Model Adesuwa Aighewi schreibt aus ihrer Heimatstadt Benin City im Süden Nigerias und fordert die Menschen in der Isolation auf, Dankbarkeit zu zeigen und füreinander zu sorgen.
Adesuwa Aighewi: Ihr Brief aus Benin City
Ich kam Mitte März nach Nigeria zurück, einen Tag bevor die Regierung die Einreise aus 13 Ländern, darunter die USA, Großbritannien und China, verbot. Wegen der Covid-19-Pandemie fragte ich mich: „Wo ist mein Zuhause? Ist es Amerika, wo ich geboren wurde? Thailand, wo meine Mutter geboren wurde? Nigeria, wo mein Vater herkommt und wo ich bis zu meinem 13. Lebensjahr aufgewachsen bin?“ Zuhause ist dort, wo man die meisten Ressourcen hat – wo man sich am sichersten fühlt. Aber ich dachte mir, dass ich in Nigeria von größerem Nutzen wäre, als wenn ich mich in meiner Wohnung in New York isoliere.
Im Rahmen des Legacy Project – einem Fair-Trade-Marktplatz im Internet, den ich gerade aufbaue – nutze ich diesen Moment der Einsamkeit in meiner Heimatstadt Benin City, um die Geschichten unserer Vorfahren zu dokumentieren und sie schließlich in Büchern zusammenzufassen. Die Geschichten werden nicht mehr wie früher von Generation zu Generation weitergegeben, die Yoruba-Kultur interagiert nicht mit der Igbo-Kultur – wir laufen also Gefahr, unsere Geschichte zu verlieren, wenn wir nicht Besitz von ihr ergreifen. Selbst große SchriftstellerInnen wie Chinua Achebe bekommen nicht den Platz in der Geschichte, den sie verdienen.
Von der Elite verbreitet, von den Armen ertragen
Das Coronavirus ist eine Krankheit, die von der Elite verbreitet wird – Menschen, die es sich leisten können, international zu reisen. Aber wenn sich die Situation verschlimmert, werden die Ärmsten am meisten leiden. Ende März wurden Menschen in den oberen Rängen der nigerianischen Regierung, darunter der Stabschef des Präsidenten und ein Gouverneur eines Bundesstaates, positiv auf das Coronavirus getestet, und davor waren die meisten Fälle Reisende, die erst kürzlich aus den USA und Großbritannien zurückgekehrt waren.
Diese Disparität spiegelt sich auch in der Geografie Lagos‘ wider. Für alle, die noch nie dort waren: Die Megastadt mit 21 Millionen EinwohnerInnen verteilt sich auf vier Inseln, darunter die wohlhabenden Stadtviertel Ikoyi und Victoria Island, wo die Straßen im Moment leer und die Geschäfte geschlossen sind – ihre BewohnerInnen isolieren sich zu Hause. Dann ist da noch das dicht besiedelte Festland, auf dem die Mehrheit der Lagosianer lebt. Die Menschen hier sind im Allgemeinen ärmer, und in vielen Fällen leben mehrere Generationen unter einem Dach (sofern sie eines haben). Im Gegensatz zu den Inseln geht das Leben hier wie gewohnt weiter – denn es muss.
Quarantäne ist ein Privileg
Viele der HandarbeiterInnen, die am Legacy Project mitarbeiten, leben auf dem Festland. Als ich eines Tages durch die Stadt fuhr, um sie zu treffen, sah ich zwei Jungen, die ihr Leben riskierten und zwischen dem fließenden Verkehr hin- und herhuschten, um Bananen zu verkaufen. Das ist kein ungewöhnlicher Anblick in Nigeria, aber bei dem derzeitigen Klima? Quarantäne ist für diese Jungen keine Option; für viele Menschen in Nigeria, wo etwa 90 Millionen Menschen (etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes) in extremer Armut leben, ist sie keine Option. Quarantäne ist ein Privileg.
Tatsächlich kann die Mehrheit der Anweisungen, die von Regierungen in aller Welt als Reaktion auf das Coronavirus erteilt werden, nur von den Privilegierten erfüllt werden. Wenn ich auf Google gehe, wird mir das Mantra „Stay home. Save lives. Help stop coronavirus“ unter der Suchleiste angezeigt. Aber was ist mit den Menschen, die es sich nicht leisten können, zu Hause zu bleiben?
Die Narrative der Welt neu schreiben
Es gibt so viele falsche Vorstellungen von Nigeria – von Afrika im Ganzen. Wir sind kein Kontinent, der darauf wartet, dass man ihm hilft oder ihn rettet. Die Menschen hier arbeiten hart; sie arbeiten, um zu überleben. Hoffentlich wandelt sich dieses Narrativ.
Das Coronavirus diskriminiert nicht; es beraubt uns jeglicher sozialer Stempel, die wir benutzen, um Menschen zu spalten. Wenn es eine positive Sache gibt, die aus dieser Situation hervorgeht, dann ist es hoffentlicht, dass wir unsere Privilegien überdenken und uns mehr umeinander kümmern.