Die Corona-Krise sei eine Krise der Frauen, lesen wir dieser Tage häufig. Und dennoch, die Conrona-Krise werde schlussendlich für Gleichberechtigung sorgen, prophezeien manche und rufen: Alles wird gut, womöglich sogar besser! Vielleicht aber auch nicht: Die Corona-Krise werfe uns mit großem Radau in überholte Rollenmuster zurück, bemerken andere. Sie stelle zudem, neben den Rechten, die derzeit größte Gefahr für den Feminismus dar. Was davon stimmt?
Kommt drauf an. Darauf, wer du bist, wo du lebst, was du liest und wem du glaubst. Auf deine Umstände. Und auf deine Privilegien.
Zwischen apokalyptischen Zukunfts-Chören, die vom Ende der Welt singen wie wir sie bisher kannten und romantischen Friedefreudeeierkuchen-Prognosen, die sich mit aller Kraft an das Gute im Menschen klammern und mit eisernem Optimismus an eine Genesung der Gesellschaft, an ein neues „Wir“ glauben, war ich den nüchternen, realistischen Betrachtungen des Ist-Zustands selten zugeneigter als jetzt gerade. Was aber wären wir ohne (feministische) Utopien? Ohne Wut? Verloren im Stillstand, das stimmt. Was die Zukunft wirklich bringen wird, kann zwar niemand mit Sicherheit vorhersagen, bloß orakeln. Ich glaube aber, es gibt Hoffnung – wenngleich der Grund dafür tragischer Natur ist:
Selten waren Ungleichheiten sichtbarer als jetzt gerade – die Fassade bröckelt vor den Augen aller. Aber immerhin können sich hinter ihr große Chancen verbergen.
Und alle so: Huch, da läuft was schief
Wer jetzt noch die Hartköpfigkeit besitzt, sich über Zahlen und Fakten hinwegzusetzen, über Schicksale und Gefahren, und sei es wieder nur, um dem gefürchteten Feminismus seine immanente Relevanz zu nehmen, um weiterhin der ignoranten Annahme zu erliegen, es gäbe, zumindest in Deutschland, so etwas wie eine allumfassende Gendergerechtigkeit, dem kann man nichts anderes als Realitätsverweigerung attestieren. Tatsächlich: Plötzlich scheinen hierzulande zumindest eine Handvoll Deserteure und teilweise sogar die Politik aufzuhorchen, wenn auch nur unter Zwang. Auf einmal bemerkt man(n): Da läuft ja wirklich etwas schief. Nur: Wird auf die große Erkenntnis auch Aktionismus folgen? Es wäre nicht nur wünschenswert, sondern dringend notwendig.
Natürlich betrifft Corona A L L E Menschen. Und es hilft nicht, das eine Leid gegen das andere aufzuwiegen, sich im Whataboutism zu verlieren. Es wird Gewinner und Sieger der Krise geben. Viele der Verlierenden stehen jedoch längst fest.
Corona ist ein ebenso sozialpolitisches wie feministisches Thema
„Wer ohnehin von Rassismus, Klassismus oder Sexismus betroffen ist, wird diese Diskriminierung während Covid-19 noch stärker spüren. Das trifft dann eben nicht nur Frauen, sondern auch Menschen anderer Geschlechter, BPoC oder arme Menschen.“, schreibt etwa Carolina Schwarz. Menschen mit Beeinträchtigungen werden in der Krise zudem systematisch von der Politik übersehen. Geflüchtete bewusst vergessen. Trans*-Frauen*, Inter* und genderqueere* Personen in sämtlichen Diskursen überhört.
Weil bisweilen jede uns bekannte sozioökonomische Krise ohnehin schon benachteiligten Gruppen am heftigsten getroffen und diskriminierende Strukturen weiter hat erstarken lassen, wird auch in Zeiten von Corona deutlich, dass in der Gesamtheit vor allem Mitglieder marginalisierter Gruppen die Haupt-Leittragenden sind. Und: Frauen* aus sämtlichen Gruppen und Schichten.
Corona ist demnach ein ebenso sozialpolitisches wie feministisches Thema.
Frauen in der Krise
Es sind Frauen*, die den Laden, ja das Land (auch in der Krise) zusammenhalten. Sie sind es, die den Bärenanteil an (über)lebenswichtiger unbezahlter und unterbezahlter Care-Arbeit leisten (in Deutschland liegt der Anteil an Frauen in Pflegeberufen bei fast 76 Prozent). Durch all die systemrelevanten Positionen, die sie als Kassiererinnen, Erzieherinnen oder Pflegerinnen besetzen und dafür statt eines guten Lohns nur das nett gemeinte aber zwangsläufig auch etwas selbstgefällige Klatschen der Restbevölkerung ernten. Es grenzt doch an einen schlechten Scherz, dass all diese Menschen (jeden Geschlechts) zum ersten Mal als Held*innen gefeiert und dabei weiterhin zweitklassig behandelt werden.
