Mit Jahresrückblicken ist das ja so eine Sache: Man läuft immer Gefahr, das eine über- und das andere unterzubewerten, auszulassen… Kurz, den Eindruck zu vermitteln, ein Jahr ließe sich schön übersichtlich in Highs und Lows einteilen. Das alles, um zu sagen: Jahresrückblicke zu schreiben, fällt mir nicht leicht – versuchen will ich es aber trotzdem. Einen Rückblick zu geben darauf, was in feministischer Hinsicht 2019 passiert ist und was das bedeutet.
2019 war für mich ein widersprüchliches Jahr: Einerseits fühlte ich mich so oft so abgestumpft – angesichts der allgegenwärtigen schlechten Nachrichten und Entwicklungen kein Wunder. Phasenweise schien mich nichts mehr so richtig zu erreichen, ließ ich nichts mehr an mich ran. Andererseits fühlte ich mich wütend, unglaublich wütend.
§219a: immer noch
Einer der Gründe dafür war der anhaltende Streit um §219a, der sogenannte „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet. Den politischen Willen, diesen Paragraphen einfach abzuschaffen, gab es dank GroKo nicht – dafür aber 5 Millionen Euro für Gesundheitsminister Jens Spahn, damit der eine Studie zu den psychischen Folgen von Abtreibung in Auftrag geben kann. Dabei gibt es solche Studien längst, sie bestätigen nur nicht das, was Spahn sich wünscht, nämlich, dass Frauen, die abgetrieben haben, später unter dieser Entscheidung leiden. Nicht nur mich machten die für eine unnötige Studie verschwendeten 5 Millionen Euro fassungslos, sondern auch Nike:
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Sie sammelte mit ihrer Petition #WasfürnSpahn bis heute über 88.000 Unterschriften. Leider, so scheint es, wird es nicht nur die Studie geben, auch §219a wird weiter bestehen.Der von der GroKo ausgehandelte Kompromiss ist ein schlechter. So wurden mehrere Ärzte*innen im Laufe des Jahres zu Geldstrafen verurteilt, weil sie auf ihren Webseiten darüber informierten, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen und welcher Art diese sind – darunter auch Kristina Hänel. Dass die bestehende Gesetzeslage absurd ist, machte die zuständige Richterin im Fall Hänel deutlich: „Es macht keinen Sinn, strafrechtlich eine sachliche Information zu einem medizinischen Eingriff zu verbieten (…). Es fällt schwer, Argumente dafür zu finden, dass der 219a so ins Gesetz gekommen ist.“
Die Dinge beim Namen nennen: Femizid
Ebenso schwer fällt es, Argumente dafür zu finden, warum in Deutschland der Begriff „Femizid“ nicht längst zum Standardvokabular in Politik und Gesellschaft gehört: Hierzulande wird alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. 147 Frauen waren es 2017, 123 im Jahr 2018. Von Femizid zu sprechen statt nur von Mord oder gar von einem „Beziehungsdrama“ bedeutet, die geschlechtliche Dimension dieser Verbrechen anzuerkennen. Femizid, das bedeutet: Mord an Mädchen und Frauen, weil sie Mädchen und Frauen sind. Anderswo scheint die Empörung darüber ungleich größer zu sein: In Frankreich beispielsweise, deren Femizid-Zahlen in etwa mit den deutschen vergleichbar sind, gingen tausende von Menschen unter dem Motto #NousToutes (dt. Wir alle) gegen dieses Verbrechen auf die Straße.
Präsident auf Abruf? Eher nicht.
A propos Verbrechen: Donald Trump droht ein Impeachment-Verfahren, das ihn sein Amt kosten könnte. Zahlreiche Zeug*innen wurden dafür angehört, unter anderem Marie Yovanovitch, die von 2016 bis 1019 Botschafterin der Vereinigten Staaten in der Ukraine war, und als Teil einer Schmierkampagne vorzeitig abberufen wurde. Yovanovitch sagte im November 2019 sowohl nicht-öffentlich als auch öffentlich zur Ukraine-Affäre aus und äußerte ihre Besorgnis über die Einmischung der Trump-Administration in die US-Außenpolitik. Trumps Reaktion?
Natürlich, ein Twitter-Rant: „Everywhere Marie Yovanovitch went turned bad. She started off in Somalia, how did that go?” Möglicherweise schaffen es die Demokrat*innen, Trump aus dem Amt zu jagen. Möglicherweise aber auch nicht und es könnte sein, dass dieser sexistische und misogyne Mensch, der die Rechte von Frauen beschneidet und gegen Minderheiten hetzt, noch bis zur nächsten Wahl 2020 Präsident bleibt – und, wenn es ganz schlecht läuft, auch darüber hinaus.
