Mit 15 versteckte ich mein Tagebuch unter dem Kopfkissen und holte es täglich hervor, um ihm von meinem aktuellen Schwarm, dem letzten Streit mit meiner besten Freundin oder meinen neuesten Selbstzweifeln zu erzählen. Ab und zu war die Tinte ganz verschmiert, weil ich ein paar pubertäre Tränen vergossen hatte — ich glaube, ich war in meinem bisherigen Leben zu niemandem so ehrlich wie zu meinem Tagebuch. Warum wir uns zwischenzeitlich aus den Augen verloren haben, weiß ich gar nicht mehr so genau, vielleicht aus Zeitmangel, vielleicht aber auch einfach, weil ich glaubte, ich sei zu alt für diesen Kram.
Statt meine Gedanken in ein Buch zu schreiben, schrieb ich jetzt lieber To Do Listen und Termine in ein Bullet Journal, um produktiver und organisierter durchs Leben zu gehen. Natürlich war das für jemanden wie mich Quatsch, weil ich noch nie gut darin war, Kalender zu pflegen. Das Ganze hat dann auch nur in den ersten zwei Monaten geklappt, bis ich das Journal mit schlechtem Gewissen tief in einer Schublade verschwinden ließ, bevor ich es vergangene Woche endlich durch ein frisches Tagebuch ersetzte — dafür ist man nämlich, das weiß ich jetzt, niemals zu alt. Mittlerweile glaube ich ja, nein, ich bin mir sogar ganz sicher, dass in jeder von uns eine Tagebuchschreiberin steckt, man muss eben nur das richtige Format für die eigenen Bedürfnisse finden.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von giphy.com zu laden.
Das Schöne an so einem Tagebuch ist nämlich, dass es keine Regeln gibt, keinen Druck oder Vorgaben, an die man sich halten muss. Man kann voll und ganz das tun, wonach einem gerade ist — und zwar so oft oder selten, so ordentlich oder chaotisch, wie man mag. Ob die Seiten mit Kritzeleien, Stichpunkten, langen Texten, Smileys, Fotos oder einzelnen Worten gefüllt werden, ist dabei wunderbarerweise völlig egal. Vielleicht ist das Tagebuch sogar eines der wenigen Dinge im Leben, das nicht der Produktivität oder irgendeinem Ergebnis, sondern voll und ganz uns selbst gewidmet ist. Ein Ort, an dem wir zu 100 Prozent wir selbst sein können, sei es noch so verletzlich, wütend oder peinlich.
Wozu das eigene Exemplar letztlich genutzt wird, muss natürlich jede/r für sich selbst entscheiden. Manch eine/r teilt ausschließlich die eigenen Gedanken oder hält Erinnerungen fest. Andere wiederum widmen sich voll und ganz einem Thema, denn tatsächlich können kanalisierte Tagebücher auch dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen. So gibt es etwa Wut-Bücher, in denen alle Ärgernisse und Gedanken, die vielleicht nicht immer ganz rational sind, festgehalten werden können. Das hilft nicht nur beim Druckabbau, sondern rückblickend auch dabei, zu ergründen, warum die Gefühle überhaupt ausgelöst wurden. Andere Möglichkeiten sind PMS-Tagebücher oder solche für alle, die unter Panikattacken leiden. Das Aufschreiben wird nicht nur zu einer Ablenkung, sondern hilft auch dabei, Auslöser zu erkennen. Letztlich ist es natürlich auch immer ein kleiner Reminder daran, dass das Leben stets weitergeht, egal, wie schlimm es sich in diesem Moment auch anfühlen mag. An einem Zeitpunkt durch die vollen Seiten zu blättern, kann uns selbst sogar näher an jene Antworten bringen, von denen wir glaubten, sie nie zu finden.
Vielleicht also wird es mal wieder Zeit, ein leeres Notizbuch aufzuschlagen und all die Gedanken niederzuschreiben, das Empfinden aufzumalen oder Erlebtes festzuhalten. Kunterbunt oder tiefschwarz, durcheinander oder geordnet, tiefgründig oder unüberlegt — eben ganz so, wie wir es gerade fühlen.