder anderen neuen Aspekt und Denkanstoß. Oder sie verschenken das Buch an Menschen, die noch ein bisschen feministische Nachhilfe brauchen.
„Der Postfeminismus verdrängte den alten Feminismus vor allem aus den Medien und brachte durch Romane und Filme eine neue Leichtigkeit ins Spiel. Eine Postfeministin will bitte schön weder eine verbissene Kämpferin noch ein verzweifeltes Opfer des Patriarchats sein: Sie lässt sich lieber von ihrem Nachbarn den Koffer zum Bahnhof tragen und lacht später über ihn, ‚ein Romantiker halt‘, sagt sie ihren Freundinnen.“