100 Jahre Frauenwahlrecht
Von der amerikanischen Politik zurück zur deutschen: 100 Jahre ist es her, dass Frauen hierzulande ihr aktives und passives Wahlrecht zum ersten Mal bei einer Wahl nutzen durften. 37 Frauen zogen 1919 in die Nationalversammlung ein; 37 Frauen, die nicht nur wählten, sondern sich auch wählen ließen. So wurde Realität, was Frauenrechtler*innen seit Jahrzehnten gefordert hatten: Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Und heute, 100 Jahre später? Ist der Frauenanteil im Bundestag so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr: Er liegt gerade einmal bei 30,7 Prozent (was auch am Einzug der AfD ins Parlament liegt).
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Noch schlechter sieht es auf regionaler und lokaler Ebene aus. Hinzu kommt, dass gerade viele junge Frauen darauf verzichten, ihre Stimme zu nutzen: Frauen mit Mitte 20 haben die niedrigste Wahlbeteiligung. 100 Jahre Frauenwahlrecht bedeutet somit nicht nur, dass Erreichte zu feiern – sondern ebenso, sich daran zu erinnern, warum es so wichtig ist, dieses Recht auch zu nutzen. Gerade heute, wo Parteien, die tradierte Geschlechterrollen befürworten, Hass verbreiten und insbesondere schutzlose Menschen (darunter Geflüchtete) ins Visier nehmen, mehr und mehr Unterstützung bekommen.
Frauentag = Feiertag
Gefeiert wurde auch, wie jedes Jahr, der internationale Frauentag. In Berlin diesmal ganz besonders, hat man hier den Tag doch offiziell zum Feiertag erklärt. Das ist durchaus kritisch zu sehen, droht der Frauentag in den Köpfen der Menschen doch nun noch mehr zu einer irgendwie emanzipierten Variante des Mutter- und Valentinstags zu verkommen. Damit das nicht passiert, hilft nur eins: Am Frauentag weiter auf die Straße gehen, laut sein, sich beschweren. Genug Gründe dafür gibt es ja.
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Bye bye tampon tax!
Dass es sich lohnt, Druck zu machen und hartnäckig zu bleiben, zeigt die Absenkung der sogenannten Tamponsteuer auf 7%. Zur Erinnerung: Hygieneartikel wie Tampons und Binden wurden in Deutschland bisher mit 19% versteuert, fielen in die Kategorie „Luxusartikel“ und waren somit teurer als nötig. Unter anderem hatten die Aktivistinnen Nanna-Josephine Roloff und Yasmin Kotra eine Petition gestartet, in der sie kritisierten: „Die hohe Besteuerung dieser Produkte stellt eine fiskalische Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts dar, die das Grundgesetz eigentlich nicht erlaubt.“ Auch das Berliner Unternehmen Einhorn forderte unter dem Motto #KeinLuxus den Bundestag auf, die Steuer zu senken. Das hat nun geklappt und für 2020 gilt: No more tampon tax!
Aufopfernd: Harvey Weinstein
Auf die gute folgt allerdings auch gleich eine schlechte Nachricht: Harvey Weinstein, dessen Prozess bald beginnt, hat sich mit einigen seiner mutmaßlichen Opfer auf einen Vergleich in Höhe von 25 Millionen US-Dollar geeinigt. Dieser Vergleich bedeutet, dass Weinstein kein Fehlverhalten seinerseits zugeben oder die Millionen von Dollar selbst zahlen muss. So unbefriedigend das ist: Auf günstigere Bedingungen und einen – für sie – positiven Ausgang des Prozesses zu warten, könnte bedeuten, dass die Opfer am Ende ohne etwas dastehen. Die grundsätzliche Frage, die sich stellt, ist: Was wäre eine angemessene Wiedergutmachung bei dieser Art von Anschuldigungen? Was wäre richtig? Schuldbewusstsein scheint bei Mr. Weinstein grundsätzlich nicht vorhanden zu sein, er findet, Hollywood müsse ihm dankbar sein – so viele Filme mit und über Frauen, wie er produziert hat!
Was bleibt von 2019? Vor allem die Erkenntnis: Manche Themen scheinen nie abgeschlossen zu sein, kommen immer wieder. Mein Wunsch für 2020, für das neue Jahrzehnt, lautet deshalb: Durchhaltevermögen, um sich mit diesen Themen immer und immer wieder auseinanderzusetzen und eine Art gerechter Zorn, um sich mit den Dingen, so wie sie sind, nicht abzufinden. Ein Wunsch – aber auch ein Vorsatz.
Was 2019 sonst noch passiert ist, feministisch betrachtet (eine kleine Auswahl):
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Was ist euch von 2019 feministisch im Gedächtnis geblieben? Was wünscht ihr euch für 2020?
Lizzo Bild im Header via Vogue Germany