Ich habe meine Karriere irgendwo in der PR begonnen. Während meines Praktikums war ich nicht nur Showroom-Managerin, sondern habe mich nebenbei auch um ganz persönliche Anliegen der Agenturchefin gekümmert. Für 300 Euro im Monat hatte sich diese nämlich überlegt, dass eine persönliche Assistenz, die neben Arztterminen der Kinder und Flüge für Verwandte für weitaus mehr als das Unternehmen zuständig sei. Damals habe ich ihre Pferdedecke zur Reinigung geschickt, ihre Dogge nach Norwegen ausfliegen lassen und nebenbei neue, maßgefertigte Reitstiefel samt Fußabdruck und Wadenmessung ins Büro bestellt. Wirklich wahr. Ich war 22 Jahre alt und wollte unbedingt PR-Managerin werden. Dass 300 Euro zu wenig Geld waren und es nicht meine Schuld war, wenn sie ihren Arzttermin verschlafen hatte, hat mir damals keiner gesagt. Die Arbeitsatmosphäre war toxisch, der Druck immens und die Stimmung bedenklich. Oft habe ich vor der Arbeit geweint und meine Mutter angerufen oder kam nachts über angeblich verloren gegangene Samples nicht in den Schlaf.
Wie und wann emanzipiert man sich in Arbeitsumfeldern, die die erbrachte Leistung oder den Menschen dahinter nicht wertschätzen können? Und was erleben andere dort, wo sie etwa die Hälfte der eigenen Lebenszeit verbringen? Wir haben 8 Frauen danach gefragt, was sie am Arbeitsplatz nie mehr erleben wollen.
Luca
Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine chronische Krankheit als Vorwand genommen, um mir zu kündigen. Vor ein paar Monaten habe ich angefangen, in einem Architekturbüro zu arbeiten. Nach dem Bewerbungsgespräch wurde ich direkt angestellt und erwähnte bei dieser Gelegenheit, dass ich eine chronische Erkrankung habe (was keine Pflicht ist, aber ich habe kein Problem darüber zu sprechen). Dann, sechs Monate später, als meine Probezeit hätte enden sollen, bat mich mein Chef um ein Gespräch und meinte, er wisse nicht, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, mich dem Druck auszusetzen, meine Arbeit im Büro auszuüben. Dabei habe ich mich nie beschwert, der Abteilungsleiter war sehr zufrieden mit meiner Arbeit und ich habe in den sechs Monaten nur 3 Tage gefehlt.
Auch wenn ich wusste, dass mir eines Tages so etwas passieren könnte, war das für mich ein sehr harter Schlag und ich wünsche allen, denen es so ergeht wie mir, viel Kraft. Das Ende der Geschichte ist, dass meine Probezeit zwar um drei Monate verlängert wurde, ich aber trotz ausdrücklicher Bitte des Abteilungsleiters, mich zu übernehmen, gefeuert wurde − ohne Angabe von einem plausiblen, nicht persönlichen Grund. Bei dem Kündigungsgespräch hat mein Chef mir dann noch vorgeschlagen, „etwas mit Mode zu machen“, weil ich ja so hip aussähe- bis ihm doch noch einfiel, „dass Mode ja auch sehr anstrengend ist und ich das dann ja wahrscheinlich auch nicht schaffen würde.“
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Isabelle
