Wie viele populäre Instagram- und Blogger-Persönlichkeiten reiste auch Model Stefanie Giesiger mit der Organisation Lycka in ein afrikanisches Land um Aufmerksamkeit, Spenden und warmherzige Gedanken für Kinder in Not zu generieren. Dass es sich hierbei um die Reproduktion und Fortführungen postkolonialistischer Machtstrukturen handelt, wissen die wenigsten.
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Ab Oktober ist neben vorweihnachtlicher Stimmung im Einzelhandel noch einer weitere Saison endgültig eingeläutet: Im Sprint auf die Feiertage wird die Spendentrommel für die Armen gerührt. Aktionen für bedürftige Menschen, Kinder in Not oder Aidsweisen. Die deutsche Spendenbereitschaft steigt ab dem Monat November an und erreicht im Dezember ihr Hoch – im letzten Jahr ganze 1,09 Mio Euro nach einer Studie des deutschen Spendenrats. Was prinzipiell nicht verwerflich klingt, kann in der medialen Reproduktion von Spendenzwecken und Projekten schnell problematisch werden. Auch auf dem Instagram Account von Stefanie Giesinger konnte mensch in der vergangenen Woche beobachten, wie sie mit Lycka nach Malawi reiste, um dort eine Grundschule mit aufzubauen. Teil des Instagramspektakels waren ein beiger Overall, viele Schwarze Kinder und ein mehr als fader Beigeschmack.
Der White Savior Komplex
Wir kennen diese Bilder. Ein verwahrlost aussehendes Kind am Straßenrand, fröhlich winkende Schulklassen, die dankbar eine*n der weißen Gäst*innen in Ländern des globalen Südens in Empfang nehmen. Hilfsprojekte, Spendenaktionen und die oft diskutierte sogenannte „Entwicklungsarbeit“ folgen jedoch problematischen, postkolonialen Prinzipien. In der öffentlichen Darstellung sehen wir häufig weiße Menschen, gerne Personen des öffentlichen Lebens, die sich der Armut in der Welt annehmen, gleichzeitig zutiefst gerührt sind von der Dankbarkeit der Menschen vor Ort aber auch mit dem Schock über die dort zu beobachtenden Zustände nicht hinterm Berg halten.
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Der von Teju Cole geprägte Begriff „White Savior Complex“ beschreibt das Phänomen des westlichen Retter*innen-Narrativs, in dem sich potenzielle Helfer*innen dazu berufen fühlen, in Ländern des globalen Südens Volunteer- „Entwicklungs- oder Hilfsarbeit zu leisten. In der Regel wollen sie etwas zurückgeben“, und „was Gutes tun“, verfolgen ehrenhafte Motive. Vielen ist jedoch die grundlegende Problematik nicht bewusst, die bestehende Machtstrukturen aufrechterhält und am Ende häufig öffentlich reproduziert wird.
In westlich und weiß sozialisierten Ländern kommt häufig ein verkürztes Bild des globalen Südens an. Wenig thematisiert werden bestehende Kolonioal- Macht- und Abhängigkeitsstrukturen, sowie deren Ursprung und Auswirkung auf Bewohner*innen. Interessant wird zum Beispiel der afrikanische Kontinent dann, wenn es um die tatsächlichen Armuts- und Elendszustände geht. Sicherlich sind Spenden hier ein oft sehr willkommenes und wichtiges Mittel um Menschen in Notlagen zu unterstützen. Die Frage ist nur, wie vergleichbare Tätigkeiten, Auslandsreisen und Aufenthalte dokumentiert und erzählt werden. Wer steht bei einer medialen Berichterstattung im Mittelpunkt? Wie nachhaltig ist die Organisation und wer wird hier tatsächlich gefördert? Sind Arbeitsplätze durch Anwohner*innen besetzt und wird durch Spenden die Möglichkeit gegeben, bestehende Strukturen zu fördern und weiterzuentwickeln? Vergleichbare Institutionen können, wenn sie nachhaltig geplant sind und transparent kommunizieren, etwas Gutes sein. Der Trend der profitablen Instagram-Reise weltwärts, dem sich @Stefanie.Giesiger, @Haticeschmidt, @Fynnbim oder @carmushka hingeben, verfehlt nicht direkt seinen Zweck, erweitert ihn allerdings durch den Eigennutz der einfühlsamen Helfer*innen-Kampagne.
