Wie spricht man eigentlich mit Freund*innen und Familie über Rassismus?

23.07.2020 Leben, Gesellschaft

Es gab eine Zeit, in der glaubte ich nur durch Fremde oder entfernte Bekannte mit Rassismus in Berührung gekommen zu sein. Damals war mir noch nicht bewusst, dass Rassismus eben nicht bloß dann Rassismus ist, wenn er voller Inbrunst von offensichtlich rechts gesinnten Menschen ausgelebt wird, sondern eben auch, wenn die nette Nachbarin ganz erstaunt darüber ist, dass die Schwarze Kundin, die am Morgen beim Bäcker Brötchen kaufte, Deutsch sprach — und das auch noch völlig akzentfrei. Und auch die Freundin, die vehement beteuert, sie „sehe keine Hautfarben, sondern bloß Menschen“, ihre Handtasche in der U-Bahn aber doch ein bisschen fester umklammert, sobald sich ein junger Mann of Color neben sie stellt, ist — ebenso wie ich — Teil einer rassistisch sozialisierten Gesellschaft, die nicht nur viel lernen, sondern eben auch verlernen muss. 

Mit jeder edukativen und informierenden Lektüre, mit jedem Video und jedem Artikel über Rassismus wird mir deutlicher, mit welch problematischen Begriffen, Ansichten und Handlungen ich aufgewachsen bin, wie normal sie für mich waren und dass ich mich durch mein weißes Privileg nicht einmal mit ihnen sowie ihren Auswirkungen auseinandersetzen musste. Ich lernte auch mich selbst von dem Trugschluss, ich würde Gutes tun, weil ich gute Intentionen hätte, zu lösen, und verstand, dass es letztlich eben darauf ankommt, was (meine) Worte und Handlungen bei Rezipient*innen auslösen. Durch all das Wissen, das nicht nur wichtig ist, um mich selbst zu bilden und weiterzuentwickeln, sondern eben auch, um Diskussionen über Rassismus führen und verargumentieren zu können, merkte ich zudem — wie derzeit wohl viele von uns — , dass ich heute vor einer ganz neuen Situation stehe, denn: Sich hitzige Diskussionen mit fremden Personen, die offenkundig rechts gesinnt sind, zu liefern, ist oftmals leicht, wie aber spricht man mit Freund*innen, Partner*innen und Familie, also Menschen, zu denen man (mit Ausnahmen) eine emotionale Bindung hat, über Rassismus?

Zunächst einmal musste ich (wieder einmal) verstehen, dass ich in einer Blase lebe und natürlich nicht alle Menschen um mich herum dieselben Quellen konsumieren, die ich konsumiere. Oftmals nämlich nutzen Freund*innen oder Familie, insbesondere ältere Personen, keine (oder nur sehr sporadisch) sozialen Medien und beziehen ihre Informationen ausschließlich aus den klassischen Medien. Das führt natürlich auch dazu, dass sie später und teils mit Einschränkungen von bestimmten Bewegungen erfahren, ihr Wissensstand demnach auch ein anderer sein kann. Ich begann also, Artikel, Videos, Podcasts und Bücher zu teilen und begab mich immer wieder in Diskussionen und Konversationen, die mal frustrierend, mal lehrreich und auch mal katastrophal waren. Ich wusste aber auch: Aufgeben, zurückschrecken und weghören bringt nichts, und beschloss, Dinge immer wieder anzusprechen, egal, wie sehr ich anderen Menschen auf die Nerven gehe.

In einigen Gesprächen wurde ich wütend und hätte am liebsten das Zimmer verlassen oder aufgelegt, weil unsere Stimmen immer lauter, das Unverständnis immer größer wurde, bis es letztlich gar nicht mehr um das eigentliche Thema ging. Mehr als einmal brach ich die Diskussion dann (oftmals) völlig aufgebracht ab und verfiel in großes Schweigen — bis ich eben für mich einen Weg fand, Gespräche über Rassismus zu führen: Ich lernte, vorab Grenzen zu setzen, Pausen einzulegen, zuzuhören und immer wieder geduldig und ausgiebig zu erklären, ganz gleich, wie aufreibend jene Gespräche auch sein mögen, denn: Es geht hier eben nicht um meine Frustration, mein Ärgernis oder meine Verzweiflung.

