Es gibt keine genauen Zahlen dazu, wie viele Menschen in Deutschland sich als Transgender identifizieren. Das Gefühl, dass die Geschlechtsidentität nicht mit der bei der Geburt zugeordneten übereinstimmt, macht dies nicht weniger real. Genauso real sind damit Stigmata, Diskriminierung und Gewalt.
In Brasilien gewann der offen rechte Anti-LGBT Politiker Bolsonaro die Präsidentschaftswahl – nur kurz nachdem die US-Regierung eine strikte Geschlechtsdefinition vorschlug, die Transgender gesetzlich auslöschen würde. Mit den Hashtags #WontBeErased und #TransRightsAreHumanRights wurde ein Zeichen gesetzt, die Bedrohungen bleiben jedoch bestehen. Nicht nur von Regierungen und Gesetzen, sondern vor allem auch von uns Mitmenschen. Das Leben mit der Angst ist genauso wenig neu, wie die gesellschaftliche Intoleranz.
Bei dem Coming-out handelt es sich daher meist um mehr als eine einmalige Ankündigung. Für viele ist es ein täglicher Balanceakt, ein lebenslanger Prozess. Über diesen Alltag und warum sie nicht im falschen Körper geboren ist, schreibt für uns die Berliner Schauspielerin Gérsande Spelsberg.
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Geschlechtsidentität? Was bedeutet das eigentlich? Sie beschreibt, zu welcher Geschlechterrolle man sich persönlich zugeordnet fühlt, unabhängig von gesellschaftlich vorgelebten und anerzogenen heteronormativen Vorstellungen von Mann oder Frau. Definiert wird sie mit Begriffen wie etwa LGBTQ+. Das T steht hier für „Trans“, und dazu gehöre ich. Ich bin eine Transfrau und befinde mich seit ca. zwei Jahren inmitten meiner Transition von Mann zu Frau.
Seitdem habe ich wöchentlich meine Psychotherapeutin besucht, die mir eine große Hilfe war, Alltägliches in Bezug auf meine Transition zu besprechen, aber auch bevorstehende Behördengänge zu erklären und entsprechende Kontakte herzustellen um schließlich meinen Vornamen und Personenstand per Gerichtsbeschluss zu ändern.
Betreut von meiner Gynäkologin haben ich mit einer Östrogen-Hormontherapie begonnen und befinde mich momentan in einer sehr interessanten und spannenden Zeit, in der sich mein Körper und mein Bewusstsein täglich etwas mehr verändert. Die Hormontherapie spielt unter anderem bei der Fettverteilung im Körper eine Rolle, und auf einmal sind da Kurven, wo vorher keine waren. Ich bin sensibler geworden, feinfühliger und emotionaler.
Im falschen Körper geboren, wie man früher so gesagt hat, bin ich nicht. Wenn ich nur den einen Körper habe, wie kann dieser dann falsch sein? Ich würde es eher als physisch und psychisch im Ungleichgewicht und mit einer Inkongruenz in meiner sexuellen Identität beschreiben. Eine immerwährende Unsicherheit, gedanklich schon immer in einem weiblichen Körper, jedoch im Spiegelbild eines Mannes gefangen. Dies hatte zunehmend einen Verlust der eigenen Attraktivität zur Folge und beeinträchtigte zwangsläufig die Libido mit Partnern.
Anfangs noch unter dem Druck, dass ich mit 38 Jahren etwas spät mein Coming-out als Transfrau hatte, bin ich jetzt viel entspannter. Einfach war das nicht, aber dafür ehrlich. Eine versteckte Wahrheit, mit der ich so lange lebte, Realität werden zu lassen. Keine Geheimnisse mehr zu haben und ehrlich zu sein, mir selbst und den Menschen gegenüber, die mir wichtig sind, meiner Familie und meinen Freunden.
Die Reaktion meines Umfeldes war anfänglich besorgt. Wohlwissend, dass ich es als Transfrau eventuell schwerer in unserer Gesellschaft haben werde und vielleicht auch eine Art von Abschied von der Person, die ihnen nahestand, bis hin zu „Das ist jetzt keine große Überraschung“ als Reaktion meiner Schwester, die mich natürlich am besten kennt, begriffen es dann doch alle recht schnell und bestärkten mich, dass ich den für mich richtigen und einzig wahren Weg gewählt hatte.
