Für Vogue.de schreibt Fabian Hart über kritische Männlichkeit, beleuchtet etwa, warum Pflegeprodukte ein effektives Training für männliches Feingefühl sind oder spricht über Männer und mentale Gesundheit. In seinem ersten eigenen Podcast „Zart Bleiben“, der seit heute online ist, gibt er kritischer Männlichkeit einen neuen Raum, lässt Gäst*innen wie Sibylle Berg, Tarik Tesfu, Herbert Grönemeyer oder Riccardo Simonetti zu Wort kommen und setzt dabei stets eine Botschaft in den Fokus: Die Geschichte vom Mann als das ewig starke Geschlecht muss auserzählt werden.
Mit uns sprach er über „Zart Bleiben“ sowie traditionelle Geschlechterrollen und erklärte, warum wir alle von einer neuen, alternativen Männlichkeit profitieren würden:
Mit „Zart Bleiben“ ging heute dein erster, eigener Podcast online — woher kam dein Bedürfnis, einen Podcast zu starten?
Ich schreibe meine Kolumne das „Das Neue Blau“ seit über zwei Jahren für Vogue Online und habe schon davor auf meiner eigenen Plattform FabianHart.com und den korrespondierenden Social Media traditionelle Männlichkeit kritisch besprochen − und Alternativen gezeigt. Ich fand einfach, dass man dieses Thema auch zur Sprache bringen sollte. Viele scrollen nur noch, überfliegen oder fühlen sich überrollt von Text- und Bild-Content. Zuhören kann man aber in der Bahn und im Bus, auf dem Rad, in der Wanne, beim Aufräumen, Joggen oder einfach beim Liegen und Augen geschlossen halten. Außerdem habe ich nach der Schule direkt bei DasDing in Baden-Baden gearbeitet, intermedial und öffentlich-rechtlich − Radio / TV / Webzine − und meine Producerin von damals, Stephanie Lachnit, produziert heute meinen Podcast. Der Kreis schließt sich also.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Im Podcast widmest du dich, wie auch in deiner Vogue Kolumne „Das neue Blau“, kritischer Männlichkeit — wie können festgefahrene, traditionelle Geschlechterrollen die männliche mentale und körperliche Gesundheit beeinflussen?
Schon alleine die Idee vom starken Geschlecht macht ja einen ganzen Erwartungskatalog an Männer auf. Das heißt natürlich nicht, dass alle Männer so sind, aber schauen wir uns doch mal aktuelle Blockbuster oder Werbung an, Männermagazine, Fitness-Accounts auf Instagram: Das ist schon ein sehr einseitiges, klassisches Bild von Männlichkeit, das uns da vorgelebt wird. Die Mehrheit ist irgendwie auf James Bond hängen geblieben. Geschlechterrollen werden uns von Geburt an angelernt, eigentlich wird uns schon oft vor der Geburt die Blau- oder Rosa-Schablone auferlegt. Eine „Baby Shower“ mit blauem Strampelanzug macht klar „wird ein Junge“. Ein Mann, der in der Öffentlichkeit weint, über seine Gefühle spricht, um Hilfe bittet, Rosa trägt (oder einen Rock!), in Elternzeit geht, Pilates liebt statt Fußball, einen Beruf in der Pflege hat usw., droht noch immer gesellschaftlich als „kein richtiger Kerl“ bewertet zu werden. Ich möchte mit Zart Bleiben diese Scham thematisieren, die viele Männer davor haben, als unmännlich zu gelten. Dabei ist es doch ganz klar, dass kein Mensch immer nur den starken Macker raushängen lassen kann. Das ist ungesund, körperlich wie seelisch. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir alle Zartgeborene sind.
Wann hast du gemerkt, dass du dich vom „Erwartungskatalog Männlichkeit“ lösen musst, um glücklich zu werden und du selbst sein zu können?
Ich bin heute dankbar, dass ich durch meine Homosexualität diese Matrix Männlichkeit durchbrechen konnte. Nichts gefährdet Männlichkeit so sehr wie Weiblichkeit, also die Angst davor, als feminin wahrgenommen zu werden. Und als gay bist du automatisch ein Opfer von traditioneller Männlichkeit, weil du dich anscheinend weiblich verhältst, indem du zum „Gefäß“ wirst, dich dominieren lässt. Männer sagen auch 2020 noch zu ihren Kumpels und Söhnen „Sei keine Pussy“, „du hast keine Eier“, „sei kein Mädchen“… Wieso sollte ich also noch länger versuchen, einem Ideal hinterherzurennen, das misogyn und queerphob ist? Du musst aber nicht gay sein, um als Mann Männlichkeit zu gefährden. Wenn du mit einer Behinderung lebst, „zu klein geraten“ bist, nicht breit genug gebaut bist, auch dann riskierst du, nicht männlich gelesen zu werden…
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
In der ersten Folge deines Podcasts sprichst du mit Sybille Berg darüber, dass sie sich in ihrer Jugend männlich fühlte, weil sie den Anforderungen einer „tollen Frau“ weder entsprechen konnte, noch wollte. Würde eine neue, alternative Männlichkeit demnach auch Frauen* die Möglichkeit geben, die Person zu werden, die sie sein möchten? Warum?