Zurück in die 50er Jahre?
„Corona ist der große Gleichmacher”, konnten wir dieser Tage in sämtlichen Tweets nachlesen. Klingt ja auch rosig: Etwa zwei Elternteile, die sich im gemütlichen Homeoffice nun alle anfallenden Aufgaben 50/50 aufteilen. Aber stimmt das wirklich? Für die meisten eher nicht.
Es sind Frauen, die in heterosexuellen Partnerschaften aufgrund der geschlossenen Kinderbetreuungsstätten und Schulen nun einen noch größeren Anteil an der Betreuung der Kinder und Angehörigen auf sich nehmen – und dafür auch in der Krise nicht selten die eigenen Karrieren ruhen lassen oder zumindest temporär auf das eigene Einkommen verzichten müssen (Quelle). Geht ja oft auch nicht anders? Stimmt. Weil Männer aufgrund fortwährender patriarchaler Strukturen und struktureller Unterschiede bis heute besser verdienen, im Schnitt 21% mehr. Die Krise verstärkt dieses Ungleichgewicht nun zusätzlich:
Homeoffice, Homeschooling und Social Distancing werfen Frauen zurück in die 1950er-Jahre: Autorin Helen Lewis nannte diese Entwicklung im „Atlantic“ jüngst ein „Desaster für den Feminismus“ und Petra Stuiber ergänzt sehr richtig: „Die mühsam erkämpfte Partnerschaftlichkeit in modernen (heterosexuellen) Beziehungen, der Fortschritt der Gleichberechtigung ist ein fragiler Konsens.“
Was also, wenn wir längerfristig nicht mehr aus dieser unfreiwilligen Misere herausfinden? Zurück in die 50er, zurück zum Alleinernährermodell? Werden wir dann noch länger als die ohnehin schon angepeilten 200 Jahre brauchen, um eine wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen? Ausgeschlossen werden kann dieses Szenario nicht. Es gilt als bekannt, dass Männer sich monetär betrachtet schneller von einer Krise erholen als Frauen. „Das geht aus einer Studie hervor, die sich die wirtschaftliche Entwicklung in Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit nach Ebola 2014, Zika 2015 und 2016 sowie nach Sars, der Schweine- und der Vogelgrippe angeschaut hat. Demnach finden Männer nach einer Krise viel schneller zu ihrem eigentlichen Einkommen zurück als Frauen“, so Carolina Schwarz in der Taz.
Weiter geht es mit der Doppelbelastungen durch sogenannte „Second Shifts“, die viele Frauen jetzt zusätzlich auf sich nehmen, weil sie trotz aufgeteilter oder parallel ausgeübter Lohnarbeit im Schnitt ohnehin viele Stunden mehr in private Care-Arbeit und den Haushalt investieren. Von all den Alleinerziehenden, von denen etwa 90% Frauen sind, ganz zu schweigen. Sie stemmen immer, aber besonders in der aktuellen Situation Unfassbares. Und ziehen dabei trotzdem die größte (finanzielle) Arschkarte. Was passiert zudem, wenn sie selbst ins Krankenhaus müssen? Wer übernimmt im Notfall die Kinderbetreuung?
Als sei das nicht genug, müssen wir zudem eines begreifen: Die Pandemie kann für Frauen auch ohne Virus-Erkrankung tödlich enden, schon jetzt sind die meisten Frühwarnsysteme außer Kraft gesetzt. Expert*innen rechnen mit einer steigenden Zahl an Femiziden, Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen warnten frühzeitig vor einer massiven Zunahme häuslicher und sexualisierter Gewalt (Quelle: rbb24). Weil für Frauen, statistisch betrachtet, kein Ort gefährlicher ist als das eigene Zuhause, kein Mensch gefährlicher als der eigene Partner (oder Ex-Partner). Kontaktsperren, Existenzsorgen, gesteigerter Stress, Ausgangssperren, das Wegbrechen der Kinderbetreuung, fehlende Pausen, das Zusammensein auf engstem Raum – all das begünstigt die Gewaltzunahme gegenüber Frauen (und Kindern) messbar in ohnehin schon gewalttätigen Partnerschaften, so zeigt es unwiderlegbar die Geschichte. In Wuhan etwa verdreifachte sich während der Quarantäne die häusliche Gewalt gegenüber Frauen.
