Ein gern verbreitetes Klischee über Feminist*innen lautet ja, dass die immer so unfassbar wütend sind. Unangenehm wütend. Anstrengend wütend. So richtig im Furien-Modus. Über alles regen sie sich auf, meckern, nölen, sind unzufrieden. Man kann gar nicht richtig reden, mit diesen Feminist*innen, so wütend sind die. Ehrlich!
Ja, jetzt mal ehrlich: An dem Klischee ist was dran. Ich selbst bin nicht nur eine feministische Spaßverderberin, ich bin auch ganz schön wütend. Und das, finde ich, durchaus berechtigt. Ob Klimakrise, der anhaltende Siegeszug von Rechtspopulismus und -extremismus, Antisemitismus, Missachtung von Menschenrechten, zunehmende soziale Ungleichheit und die eher unbefriedigenden Reaktionen seitens der Politik darauf – all das macht mich wahnsinnig wütend. Und ich habe den Eindruck, vielen anderen Menschen geht das auch so.
Es köchelt
Nun ist es aber etwas grundlegend Verschiedenes, ob Männer wütend sind oder Frauen. Männer dürfen ihre Wut ohne Probleme zeigen. Männliche Wut ist, nun ja, männlich. Stark. Sie zeugt von Leidenschaft. Wütende Frauen hingegen sind hysterisch und unweiblich, außer Kontrolle, man kann sie nicht ernst nehmen. Das gilt umso mehr für Feminist*innen, für manche Menschen sowieso immer noch die schlimmste Verkörperung dessen, was eine Frau sein kann. Deshalb zeigen viele Frauen, viele Feminist*innen, ihre Wut nicht. Weil man ihnen gesagt hat, dass wütende Frauen irrational sind. Weil man ihnen gesagt hat, dass Feminist*innen zugänglich und offen wirken müssen, wenn sie mit ihren Anliegen die breite Gesellschaft erreichen wollen.
Wut wird meistens mit Schreien gleichgesetzt, mit Lautsein, mit emotionalen Eruptionen. Und natürlich, so kann Wut aussehen. Sie kann aber auch anders sein. Stiller. Etwas, das nicht plötzlich ausbricht, sondern langsam vor sich hin köchelt. Tage, Monate, Jahre. Es ist diese Art von Wut, die ich seit Jahren zunehmend spüre. Ich spüre, wie es in mir brodelt und ja, vielleicht gab es hier und da mal einen kleinen Ausbruch. Aber vor allem brodelt es. Und brodelt.
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Empört euch!
Dieses Brodeln ist, zumindest für mich, nichts Destruktives, sondern etwas Produktives. Es zeigt mir, dass ich, trotz allem, noch nicht ganz abgestumpft bin. Es lässt mich wütend bleiben – und das ist gut, denn ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass wir mehr Wut brauchen. Wütender sein müssen. Uns laut empören müssen über das, was passiert. Weil ich so langsam die Nase voll habe davon, dass es immer heißt, man solle mal schön zurückhaltend und höflich sein, sei es im Umgang mit Rechtspopulist*innen und -extremist*innen oder Nicht-Feminist*innen (öfter in ein- und derselben Person vereint). Nüchtern sein, ja nicht zeigen, dass man wütend ist, gut argumentieren. Dann klappt das mit dem Gespräch, dann lässt sich die andere Person vielleicht überzeugen.
Ich finde, die Erfahrungen der letzten Monate und Jahre haben gezeigt, dass diese Art von Gesprächsführung eher wenig bringt. Die AfD ist weiterhin erfolgreich, obwohl doch so viele wohlmeinende Menschen so viel und so höflich mit ihren Wähler*innen sprechen. Die AfD ist wütend auf eine ganze Reihe von Dingen: auf die etablierten Parteien (= alle Parteien außer sie selbst), auf linksversiffte Gutmenschen, Feminist*innen, auf Immigrant*innen, auf die Tatsache, dass sie eine Strafe für mutmaßliche illegale Parteispenden zahlen soll… Die AfD ist wütend und zeigt das auch. Und bekommt meist zurück – Höflichkeit.
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Wut als Antrieb
Selbstverständlich soll es nicht darum gehen, wer lauter schreien kann. Es geht darum, dass Wut ein wichtiger Antrieb sein kann – nicht nur, um à la AfD rechte Parolen zu verbreiten, sondern ebenso, sich diesen entgegenzustellen. Als der Grüne Cem Özdemir Anfang 2018 in einer Bundestags-Rede mit der AfD abrechnete, war er nicht nur leidenschaftlich und rhetorisch versiert: Er war offensichtlich wütend. Und das wurde – zu Recht – anerkannt und gefeiert (Hätte Özdemir genauso viel Applaus bekommen, wenn er eine Frau gewesen wäre? Vielleicht, vielleicht auch nicht).