Witch, please! // Die Hexe – eine feministische Ikone, die bis heute verfolgt wird

Im Oktober 1968, am Halloween-Abend, machte sich eine Gruppe Frauen – in schwarz gehüllt und mit Spitzhüten versehen – auf zur New Yorker Wall Street. Ihr Vorhaben: ein Fluch. An der Börse angekommen, ließen die Frauen Klebstoff in den Verschlussmechanismus der Tür sickern. Als Banker am nächsten Morgen zur Arbeit wollten, kamen sie nicht herein und der Dow Jones, so heißt es, sei an diesem Tag um 13 Punkte gefallen. Zumindest für einen Tag hatte er also funktioniert, der Fluch, mit dem die Frauen den New Yorker Bankenbezirk belegen wollten. Es sollte die auffälligste und denkwürdigste Aktion von WITCH werden (kurz für Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell), einer Gruppe sozialistischer Feminist*innen.

Hexen: schlau, sexy, cool

60 Jahre später sind die Hexen zurück. Und wie: Auf Protesten weltweit werden Transparente mit dem Spruch „We are the granddaughters of the witches you couldn’t burn“ geschwenkt; als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, nahm Sängerin Lana del Rey an einer Art Massen-Ritual teil, um ihn mit magischen Mitteln wieder loszuwerden (später wurde del Rey ihrerseits von Azealia Banks mit einem Fluch bedroht); in Paris demonstrierten 2017 Frauen in Hexen-Kostümen und mit der Parole „Macron in den Kochtopf“ gegen die Arbeitsrecht-Reform; am Vorabends des ersten Women’s March 2017 verkündete die US-amerikanische Autorin Andi Zeisler „We need to go full witch“; im Fernsehen (bzw. auf Netflix) sind die Mädels von Charmed und Teen-Hexe Sabrina in Form von Reboots zurückgekehrt; auf Amazon finden sich Bücher mit Namen wie Basic Witches. How to summon success, banish drama and raise hell with your coven oder Witch. Unleashed. Untamed. Unapologetic.

 
 
 
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Innerhalb weniger Jahre ist die Hexe zum feministischen Symbol unserer Zeit geworden: Sie steht für Autonomie und Selbstbewusstsein, für Rebellion und eine Jetzt-Reichts-Haltung. Die heutigen Hexen haben kaum noch etwas gemein mit den berühmten Hexen aus dem Märchen – mit diesen garstigen älteren Frauen, das Gesicht oft warzengarniert, mit finsteren Absichten und den dazu passenden Zaubersprüchen und Tinkturen. Schneewittchens zauberkundige Stiefmutter befördert ihre verhasste Adoptivtochter mithilfe eines vergifteten Apfels in einen gläsernen Sarg. Hänsel wird fast von einer Hexe zum Abendessen verspeist.

Und Dornröschen muss sich dank einer rachsüchtigen Hexe – im dazugehörigen Märchen ‚Fee‘ genannt – an einer Spindel stechen und in einen hundertjährigen Schlaf fallen. Natürlich, es gibt auch gute Hexen: Glinda unterstützt in Der Zauberer von Oz Dorothy bei ihrem Kampf gegen die giftgrüne böse Hexe des Westens, Dornröschens geplanter Tod wird dank einer guten Fee in einen sehr langen Schlaf umgewandelt und Bibi Blocksberg könnte keiner Menschenseele etwas zu Leide tun.

Es waren die 1990er, in denen die Hexe endgültig zum kulturellen Phänomen wurde. Vor allem, weil Film und Fernsehen sie (wieder) entdeckten. 1993 kam Hocus Pocus in die Kinos, 1996 folgten Der Hexenclub und die Serie Sabrina – Total verhext. 1997 startete Buffy – Im Bann der Dämonen, ein Jahr später Charmed und Zauberhafte Schwestern. Hexen, das waren nun moderne, oftmals attraktive Frauen mit alltäglichen Problemen, die immer wieder erkennen mussten, dass auch Magie nicht die Lösung für alles ist. Sie waren schlau, so wie Hermine Granger in den Harry Potter-Büchern, sexy, wie Nicole Kidman in Zauberhafte Schwestern oder cool wie Neve Campbell in Der Hexenclub. Sie wehrten sich gegen eine Gesellschaft, in denen ihnen immer und immer wieder vermittelt wird, dass sie anders sind, weniger wert: So ließ die dunkelhäutige Rochelle im Hexenclub ihrer rassistischen Mitschülerin die Haare ausgehen und Buffys beste Freundin Willow wurde dann zur mächtigen Hexe, als sie ihre Liebe zu einer Frau akzeptierte.

