Fabian Hart spricht mit Liz Plank über das traditionelle Männlichkeitsbild

Während die Bundesregierung durch ihre Corona-Regeln für eine Senkung der Infektionsrate kämpft, steigt das Diskussionspotential um wissenschaftliche Notwendigkeit versus gefühlte Zumutbarkeit. Eine Tatsache wird dabei oft nur als Randnotiz besprochen: die “neue Normalität” zwischen Social Distancing und “Wir bleiben zu Hause” festigt und enttarnt traditionelle Geschlechterrollen gleichermaßen.

Etwa wenn die Leopoldina, die deutsche Akademie der Naturforscher, der Bundesregierung empfiehlt, die Abschlussklassen wieder in die Schulen zu schicken, die Kitas aber geschlossen bleiben sollen. Wie wäre diese Empfehlung ausgefallen, bestünde die Kommission nicht aus 24 Männern und nur zwei Frauen? Gerade jetzt wird sichtbar, wie unausreichend Care-Arbeit gewürdigt und ungleich geleistet wird und wie un(ter)bezahlt sie ist. Das Privileg der Männer, keine Fürsorge leisten zu müssen, weil sie sich als Versorger sehen, hilft ihnen gleichzeitig wenig in Isolation und Selbstquarantäne klarzukommen, sich auch gut um sich selbst zu kümmern, „Self-Care“ zu betreiben. Das Unterdrücken von Emotionen wie Angst und Sorgen gefährdet besonders in Krisenzeiten die seelische Gesundheit, vor allem wenn sie sich in Wut und Aggression umkehren. Häusliche Männergewalt wird durch “Stay Home”-Kampagnen zu einer größeren Bedrohung. 

Über Männlichkeit in der Coronakrise habe ich auch mit der Journalistin und Autorin Liz Plank gesprochen. Mit ihrem Buch „For The Love Of Men – A New Vision For Mindful Masculinity“ sensibilisiert sie Männer für einen achtsamen Umgang mit sich selbst, denn das traditionelle Männlichkeitsbild sieht sie als „die größte Bedrohung für die Menschheit“. Dabei steckt sie Männer weder in eine reine Täter- noch Opferrolle. Ihr Lösung liegt in der Introspektion und der Erkenntnis, die eigenen Gedanken und Verhalten nicht länger mit den starren Regeln der Männlichkeit abzugleichen.

 
 
 
 
 
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Fabian Hart: „For The Love of Men“ ist ein schöner, doppeldeutiger Buchtitel. „For the love of…“ drückt im Englischen Ärger und Frustration aus, wortwörtlich aber Mitgefühl und Zuneigung. Der Buchtitel spiegelt auch ein traditionelles Rollenbild wider: die Frau als die Fürsorgende, die Aufopfernde, „Love’s Practitioner“, wie die Autorin bell hooks sagt. Sind diese Doppeldeutigkeiten ein Trick, heterosexuelle Männer dazu zu bringen, Ihr Buch zu lesen?

Liz Plank: Ja, das ist alles Betrug! (lacht) Es ist fast komisch. Ich habe vier Jahre an diesem Buch geschrieben und als endlich fertig war, meinten so viele Verlage „Männer wollen keine Bücher von Frauen kaufen!“

FH: … die typische Sexismus-Keule.

LP: Ich habe in solchen Meetings gelacht und gesagt: „Wie wäre es, wenn ich das Buchcover fake?“ Wenn da stünde, „Mit diesem Buch wirst du sie alle kriegen“, und dann kaufen und lesen heterosexuelle Typen ein Buch, das ihnen eigentlich dabei hilft, ihre Beziehung zu sich selbst zu verbessern – und zu anderen Menschen  …

