Mein Sohn und ich hatten es uns gerade für einen Kinoabend auf dem Sofa gemütlich gemacht und Peter Pan angeschmissen, da blieb mir auch schon gleich das erste salzige Stück Popcorn im Rachen stecken, vor lauter Schreck über so viel inhaltliche Scheiße in einem an sich doch so wundervollen Kinderfilm. Hatte ich vergessen, wie stereotyp und falsch und grausam das Miteinander von Mädchen, bzw. weiblichen Wesen dort seit jeher abgebildet wird? Wohl kaum. Viel wahrscheinlicher ist, dass ich zuvor gänzlich blind für diese formelhafte Art der Erzählung gewesen war, schließlich bin auch ich mit Disney aufgewachsen und von einer mal mehr mal weniger frauenfeindlichen Medienlandschaft sozialisiert worden. Oft gilt hier: Mädchen = Konkurrentinnen. Keine gönnt der anderen auch nur den kleinsten Erfolg, wünscht ihr höchstens einen grässlichen Zauber an den Hals. Sogenannte „Zickenkriege“ wundern uns demnach nicht die Bohne, weil normalisiert – getreu dem frei erfundenen Motto „Keine Realität ohne Rivalität.“
Bitch Face forever
Zunächst blieb ich jedenfalls recht ruhig und beobachtete den von – klar – Männern erfundenen Charakter der Fee ein paar Minuten lang dabei, wie er voll und ganz im Klischee ersoff: Die bildschöne, Sanduhr-förmige Naseweiß schaut bei jeder Gelegenheit in den Spiegel und lechzt ebenso ununterbrochen wie verzweifelt nach Peters Aufmerksamkeit, ganz so als hätte sie mit ihrem Leben nichts anderes anzufangen als einem ohnehin unerreichbaren, eineinhalb Meter größeren Menschenjungen hinterher zu scharwenzeln – ganz zu schweigen von diesem beachtlichen Bitch Face, das von der Fee immer dann aufgesetzt wird, wenn sich die naive, liebe Wendy in Peters Nähe aufhält.
Das alles kam mir in der Summe zwar irgendwann komisch vor, aber Schwamm drüber, Eifersucht ist menschlich, noch nicht einmal Simone de Beauvoir war zu Lebzeiten vor dieser Todsünde gefeit.
Als besagte Fee Wendy einige Szenen später jedoch im Kanonenkugel-Hagel zurück lässt, auf dass sie doch bitte krepieren möge, fiel ich vom Glauben ans Nimmerland ab. Das konnten am Ende bloß noch die gackernden, verknallten und gemeinen Meermädchen toppen, die Wendy vor lauter Eifersucht zu ertränken versuchen – „nur so zum Vergnügen“, versteht sich.
Girl Hate ist nicht angeboren
Ein Märchen, denkt ihr nun, nichts als ein dummes Märchen. Aber ist das wirklich so? Oder steckt vielleicht doch ein Funken Wahrheit in dieser überspitzten Zurschaustellung unseres vielleicht größten Schwachpunkts – dem nicht-Zusammenhalten?
Ich finde: ja. Denn „Girl Hate“, wie Tavi Gevinson das beschriebene, sagen wir mal „Phänomen“ einst taufte, wird uns quasi von der Pieke an beigebracht. Wir lernen, uns miteinander zu vergleichen, in den Wettbewerb gegeneinander zu treten, permanent. Dass wir immer schöner, dünner, besser, netter sein müssen als die anderen (Mädchen). Und dass im Zweifel eben nur für eine von uns Platz ist. Das Resultat dieser tatsächlich sehr unnatürlichen, aber präzise anerzogenen Unsicherheit mündet schlussendlich in einem tiefsitzenden gesellschaftlichen Problem, das uns im schlimmsten Fall bis ins Erwachsenenalter hinein und sogar in die Berufswelt verfolgt und dessen Folgen Julia Korbik bereits an anderer Stelle sehr treffend analysiert hat:
„Der Mythos „Girl Hate“ trägt dazu bei, dass schon Mädchen und später Frauen sich selbst und andere Mädchen und Frauen klein halten und sich untereinander bekämpfen. Und er verhindert, dass sie ihre Energie in andere Dinge stecken. Banden bilden, zum Beispiel.“
Moment, Mythos? Jein. Mythos deshalb, weil ein solches Verhalten, entgegen der allgemeinen, stereotypen Annahme, eben keineswegs in unserer DNA steckt. Und dennoch lässt er sich beobachten – als Resultat unserer schrägen Sozialisation und dem damit einhergehenden Mangel an Selbstwertgefühl. Welches wir aber nunmal dringend benötigen, um andere (Frauen) aufrichtig aufbauen und unterstützen zu können. Oder ist es eher die Selbstreflexion, an der es uns fehlt?
Frauen sind Arschlöcher – aber nicht immer
Ich meine, jetzt denkt noch mal nach: Wann habt ihr zuletzt schlecht über eine andere Frau geredet oder die Augen gerollt, abwertend geschaut oder Vernichtendes gedacht? Und was war der ausschlaggebende Grund dafür? Einer, der handfest ist? Wirklich? Nun gut.
Frauen können Arschlöcher sein, weil Frauen nunmal Menschen sind. Menschen wiederum können scheiße sein. Und weil ich eine Freundin der klaren Worte bin, verlange ich ja auch gar nicht, diesen Umstand künftig zu ignorieren oder gar gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Was uns allen aber ganz bestimmt nicht schaden würde, wäre ein bewusster Fakten-Check zu Beginn eines jeden Rants. Und ich schwöre: Irgendwann setzt das Verlernen ein. Das ist nötig. Und nicht weniger wichtig als das Dazuzulernen; tatsächlich wird es sogar maßlos unterschätzt, wenn ihr mich fragt.
Ihr seid Schwestern, keine Rivalinnen
Stellt eure Denkmuster in Frage. Euer Verhalten, eure Gefühle und Gedanken, wann immer es um das Degradieren von anderen Frauen geht. Geht es da wirklich um die andere Person, oder in Wahrheit um euch selbst? Scheißt aufs Lästern. Führt Regeln ein, zum Beispiel so wie Melodie Michelberger, in deren Büro die Regel gilt: Spreche niemals schlecht über eine andere Frau!
Im Zweifel seid ihr euch nämlich ähnlicher als ihr denkt.
Weil ihr aufgrund eures Geschlechts ähnliche Erfahrungen macht und jeden Tag kämpft, weil ihr beide manchmal unsicher seid und Angst habt – davor nicht genug genug zu sein oder sogar voreinander. Weil ihr beide in einer sexistischen Gesellschaft lebt.
Befreit euch. Lasst es einfach sein. Seid furchtlos. Ohne die anderen geht es sowieso nicht. Mit ihnen hingegen geht es dafür viel, viel besser.
Es stimmt also: Das Ende von „Girl Hate“ bist du.