Ein Weckruf, auch für das Leben nach der Pandemie? Seit jeher mangelt es an geschützten Räumen für Frauen und Kinder in Gefahr, an freien, kostenfreien Plätzen in Frauenhäusern, an Fördermitteln und nachhaltiger Unterstützung.
Alleine gelassen werden in der aktuellen Situation auch viele Schwangere – nicht nur mit ihren Sorgen. Weil Kliniken die Besuchserlaubnis gerade aufgrund der Ansteckungsgefahr stark einschränken, ist vielerorts mitunter sogar die Anwesenheit einer vertrauten Begleitperson bei der Geburt verboten. Die Auswirkungen des Virus treffen jetzt also auf den massiven Personalmangel in der Geburtshilfe. Das #Kreißsaalverbot birgt jedoch nicht „nur“ Ängste, sondern massive Gefahren:
„Auf die medizinischen Risiken unzureichend begleiteter Geburten weist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer aktuellen Information zu Covid-19 explizit hin (…): ‚Eine sichere und positive Geburtserfahrung benötigt eine selbstgewählte Begleitperson während der Geburt‘. Das Recht darauf darf laut WHO Frauen auch während der Epidemie nicht verwehrt werden.“, heißt es bei Motherhood.ev. Das gelte übrigens auch für Kaiserschnitte. Und weiter: „Dieser unnötige psychische Stress kann zu einem Geburtsstillstand führen. Infolgedessen muss die die Geburt mit Medikamenten sowie medizinischen Eingriffen in Gang gesetzt werden. Das erfordert wiederum mehr Personal zur Überwachung, was nicht im Sinne der Kliniken sein dürfte.“ Mensch muss noch nicht einmal selbst schwanger gewesen sein, um zu begreifen: Eine vertraute Begleitperson während der Geburt ist nicht nur mental, sondern auch medizinisch unbedingt notwendig.
Doctors for Choice und Pro Choice, der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung Pro Familia sorgen sich unterdessen um Frauen in Konfliktsituationen, denen der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen Corona-bedingt zunehmend erschwert wird; etwa durch den massiven Mangel an praktizierenden Ärzt*innen, lange Wartezeiten, Ausgangssperren, finanzielle Engpässe oder Einreiseverbote: „Wir befürchten, dass Frauen wieder zu ‚unsicheren Abtreibungsmethoden‘ greifen – mit der Gefahr von gesundheitlichen Schäden wie Entzündungen, Sterilität und Blutungen bis hin zum Tod,“ heißt es in ihrem gemeinsamen offenen Schreiben (Quelle: Patricia Hecht, taz).
Es scheint also auf der Hand zu liegen: Die Corona-Krise ist tatsächlich vor allem eine Krise der Frauen. Bis jetzt.
Eine Gefahr, die viele Chancen birgt
Denn trotz aller Tragik bleibt uns am Ende eben doch die tatsächliche denkbare Utopie.
Teresa Bücker twitterte dazu: „Schon ein bisschen witzig, dass feministische Positionen, die Jahrzehnte lang als zu radikal galten, plötzlich überall in den Politikteilen von Medien auftauchen, als seien sie selbstverständlich (…).“
Wird die Offensichtlichkeit der gesammelten Missstände und deren neue Öffentlichkeit am Ende doch noch dazu beitragen, herrschende Machtstrukturen auszuhebeln und gesellschaftliche wie kulturelle Normen zu reformieren? Weil Bewusstsein Veränderungen ermöglicht? Weil „unsichtbar“ binnen weniger Wochen zu „systemrelevant“ wurde? Werden Pflegefachkräfte endlich angemessen bezahlt werden? Werden Arbeitgeber*innen schließlich einsehen, dass wir erstens flexibler und zweitens viel weniger arbeiten sollten, um echte Chancengleichheit innerhalb der Arbeitswelt greifbarer zu gestalten? Wird die Krise letztendlich zum Komplizen einer sich wandelnden Berufswelt wachsen? Werden wir alle uns in Zukunft solidarischer verhalten? Wird das bedingungslose Grundeinkommen plötzlich zu einer realistischen Alternative? Werden nun auch die Letzten kapieren, dass eine gerechtere Welt ohne feministische Werte und das, was Feminist*innen seit jeher fordern, nicht existieren kann?
Nichts davon ist unmöglich. Aber es genügt nicht, stillschweigend abzuwarten. Wir alle müssen den Wandel aktiv einfordern und laut bleiben.
Denn kurzfristig kann Corona dem Feminismus tatsächlich gefährlich werden. Im besten Fall ist diese Krise aber vor allem eine riesengroße Chance.