FH: … was die Kernidee des Buches ist! Wenn wir schon von Taktik sprechen: Ist Ihnen aufgefallen, dass die Reaktionen der Regierungschefs auf das Coronavirus auch gegendert sind? Donald Trump spricht vom „Krieg mit einem unsichtbaren Feind“ und prophezeit die USA als Sieger: „Wir werden gewinnen. Wir werden gewinnen.“ Boris Johnson bezeichnet Corona auch als tödlichen Feind. Emmanuel Macron sagt, dass Frankreich sich in einem Krieg befände, in einem Krieg des öffentlichen Gesundheitswesens. Diese Männer bedienen sich einer Kriegs-Rhetorik, die die Bevölkerung eher verunsichert und ängstigt. Im Vergleich dazu ist Angela Merkels Sprache trotz aller Klarheit eine Sprache des Sanftmuts: „Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge“ klingt schon fast poetisch. Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern zeigt Empathie und Humor, als sie den Osterhasen als „systemrelevante Arbeitskraft“ bezeichnet. Es scheint so, als würde die typische Aufteilung in Soft Skills und Hard Skills bestätigt und auch, dass Frauen in Führungspositionen die besseren Chefs sind, weil sie beide Eigenschaftsparadigmen vereinen …

[typedjs]Donald Trump ist ein Musterbeispiel dafür, warum unsere Männlichkeitsideale in Frage gestellt werden müssen und seine Reaktion auf das Coronavirus hat das klar gemacht.[/typedjs]
 
 
 
 
 
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LP: Ich sehe das auch so. In meinem ersten Satz im Buch schreibe ich, dass die gängige Definition von Männlichkeit die größte Bedrohung für die Menschheit ist. Das klingt für viele übertrieben, aber die Reaktion Donald Trumps auf das Coronavirus macht doch genau das deutlich. In den USA sind wir Zeugen der Auswirkungen einer Regierungsführung, die von archaischen Männlichkeitsidealen ausgeht. Es sterben Menschen, weil der Präsident nicht schwach erscheinen wollte. „Ich übernehme überhaupt keine Verantwortung“, waren seine Worte wenige Tage nachdem er das Virus als „Hoax“ bezeichnet hatte. Aber in seinem Bemühen, stark sein zu wollen, hat Donald Trump die USA geschwächt. Er wollte sich als Herr der Lage inszenieren, furchtlos und unverwundbar und hat dabei versäumt uns zu schützen. Er bezeichnet das Coronavirus auch als „chinesisches Virus“, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. 

Das ist Rassismus. Trump ist so sehr darauf bedacht, sein Image vom starken Mann zu bewahren, dass er zur Verbreitung eines Virus beiträgt, das Tausende von Menschen getötet hat und töten wird. Auf der anderen Seite ist da Angela Merkel, für die Mitgefühl und Güte einen größeren Stellenwert haben als das eigene Selbstbild. Donald Trump ist ein Musterbeispiel dafür, warum unsere Männlichkeitsideale in Frage gestellt werden müssen und seine Reaktion auf das Coronavirus hat das klar gemacht.

FH: Du hast in den letzten Jahren so viele Männer für dein Buch interviewt, aus der Politik, Wissenschaft, aus dem Showbusiness. Gab es während dieser Gespräche Momente oder eine Schlussfolgerung, die du immer wieder hattest?

LP: Mir wurde klar, dass da so viel Kummer und Schmerz ist. Männer können verletzen, weil sie selbst verletzt wurden. Um unsere Gesellschaft nachhaltig zu verändern, müssen wir das erkennen und Männern und Jungs beibringen, diesen Schmerz richtig zu verarbeiten und lernen umzuwandeln. Damit könnten wir die ganze Welt verändern. Ich denke, es gäbe keine größere radikale Veränderung, besonders in der gegenwärtigen politischen Situation. Stellen Sie sich vor, Donald Trump wäre zur Therapie gegangen! Die Welt könnte eine völlig andere sein …

 

– Dieser Text voFABIAN HART stammt aus unserer VOGUE COMMUNITY. Den gesamten Artikel könnt ihr bei der deutschen Vogue lesen –

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