Die Rolle von Instagram & Influencer Marketing
Seine Reichweite Nutzen und auf Organisationen wie Brot für die Welt oder auch Welthungerhilfe Aufmerksam machen bietet sich 2019 mehr an denn je. Neben Shoutouts für ein wichtiges Projekt, eine unterstützenswerte Organisation oder direkte Spendenkonten, hat sich über die vergangenen Jahre allerdings ein weiterer Trend abgezeichnet. Nicht nur Privatpersonen dokumentieren ihre Reise zu Hilfsprojekten und NGO’s. Auch Influencer*innen und Blogger*innen sind auf den Zug aufgesprungen, hierbei immer wieder auf Pressetrips und gesponserten Reisen gen Süden zu beobachten. Der Aufenthalt, die Initiator*innen, die Menschen vor Ort – alle mit dem Telefon dokumentiert. Hierbei werden nicht selten Persönlichkeitsrechte der Personen missachtet, deren Bilder sich blitzschnell via Social Media rund um den virtuellen Globus bewegen. Während wir uns schon lange an das Bild einer freudestrahlenden Gruppe Schwarzer Kinder gewöhnt haben, wäre es im übertragenen Sinne wohl mehr als befremdlich, wahllos in einem deutschen Kindergarten in die Menge der Kinder zu knipsen und mit Beschreibungen wie „Beautiful Humans“ ein Instagram-Posting hochzuladen. Beobachtet mensch die Kurzvideos und Fotografien, macht sich ein befremdliches Gefühl breit: Erwachsene Frauen und Männer im Zoo bewundern fremde Welten und staunen über die neuen Eindrücke. Das Individuum spielt seltener eine Rolle.
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„Bei „White Saviorism“ geht es jedoch um mehr als nur das Musterbeispiel einer Gruppe Weißer Teenager, die für ein zweiwöchiges Hilfsprojekt nach Bangladesch fliegt, um in einem Waisenhaus gebrochen Englisch zu unterrichten. Es geht auch um umstrittene Spendenplakate, die die Realität der Menschen im Zielland verzerren und den Eindruck erwecken, eine Weiße Einzelperson könne die „Armut Afrikas“ beenden. Es geht um Filme wie „Avatar“ (2009), „The Help“ (2011), „Machine Gun Preacher“ (2011) „Hidden Figures“ (2016), oder auch „Green Book“ (2018), die in der Kritik stehen, weil sie Geschichten von „Weißen Rettern“ erzählen.“Annemarie Bruckert für arte.tv |
Online wird die Auslandsreise mit Retter*Innen Sujet schnell zu Marketing Masche, wie wir sie in der Vergangenheit schon beim „Elends-Tourismus“ von Angelina Jolie, Ben Stiller oder Madonna beobachten konnten. Die Kulisse in Ländern des globalen Südens, als Requisiten Bewohner*innen und stets im Mittelpunkt die Influencer*innen, gerührt, schockiert, fassungslos von der sich neu erschließenden Welt. Voyeurismus, Armutstourismus, Grenzüberschreitung bei Menschen, die vermittelt bekommen, durch die Aufmerksamkeit „Erlösung“ zu erfahren und langfristig Hilfe zu bekommen. Neben der blitzschnellen Verbreitung von Bildern, die Machtstrukturen von weißen „Retternationen“ aufrechterhalten, bleiben Eingriffe und Dokumentation fremder Lebenswelten durchweg eurozentrisch und häufig unreflektiert. Frei von der Leber weg werden die prekären Umstände der Familien und Einzelpersonen beschrieben und bewertet, Hintergründe häufig außenvorgelassen. Am Ende steht oft eine große Organisation dahinter, die mangels interkulturelle Kompetenzen und nicht- weißer Stimmen im Unternehmen vergleichbare Trips organisieren und ihre Zukunft im Influencer-Makreting bestreiten wollen. Dass im Mittelpunkt häufig die Influencerin mit 50K Reichweite und ihr altruistischer, selbstloser Auftritt stehen, sieht mehr nach bewusster Entscheidung statt Versehen aus.