Ich arbeite in einem sehr männlichen dominierten Arbeitsumfeld als Ingenieurin und bin damit die einzige Frau im Team. Als sei das nicht schon Grund genug für einen Wandel (hallo, wo bleibt denn da die Quote?), stehe ich mit dieser Meinung auch noch sehr alleine da. Mein Vorgesetzter sagte, als ich ihn auf unser wenig diverses Team ansprach: „Isa, du bist halt eine Ausnahme, Zahlen und so, das können Frauen in der Regel einfach nicht so gut.“ Ich war so erschrocken, dass ich nur komisch geschaut habe, statt etwas zu sagen. Vor ein paar Wochen dann saßen wir mit einem wichtigen Kunden im Meeting. Ich hatte alles vorbereitet, alles sah spitze aus. Da flutschte es einem Kollegen schließlich raus: „Dachte immer, Frauen hätte so gut wie kein Talent für räumliche Vorstellungskraft, aber das sieht ja ordentlich aus.“ Ich erwartete konsternierte Stille, dachte noch „Leute, ICH HABE DAS STUDIERT UND MEIN DIPLOM, NATÜRLICH KANN ICH DAS!“, aber nichts da. Sie lachten! Der Männer-Club kam sich tierisch wichtig und witzig vor. Aber schon wieder habe nichts gesagt, zu perplex war ich wieder. Als ich später am Abend und in vertrauter Runde von den Vorfällen erzählte, kamen mir die Tränen und ich merkte erst, wie sehr ich unter der ausbleiben Wertschätzungen und diesem diskriminierenden und respektlosen Verhalten litt. Schon lange. Ich melde schlussendlich alles beim höchsten Tier des Unternehmens – zum ersten Mal bot man mir Hilfe an. Und ein Gespräch mit einer Gleichstellungsbeauftragten, die in der nächsten Zeit für einen Dialog unter den Mitarbeitern und mir und in Zukunft für bessere Arbeitsverhältnisse sorgen soll. Ich kann allen, denen es ähnlich ergeht, also nur empfehlen, den Mund aufzumachen und verweise auf Audre Lorde: „Your Silence Will Not Protect You.“.
Mariam
Ich hätte da ein Drama um die Rückerstattung eines Sparpreis-Bahntickets von 19 Euro für eine Urlaubsreise anzubieten, die ich letztlich absagen musste, da man mich plötzlich für ein Projekt brauchte. Die Teamassistenz brachte mich überhaupt erst auf die Idee, nachzufragen, ob denn wenigstens diese kleine Entschädigung möglich wäre. Nach vielen Diskussionen, zahlreichen Meetings und Eskalationen bis zum Abteilungsmanager, wurde mir der Betrag nicht erstattet und ich stand als die komische Person da, die sich Geld erschleichen wollte. Der Vorfall ging als 19 Euro-Gate in die Firmengeschichte ein und sorgt bei einigen Kolleg*innen immer noch für heiteres Gelächter − mein Entschluss zu kündigen, war nach dieser Spitze des Eisbergs endgültig besiegelt.
Eva
Vor einigen Wochen nahm eine Arbeitskollegin eine Rolle Paketband mit nach Hause, weil sie dringend etwas verschicken musste. Ich habe das in diesem Moment gar nicht richtig wahrgenommen, während andere Kolleginnen diese Illegalität kritisch beäugten. „Johanna“ wurde zwei Tage später ins Büro der Personalleitung gerufen. Dieser Vorfall wurde anonym gemeldet. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, aber ihr wurde an diesem Tag fristlos gekündigt. Diebstahl wurde allerdings nicht als offizieller Grund aufgeführt. Nachdem sie von einer Kollegin darauf angesprochen wurde, etwas geklaut zu haben, hatte sie damit gedroht, der Abteilungsleitung zu erzählen, dass sie sich von besagter Kollegin auf der Toilette sexuell bedrängt gefühlt hatte, sollte der „Diebstahl“ ans Licht kommen. Ich fühle mich noch immer wie im schlechten Film. Meine Kollegin wurde gefeuert, weil sie eine andere Kollegin bedroht hatte. Aufgrund dieser kaum nachvollziehbaren Umstände wurde wenige Tage später eine Mitarbeiter*innenversammlung einberufen, bei welcher uns der Vorfall geschildert wurde. Ich wusste nicht, ob mir danach zum Lachen oder zum Heulen zumute war. Der Versuch, ein so wichtiges und ernstes Thema wie sexuelle Belästigung zu instrumentalisieren ist für alle tatsächlichen Opfer blanke Häme.
