Social Distancing ist klug und nervig zugleich, aber irgendwie natürlich auch eine Chance, endlich mal Dinge zu tun, die wir sonst vertagen, weil zwei, drei Gläser Wein in der Bar um die Ecke oder die elendige Suche nach einem freien Platz im überfüllten Lieblingscafé dazwischen kommen. Ich zumindest konnte dank Ausgangssperre endlich fünf Punkte von meiner „würde ich ja machen, wenn es draußen nicht viel schöner wäre“-Liste umsetzen:
Punkt 1: Ich laufe meine Dr. Martens auf meiner täglichen Tour zwischen Schreibtisch und Küche ein
Schlechtes Timing ist eine meiner Stärken, weshalb ich es auch gar nicht weiter verwunderlich finde, dass mein jüngster Schuhkauf kurz vor dem Ausbruch einer Pandemie stattfand. Damals (ich schreibe damals, weil es sich mittlerweile wirklich so anfühlt, als hätte ich ein anderes Leben gelebt) schlüpfte ich voller Begeisterung in meine herrlich klobigen Plattform-Dr. Martens, um sie auf dem Weg zum 650 Meter entfernten Supermarkt zum ersten Mal auszuführen. Long Story short: Den Rückweg schleifte ich meinen linken Fuß gequält hinter mir her und stellte zu Hause fest, dass sich an dessen Ferse (Warnung: die nachfolgende Information könnte Würgereflexe hervorrufen) nicht etwa eine Blase, sondern eine richtige Fleischwunde gebildet hatte.
Weil meine Strecken dank Ausgangssperre mittlerweile aber ja wesentlich kürzer geworden sind (vom Schreibtisch in die Küche und zurück), habe ich mich meinem Einlaufen-Projekt wieder tollkühn gewidmet — natürlich nicht, ohne zuvor nach sämtlichen Tipps zu googeln, die ich aufsaugte, wie ein überaus trockener Schwamm. Meine Favoriten: Die Schuhe mit nasser Zeitung ausstopfen und vor der Heizung trocknen lassen, Fuß-Kondome aus Plastiktüten basteln, um die Reibung zu verringern, oder einfach mal in die Schuhe pinkeln. Auch wenn ich bereits in die Hocke ging, entschied ich mich letztlich doch lieber für die MacGyver-Variante, klebte einen Pflasterturm auf meine Ferse, umwickelte meine Socken mit Panzertape, schlüpfte in die Schuhe und föhnte, was das Zeug hält. Neben dem wunderbaren Nebeneffekt der warmen Füße soll das Föhnen nämlich das Leder weiten. Seither stapfe ich in meinen dicken Stiefeln wie ein Bergsteiger durch die Wohnung und drücke meinen Nachbarn und mir die Daumen, dass es bald ein Ende hat.
Punkt 2: Ich investiere Zeit in meine Wohnungseinrichtung & verliebe mich dabei in Dinge, die ich mir nicht leisten kann
Interior-Themen sind bei mir gerade hoch im Kurs, weil ich durch die Ausgangssperre ebenfalls gezwungen bin, mir meine nicht vorhandene Einrichtung anzuschauen. Das stärkt natürlich meine Vorstellungskraft, aber spätestens wenn ich mich beflügelt auf einen imaginären Sessel fallen lasse, hilft auch meine ausgereifte Fantasie nicht weiter. Um blauen Flecken vorzubeugen, habe ich deshalb begonnen, nach den schönsten Möbeln, die das Internet zu bieten hat, zu suchen. Weil ich zwar sehr konkrete Vorstellungen meiner künftigen Traum-Einrichtung, dafür aber leider nicht den passenden Kontostand habe, schwanke ich derzeit zwischen begeisterten Ausrufen und enttäuschten Seufzern. Mal schauen, wie lange ich diese Gefühls-Achterbahn noch mitmachen kann, bevor ich meine Energie vielleicht doch wieder in „Die Sims“ stecke — da konnte ich mir mein Traumhaus dank Cheat-Funktion nämlich noch leisten.