Auf jeden Fall! Ich nehme hier absolut eine pro-feministische Haltung ein. Frauen haben sich ja selbstbestimmt in den letzten Jahrzehnten aus der Rolle des schwachen Geschlechts befreit, kämpfen noch immer dafür. Wenn Männer von der irren Vorstellung abließen, dass ein Aufeinanderzugehen den Verlust von Status und Privilegien bedeutet, wären wir längst einen großen Schritt weiter. Männer gewönnen durch das Ende des Patriarchats, denn traditionelle Männlichkeit trifft alle. Frauen, queere Personen, Trans* und Inter* Personen, aber auch Cis-geschlechtliche, heterosexuelle Männer. Nicht mehr länger nur der Versorger, Ernährer sein zu müssen oder der Starke, der nicht schwach sein darf, das wäre doch eine Erlösung – und eine neue Freiheit die Person zu werden, die man wirklich sein möchte, wenn man den Anforderungskatalog Männlichkeit ad acta legt.
Noch immer wird Care-Arbeit größtenteils von Frauen übernommen, während Männer oftmals in börsenorientierten Unternehmen arbeiten — wie könnte sich die (Berufs-)Welt für alle verändern, würden wir endlich von traditionellen Geschlechterrollen abrücken?
Es ist doch schade, dass Männer in Pflegeberufen zero besprochen werden, aber Fußballspieler nahezu Götter sind. Wie groß muss dein Selbstbewusstsein als Teenager sein, dass du dich traust zu sagen, dass du lieber Ballett machen würdest als Fußball? Oder Erzieher statt Pilot werden möchtest? Weshalb trauen wir Männern nicht zu, liebevoll und fürsorglich zu sein und Frauen nicht zu, rational und durchsetzungsfähig zu sein? Diese Zuschreibungen verhindern etwa Frauen in Vorständen. Deshalb finde ich eine Quote wichtig, auch wenn es schade ist, dass es sie geben muss.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
In deinem Podcast sprichst du mit unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Tarik Tesfu, Sibylle Berg und Herbert Grönemeyer. Welche Erkenntnisse und Learnings hast du aus diesen Gesprächen mitgenommen? Welche Aspekte und Ansichten haben dich überrascht?
Ich hatte so einige Aha-Momente! Gerade bei jemandem wie Herbert Grönemeyer, dessen Hit „Männer“ seit fast vier Jahrzehnten immer dann einsetzt, wenn deutsche Medien über Männer berichten. Warum handeln so viele Songs von Frauen von Weiblichkeit und Emanzipation, aber weshalb reflektieren so wenige männliche Musiker Männlichkeit? Ist er davon selbst genervt? Wird es Zeit für „Männer II“? Ich mochte auch das Gespräch mit meiner langjährigen Freundin Kaey, die Sängerin und Autorin für die Siegessäule ist. Ihre Lebensrealität als Trans*Frau haben wir schon gemeinsam in Interview-Form vor zehn Jahren auf meinem damaligen Blog „Hart International“ besprochen. Jetzt gab es ein „öffentliches Wiedersehen“. Und wie auf den Punkt spricht bitte Riccardo Simonetti? Also wenn man keine Paillette und keine Mähne sieht − ihr müsst das aber schon selbst anhören. Haha.
Zuletzt: Welche Gäst*innen stehen außerdem auf deiner Wunschliste? Und warum?
Ich hoffe, mit einer zweiten Staffel starten zu können. Ich hatte mit meiner ersten Staffel einen absoluten Wunsch-Werbepartner aus der Kosmetik- und Pflege, Dr. Hauschka, und ich liebe es, dass dieses Thema aus seiner Nische wächst. Wenn wir weitermachen, dann würde ich auch gerne mal mit Jane Wayne sprechen. Schließlich ist Zart Bleiben kein Männerclub…
Vielen Dank für das Gespräch!
„Zart Bleiben“ von und mit Fabian Hart könnt ihr euch ab sofort auf Spotify und Apple Podcast anhören. |
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.
Coverfoto Credit: Anna Wegelin