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Hoa
Ich wurde auf der Arbeit mehrere Monate lang nicht bezahlt. Ich arbeite in einem relativ etablierten Szene-Restaurant in Hamburg als Beiköchin. Es ist mein absoluter Traumberuf, ich liebe das Restaurant und verstehe mich mit vielen Mitarbeiterinnen sehr gut. Ich habe dann von Zeit zu Zeit gemerkt, dass immer mal wieder Aushilfen und auch Servicepersonal nicht rechtzeitig entlohnt wurde, und merkte den großen Frust meiner Kolleginnen, der sich natürlich immer mehr auf die Arbeit auswirkte. Wenig später bekam ich zwei Monate in Folge mein Gehalt nur anteilig gezahlt. Ich suchte schnell das Gespräch mit der Managerin, die mir versicherte, diesen Fehler schnell auszugleichen. Den kommenden Monat blieb mein Gehalt ganz aus. Ich war in einer Pattsituation, weil mir vollkommen bewusst war, dass nicht an einem Ort arbeiten kann, an dem meine finanzielle Existenz nicht gesichert ist bzw. ich davon ausgehen muss, dass dieser Laden in kurzer Zeit gar nicht mehr in der Lage sein wird, seine Mitarbeiter*innen zu bezahlen. Aus verschiedenen Gründen habe ich es nicht geschafft, zu kündigen, vehement mein Geld einzufordern oder mir professionelle Hilfe zu suchen. Das Ding mit der emotionalen Abhängigkeit auf der einen, aber eben auch die Sache mit der drohenden Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite. Ich konnte mir nicht vorstellen, demnächst wieder auf Jobsuche zu sein. Heute fehlt mir noch immer ein Teil meines Lohns. Ich frage ab und zu danach, aber es belastet mich schon, immer wieder mit vergleichbaren Fällen rechnen zu müssen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas aus dem Gastro-Gewerbe höre.
Katha
Ich habe lange in einer Werbeagentur gearbeitet und die Zeit eigentlich sehr genossen. Im Laufe der Jahre wurden interne Spannungen jedoch immer größer. Zickereien zwischen Mitarbeiter*innen und Fehlverhalten von Teamleader*innen führten dazu, dass sich aus einem angenehmen Miteinander insgesamt drei Lager bildeten, die vielmehr gegeneinander arbeiteten. Noch vor Zeiten von Slack wurden verschiedene Lästereien und Fehden über den E-Mail-Server ausgetragen. Misstrauisch wie ich bin, habe ich mich hierbei immer zurückgehalten. Bei einer Mitarbeiter*innenversammlung wurden wir dann alle am großen Tisch versammelt, wo wir dann die ausgebreiteten E-Mails aus verschiedenen, problematischen Verläufen vorfinden konnten. Einige wurden von der Chefin persönlich vorgelesen − Namen wurden allerdings ausgelassen. Die Redelsführer*innen der schlimmsten Aussagen und Lästereien über Kolleginnen und Chefinnen wurden zwar nicht entblößt, das Vertrauen in die Chefinnen aber auf ewig zerstört. Am Ende der Woche wurden schließlich zwei Kündigungen auf Angestelltenseite ausgesprochen.
Mira
Ich hatte mal eine Diskussion mit meiner Chefin, die ich bis dato als weltoffen und cool eingeschätzt hatte, über die Nutzung des N-Wortes. Sie hat es leider überhaupt nicht verstanden, und nicht einmal ansatzweise versucht, es zu verstehen. Ihr einziges Problem war, dass, wenn Pippi Langstrumpfs Vater nicht mehr der „N-König“ sei, ihre kleine heile Kindheit in der Frankfurter Mittelklasse zerstört werden würde. Seitdem ist irgendwie die Luft raus zwischen uns und mein Respekt vor ihr ist gänzlich flöten gegangen.