In Zeiten der Hexenjagd

In Zeiten, in denen die Rechte von Frauen und Minderheiten weltweit unter Beschuss stehen, erscheint die Hexe als natürliche Identifikationsfigur. Sie ist nicht bereit zuzulassen, dass andere über ihren Körper und ihre Freiheit bestimmen, sie beharrt auf ihrem Recht, einen eigenen Lebensentwurf zu gestalten. Das ist selbstverständlicher als noch vor ein paar Jahren, Jahrzehnten. Doch, wie die französische Journalistin Mona Chollet in ihrem 2018 erschienenen Essay Sorcières. La puissance invaincue des femmes (dt. Hexen, die unbesiegte Macht der Frauen) analysiert: Frauen, die alleine leben, Frauen, die keine Kinder haben (und auch keine wollen), alte Frauen, werden von der Gesellschaft immer noch abgelehnt oder zumindest kritisch beäugt. Sie sind Hexen, weil sie sich gesellschaftlichen Erwartungen davon, wie eine Frau zu sein hat, widersetzen. Die amerikanische Autorin Sady Doyle erklärt, dass gerade die weibliche Fruchtbarkeit eine entscheidende Säule des Patriarchats ist – verweigern Frauen sich ihrer ‚natürlichen‘ Aufgabe, wackelt die Geschlechterordnung: „Wenn du die ultimative Autorität bist […] und dich dafür entscheidest, alleine ein Kind zu bekommen oder niemals Kinder zu bekommen, erschreckt das Menschen zu Tode. Es ist der gefährlichste, bedrohlichste, entsetzlichste Ausgang für das Patriarchat.“

Und das Patriarchat wehrt sich. Die Hexe mag in den letzten Jahren auch deshalb eine positive Identifikationsfigur geworden sein, weil Alte Weiße Männer© wie Donald Trump ‚Hexe‘ so gerne und oft als Schimpfwort benutzen. Im Wahlkampf 2016 wurde Hillary Clinton vom rechten Verschwörungstheoretiker Alex Jones beschuldigt, „regelmäßig“ eine Hexenkirche zu besuchen; der Radiomoderator Rush Limbaugh nannte Clinton nach ihrer ersten TV-Debatte mit Donald Trump „a witch with a capital B“. Clinton ist längst nicht die einzige Hexe, die angeblich ihr Unwesen mit armen Männern treibt: Woody Allen, der Harvey Weinstein – genau, dem Harvey Weinstein – zu Hilfe eilte, beschwerte sich über eine „Hexenjagd-Atmosphäre“ und auch Donald Trump liebt es, von „Hexenjagd“ zu sprechen, wenn es mal wieder ein paar Frauen wagen, ihn öffentlich zu kritisieren. Passenderweise verkauft die Republikanische Partei nun offiziell „Witch hunt“-T-Shirts.

 
 
 
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Die Autorin Lindy West kommentiert: „Wenn Allen und andere Männer vor einer ‚Hexenjagd-Atmosphäre‘ warnen, dann meinen sie eine Atmosphäre, in der von ihnen erwartet wird, dass sie sich mit der Sorgfalt, Rücksicht und Angst vor Konsequenzen verhalten, welche der Rest von uns grundlegende Professionalität nennt und Respekt für geteilte Menschlichkeit.“ Während der Hexenjagd im Mittelalter endete die Jagd meistens auf eine Weise: mit dem Tod der Hexe. Über drei Viertel der Opfer damals waren Frauen. Wenn Männer sich also nun über eine angebliche Hexenjagd in Hollywood und anderen Branchen beschweren, vergessen sie eins: Sie mögen zwar an den Pranger gestellt werden – aber nicht auf den Scheiterhaufen. Sie werden gerettet, sie leben, sie kommen zurück. Weil das für Männer irgendwie immer so ist.

Und gerade deshalb, so scheinen es viele Frauen zu empfinden, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als Hexen zu werden. Zu sein. Die Hexe, als widerspenstige, radikale, unkontrollierbare und ja, gefährliche Frau, ist das Vorbild, mit dem vor allem junge Frauen heute sich identifizieren können. Junge Frauen, denen feministische Theorie nicht fremd ist, deren Feminismus aber mindestens genauso durch Popkultur und Politik geprägt wurde. Die eine spirituelle Ader haben und Geld für Kristalle und Tarot-Sets ausgeben. Die das Gefühl haben, das viele Errungenschaften, mit denen sie aufgewachsen sind, plötzlich ganz und gar nicht mehr selbstverständlich sind. Die merken, dass es nichts bringt, sich an die von einer patriarchalen Gesellschaft gemachten Regeln zu halten, weil diese Regeln immer zu ihrem Nachteil ausgelegt werden. Magie erscheint in Zeiten von Trump, Klimakrise und nahezu allgegenwärtigem Hass als etwas Konkretes, Greifbares, das sich positiv verstärkt, wenn es mit anderen zusammen ausgeübt wird. Mona Chollet stellt fest: „Die Magie erscheint paradoxerweise wie ein sehr pragmatischer Ausweg, ein lebenswichtiges Aufbäumen, eine Art, sich in der Welt und in seinem Leben zu verankern, in einer Epoche, wo sich alles verbündet zu haben scheint, um euch zu verunsichern und zu schwächen.“

Wild und wütend

Im WITCH-Manifest aus den 1960ern heißt es: „Hexen sind immer Frauen gewesen, die es wagten: groovy, mutig, aggressiv, intelligent, nonkonformistisch, forschend, neugierig, sexuell befreit, revolutionär waren. Du bist eine Hexe, indem du weiblich, wild, wütend, fröhlich und unsterblich bist.“ Oder, wie italienische Feminist*innen in den 1970ern warnten: „Tremate, tremate, le streghe son tornate“ – erzittert, erzittert, die Hexen sind zurückgekehrt.

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