Die Namens- und Personenstandsänderung hat eine Weile gedauert und diverse Besuche und Befragungen von Psychologen vorausgesetzt, die unabhängig voneinander und anhand unzähliger Fragen feststellten, dass ich weder eine Persönlichkeitsstörung habe, noch eventuell Transvestitismus vorliegt. Unter Transvestitismus versteht man Männer, die hin und wieder gerne Frauenkleidung tragen.
Die Änderung war ein großes Ereignis für mich. Es war mein Entkommen, aus dem Gefühl der Illegalität. Vorbei der Stress, zu einem Termin zu spät zu kommen und mit „Herr Spelsberg“ aufgerufen zu werden. Endlich mit dem für mich richtigen Pronomen angesprochen zu werden, mich anerkannt und respektiert zu fühlen. Nach diesem offiziellen Behördengang ist es jeder Person selbst überlassen, wie weit sie ihrem eigenen Ideal von Femininität mithilfe von operativen Eingriffen entgegenkommt.
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hießen geschlechtsangleichende Operationen Geschlechtsumwandlung, dabei ist der Operateur ja ein Chirurg und kein Magier. Nicht jede Transperson entscheidet sich für diese Operation, denn auch hier ist es absolut individuell, inwiefern die eigene Definition der Geschlechtsidentität mit operativen Eingriffen einhergeht.
Wichtig ist das Verständnis, dass es sich hierbei nicht um herkömmliche Schönheitsoperationen handelt, sondern um physisch angleichende Möglichkeiten wie zum Beispiel ein Brustaufbau, eine geschlechtsangleichende Operation in Form einer Neo-Vagina und eventuellen gesichtsfeminisierenden operativen Eingriffen.
Seit einigen Jahren gilt die geschlechtsangleichende Operation nicht mehr als Voraussetzung zur Namens- und Personenstandsänderung. Deutschland ist zusammen mit einigen wenigen Ländern (wie etwa Kanada, Thailand, Schweden, Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, Portugal und Spanien) momentan Pionier, was die gesetzlichen Grundlagen und die teilweise Unterstützung der Krankenkassen angeht, eine Transition zu ermöglichen.
Das ist in vielen Ländern leider immer noch anders. Unter der Administration von Donald Trump wurde gerade erst ein Gesetzesvorschlag entworfen, der das Geschlecht ausschließlich und unwiderruflich bei der Geburt eines Menschen zuordnet. Somit werden 0,7 % der amerikanischen Bevölkerung, die transident sind – in Zahlen 1,5 Millionen US Bürger – ihrer Identität beraubt. Transrechte sind Menschenrechte oder auch #TransRightsAreHumanRights, dieser Hashtag kursiert seitdem zu Recht aktiv durchs Internet.
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Mit diesem bewussten Schritt, mich für mich selbst zu entscheiden, habe ich mich an den Rand der Gesellschaft katapultiert und spüre regelmäßig den Hass, der mir nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen entgegenkommt. Hass weshalb? Was nehme ich wem weg? Sprüche wie „Du weißt nicht, was es bedeutet, eine Frau zu sein“ oder „Meinst du Östrogen macht dich zu einer Frau?“ bis hin zu „Die monatlichen Schmerzen der Periode kannst du doch gar nicht nachvollziehen“ musste ich mir regelmäßig von Fremden aber leider auch von Bekannten anhören. Dabei ist nichts davon mein Wunsch oder Ziel.
Ich werde nie und möchte niemals als biologische Frau gesehen werden. Ich bin eine Transfrau, was für mich bedeutet, dass ich keinem binären Geschlecht angehöre. Mit Transphobie bezeichnet man allgemein die Angst vor den Abweichungen von den Normen des körperlichen und sozialen Geschlechts von Mann oder Frau, da Transidentität die Heteronormativität in Frage stellt. Transmisogynie dagegen wird als zusätzliche Schicht von Frauenfeindlichkeit beschrieben. Sie reduziert die Transition auf sexuelle Beweggründe und sieht sie promiskuitiv.
In unserer heteronormativen Gesellschaft, in der anders sein weitgehend nicht akzeptiert wird, ist es umso wichtiger, Geschlechterrollen neu zu definieren. Es ist okay, wenn Ihr Sohn gerne mal ein Prinzessinnen- oder Ihre Tochter ein Batman-Kostüm anziehen möchte. Es gibt mehr als nur die Farbe Rosa für Mädchen und Hellblau für Jungs – wenn man beide vermischt, ergeben sie Violett.
Es ist unsere Aufgabe, Geschlechter abseits der Binäre in all ihren Facetten zu repräsentieren.