Valentina
Vor einem halben Jahr habe ich meinen Office-Job frühzeitig aufgegeben. Damals hatte ich meine Chefin um ein Feedback-Gespräch gebeten. Ich habe davor schon gemerkt, dass in dem Unternehmen, in dem ich bis dato vier Jahre gearbeitet hatte, die Stimmung zunehmend angespannter wurde und viele Mitarbeiterinnen im Begriff waren, uns zu verlassen. Als ich meine Chefin um das Gespräch bat, waren ihre ersten Worte, ob ich ihr jetzt nicht auch noch sagen wolle, dass ich schwanger sei und dass ich mir hiermit ruhig noch ein wenig Zeit lassen könne. In diesem Moment konnte ich meinen Ohren kaum trauen und wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte. Schwanger war ich zwar nicht, aber ich merkte schnell, dass sie in diesem Moment tatsächlich erwartete, eine Antwort von mir zu erhalten. Da habe ich das Thema auf mein Feedback gelenkt und darauf, dass ich einfach verschiedene, betriebliche Anliegen mit ihr unter vier Augen besprechen wollen würde. In dem Gespräch, in dem es um mein Team und meine eigene Leistung ging, hat sie dann weitere Andeutungen gemacht und mir noch dazu zwei ziemlich indiskrete Fragen zu meinem Partner gestellt. Tatsächlich ist es so, dass ich in diesem Arbeitsverhältnis davon ausgegangen bin, in absehbarer Zeit in Elternzeit zu gehen, weil mein Partner und ich einen regen Kinderwunsch hegen. Ich konnte mit diesem Druck nicht umgehen und habe mich nach dem Gespräch nach neuen Jobs umgeschaut. Das Gefühl, sowohl mein Team, als auch meine Chefin „hängenzulassen“, wenn ich schwanger werde, konnte ich nicht ertragen. Heute habe ich einen neuen Job und fühle mich gut damit, bald eine Familie zu gründen. Ich habe die Entscheidung nie bereut, auch wenn ich jetzt weniger verdiene und quasi von null anfangen musste.
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Caro
Ich arbeite in der Systemgastronomie bei einer großen Kette. Schon immer habe ich meinen Beruf als körperlich anstrengend befunden, aber trotzdem den Zusammenhalt im Team sowie den Austausch mit Kund*innen genießen können. Vor zwei Jahren habe ich eine neue Filialleitung bekommen und wir sind auf Anhieb gut miteinander ausgekommen. Wir teilten den Arbeitsweg, verbrachten Nachmittage miteinander und unternahmen in der Vergangenheit sogar schon vereinzelte Städtetrips. Erst schleichend habe ich gemerkt, dass uns unser enges Verhältnis zum Verhängnis werden würde. Immer häufiger bekam ich außerhalb der Arbeitszeiten WhatsApp Nachrichten von ihr. Mal beschwerte sie sich darüber, wie ich die Schicht hinterlassen hätte und Anweisungen nicht richtig befolgen würde. Dann diskreditierte sie meine Arbeitsweise generell. Immer öfter wurde sie auch wütend, wenn ich ihr auf private Anfragen und Nachrichten nicht schnell genug antwortete oder absagte. Freundschaft und Beruf funktionierte bei uns einfach nicht. Sie nahm mir berufliche Sachen privat übel und war auf der Arbeit stinkig, wenn ich ihr am Abend vorher einen Kinobesuch verneint hatte. Das Ganze fand seinen Höhepunkt, als ein WhatsApp-Streit eskalierte und sie mir aus der Wut heraus die Freundschaft kündigte. Das Arbeitsverhältnis ist seitdem relativ angespannt, aber nicht mehr so sehr von Höhen und Tiefen geprägt, wie vorher. Ich merke heute, wie problematisch es für mich war, mit ihrer Machtposition umzugehen. Gefallen zu wollen, aber gleichzeitig auch zu müssen, weil eine andere Person dich quasi in der Hand hat. Rückblickend ist das ein ziemlich unangenehmes Gefühl.
Unter welchen Situationen im Arbeitsleben habt ihr in der Vergangenheit gelitten? Was beschäftigt euch bis heute? |