Reichweite ist in puncto Spendenbereitschaft und Aufmerksamkeit ein wertvolles Gut. Ist es hierbei aber nötig, berühmte Gesichter Wasserflaschen, Menstruationscups oder Mittagessen verteilen zu lassen? Am Ende sind es schicke Imagebilder für beide Seiten, die für die Ewigkeiten auf Festplatten und App-Abgründen versauern, kurz beachtet und später erneuert durch die Nächsten, die die Projektstätte entdecken. Ein Flug von Berlin nach Lilongwe, der Hauptstadt Malawis, kostet um die 550,00€. Beginnt es nicht beim Einsatz dieser Gelder die Präsenz Stefanie Gesinges vor Ort zu hinterfragen? Unterkunft, Transfer und Verpflegung mal außen vor.
Was muss sich verändern?
Gemeinsam müssen wir daran arbeiten, eurozentristische Weltbilder aus unseren Köpfen zu verbannen, um langfristig bestehende Machtstrukturen zu beheben und neue Geschichten des globalen Südens zu erfahren. Warum sehen wir europäische Leitkultur als fortschrittlich an, während uns nicht westliche Länder angeblich „hinterherhinken“ und im Volksmund „Entwicklungsländer“ heißen? Was entsteht in unseren Köpfen, wenn wir an Länder wie Malawi, Ruanda oder Nigeria denken und wovon sind diese Bilder geprägt? Ein Anfang kann hierbei die fortwährende Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen abseits von Europa sein. Genauso wie das Reflektieren kolonialer Geschichte und Verbindung zu aktuellen Zuständen. Spendenaktionen und Projekte unterstützen, die direkte Geldflüsse haben und transparent handeln, ohne doppelten Boden und mit dem direkten Support von Projekten vor Ort.
“If you don’t understand, ask questions. If you’re uncomfortable about asking questions, say you are uncomfortable about asking questions and then ask anyway. It’s easy to tell when a question is coming from a good place. Then listen some more. Sometimes people just want to feel heard. Here’s to possibilities of friendship and connection and understanding.”― Americanah |
Marketingatonalität gilt es zu beachten: Mit welchen Motiven wird auf die Organisation aufmerksam gemacht und was ist visuell abgebildet? Maßgebend ist auch sich als ggf. europäisch sozialisierte Person zu begreifen, wenn man vergleichbare Inhalte konsumieren und reflektieren will. Bringt in Erfahrung, was, wo, wann und wie Hilfe am ehesten gebraucht wird. Gerade wenn es um „Voluntourismus“ geht, können Ansässige Spendengelder oft besser gebrauchen als jemand, der kurzfristig mit anpackt und womöglich gegebene Jobs besetzt.
Auch in Zukunft wird uns Instagram mit vergleichbaren Bildern bespielen. Ein freundlicher Hinweis, Literaturempfehlungen oder der Verweis auf andere Content Creator kann häufig dabei helfen, den Blick in den Spiegel zu wagen und entsprechende Fehler zu umgehen. Das komische Gefühl beim Betrachten und der fade Beigeschmack – beides ist berechtigt. Länder des globalen Südens und Ihre Bewohner*innen sind kein Spielball einer westlich weiß sozialisierten Gesellschaft. Erst recht nicht für ein paar Instagram-Likes.
Ihr wollt etwas spenden und wisst nicht wohin? Diese Organisationen arbeiten transparent und nachhaltig:@muktanepal@visionsforchildrenIMPCTMehr über das Thema White Saviorism gibt es außerdem hier:Afropunk // YOUR VOLUNTEER TRIP TO “AFRICA” WAS MORE BENEFICIAL TO YOU THAN TO “AFRICA”The Atlantic // The White-Savior Industrial ComplexARD Panorama // Sinnlose Kurztrips ins ElendArte.tv // White Saviorism: Wenn Hilfe nicht hilfreich ist |