Punkt 3: Ich habe meine Coffee Table Books endlich mal wieder länger als zwei Minuten in die Hand genommen
Auf meinem Bücherstapel, der eine Ecke des Balkonzimmers eingenommen hat, weil ich noch immer kein Bücherregal besitze, thronen — neben hübschen Indie-Magazinen — einige wunderschöne Coffee Table Books, die ich irgendwann einmal übermütig kaufte. Nach dem Kauf stopfte ich sie zuversichtlich in einen Jutebeutel und schleppte sie hechelnd nach Hause, während ich hoffte, die dünnen Trageriemen, die mir in die Schulter einschnitten, würden sich nicht vorzeitig verabschieden. Um meinen Kauf vor mir selbst zu rechtfertigen, redete ich mir auf dem Heimweg Mantra-artig ein, ich würde diese 30 Kilogramm an Büchern regelmäßig durchblättern, denn „natürlich, was glaubst du denn, das sind schließlich keine bloßen Deko-Objekte oder Angebereien, sondern inhaltlich wertvolle Lektüre“. Außerdem wären sie doch ein total toller und unverzichtbar Zeitvertreib für meine zahlreichen Gäste, damit sie sich nicht langweilen, während ich in 1 A-Gastgeberinnen-Manier kleine Aperitifs in der Küche zubereite.
Natürlich ist nichts davon je so wirklich passiert, was schon alleine daran liegt, dass mich bereits der Gedanke an regelmäßigen Besuch stresst und meine Aperitifs meist nicht mehr, als ein Glas Wein sind. Weil ich meine Besuche und Treffen jetzt aber ja nicht mehr einfach in Cafés verlegen kann, habe ich einfach selbst begonnen, meine Sammlung an Coffee Table Books hervorzukramen und genüsslich darin zu blättern und — hört, hört — sogar zu lesen. Mein bisheriger Favorit: The World of Apartmento, weil es mich davon träumen lässt, vielleicht ja auch mal eine vollständig eingerichtete Wohnung zu besitzen — zumindest in einem Paralleluniversum.
Punkt 4: Ich wasche meine Haare nur noch gelegentlich, manchmal aber auch gar nicht
Was eklig klingt, soll oftmals ja sogar richtig gesund sein. Sauerkrautsaft ist so eine Sache. Oder Ingwershots. Weil ich meine Geschmacksnerven in dieser ohnehin schon merkwürdigen Zeit aber weder quälen, noch reizen wollte, habe ich mich lieber für eine Sache entschieden, die weder etwas mit Geschmack, noch mit Aufwand zu tun hat und mich obendrein glücklich macht: Ich verzichte darauf, meine Haare regelmäßig zu waschen. Ja, ganz recht. Was sonst gesellschaftlich verpönt ist und verachtet wird, ist in Zeiten der Selbstisolation geradezu angesehen und willkommen, denn immerhin soll es eine Wohltat für Haar und Kopfhaut sein und reichlich viel Self-Care noch dazu. Weil ich selbst meine Haare nie sehen muss, ist der Anblick für mich auch weitaus weniger schlimm, als es für meinen Freund sein muss, nach einigen Jahren der Beziehung ist mir das aber auch einfach mal so ziemlich egal, denn: Haarewaschen zählt für mich zu jenen Dingen, die ich nur mache, weil es ich sie tun muss, nicht aber, weil ich sie besonders gerne tue. Umso schöner also, dass die Prozedur des „Haare ausfetten Lassens“ derzeit so viel Anklang findet und selbst in höchsten Beauty-Kreisen als famoses „Treatment“ durchgeht.
Punkt 5: Ich habe vernachlässigte Kleidung aussortiert, deren Liebe ich nicht würdig bin
Die Sache mit dem Ausmisten habe ich schon einmal versucht, als ich mich vor dem Umzug dazu zwang, Marie Kondo zu schauen, weil alle meine Freundinnen es schauten und ich manchmal dazu neige, Dinge aus Gruppenzwang zu tun. Jedenfalls faltete ich damals begeistert kleine T-Shirt-Dreiecke, die von alleine aufrecht stehen konnten und bedankte mich ausgiebig bei jenen Kleidungsstücken, die ich aussortierte. Das ging auch ganz gut, bis mich all die Danksagungen völlig emotional werden ließen und ich es nicht mehr über das Herz brachte, mich zu trennen, weil ich glaubte, ich könnte die Gefühle meines schlecht sitzenden Sommerkleides verletzen. Fest entschlossen, mir meine eigenen Emotionen dieses Mal nicht in die Quere kommen zu lassen, nutzte ich die neu gewonnene Zeit am Wochenende schließlich für einen zweiten Anlauf. Tatsächlich verlief dieser wesentlich erfolgreicher, was ich einerseits auf meine schroffe Playlist (sie lässt erst gar keine Gefühlsduseleien zu!), andererseits aber auch darauf, dass ich durch fehlende soziale Kontakte außerhalb des Internets emotional vielleicht schon abgestumpft sein könnte, schiebe. Das Ergebnis hat mir jedenfalls erstaunlich gute Laune bereitet (bin ich vielleicht wirklich abgestumpft?) und ich bin fast ein bisschen traurig, dass diese Aktivität schon wieder vorbei ist.