Gibt es den einen, richtigen Weg?

Natürlich gibt es nicht den einen richtigen Weg, vielleicht gibt es auch gar keinen richtigen Weg, sondern eben nur einen Weg, der, so viel kann ich sagen, keineswegs gemütlich ist. Er ist hügelig und steinig und ein ständiges Auf und Ab und kann zuweilen verdammt frustrierend sein. Bevor man ihn geht, sollte man sich natürlich im Klaren darüber sein, dass ein jeder Mensch am liebsten in seinem eigenen Tempo geht und manchmal ist es ganz sicher auch das Beste, lange Pausen zu machen und an jeder Kurve stehen zu bleiben und zu warten. In anderen Fällen aber ist es sinnvoller, sich zu lösen und die restliche Strecke alleine zu gehen. Ob und wann sich jemand dazu entscheidet, bleibt natürlich jeder*m selbst überlassen, denn immerhin hängt es von jeder individuellen Situation, jeder individuellen Einstellung und Kraft ab.

Eine grobe Orientierung, um Konversationen über Rassismus mit weißen Freund*innen, Familie und Bekannten auch künftig sinnvoll führen zu können, gab Madeline Halpert, Autorin der New York Times, im vergangenen Juli gemeinsam mit Expert*innen. Dort führt sie insgesamt sieben Unterpunkte, die vor und während Unterhaltungen und Auseinandersetzungen bedacht werden sollten, auf:

1. Die Erwartungshaltungen an das Gegenüber sollten stets realistisch sein, denn insbesondere im Fall einer stark konträren Ansicht werden Menschen ihre Meinung nicht nach nur einem Gespräch ändern. In solchen Fällen können hohe Erwartungen zu Frustration und Ärgernis führen, was auf lange Sicht nicht hilfreich ist.

2. Aktives Zuhören zählt laut Dr. Tania Israel, Professorin und Autorin, zu den wichtigsten Aspekten, um zu verstehen, warum das Gegenüber bestimmte Ansichten verfolgt. Sie empfiehlt, sich Sichtweisen stets erklären zu lassen, selbst, wenn diese stark von den eigenen abweichen.

3. Pausen einzulegen, wenn man sie benötigt und sich Entspannungsübungen zu widmen, empfiehlt Elizabeth McCorvey, eine lizenzierte klinische Sozialarbeiterin aus Asheville, da Diskussionen meist produktiver seien, wenn sie weniger emotional aufgeladen sind.

4. Vor jedem Gespräch sollten sowohl thematische als auch sprachliche Grenzen gesetzt werden, so Grace Aheron, Kommunikationsdirektorin des Netzwerks „Showing Up for Racial Justice“. Dass bestimmte Begriffe nicht verwendet und bestimmte Diskussionen nicht geführt werden sollen, legt einen Rahmen fest. Werden Grenzen überschritten, sei es „angemessen“, sich von jener Person zu distanzieren.

5. Dr. Tania Israel zufolge finden die produktivsten Gespräche persönlich oder per Video-Anruf statt — SMS und Messenger-Dienste sollten in diesem Fall ausgelassen werden.

6. Die eigene Entwicklung sollte man nicht nur sich, sondern auch anderen vor Augen halten. In Konversationen rät die Psychologin Dr. Beverly Tatum dazu, anzusprechen, dass auch man selbst gewisse Standpunkte und Sichtweisen vertrat, bevor man sich genauer mit dem Thema beschäftigt hat und warum man es als wichtig empfand, sich weiterzubilden.

7. Gemeinsam zu verlernen und neu zu lernen, kann schwierig sein, aber auch zusammenschweißen. Für alle, die noch am Anfang stehen, aber lernen möchten, empfiehlt Dr. Beverly Tatum, einen Buchclub mit Familie und Freund*innen zu starten.

All die aufgeführten Punkte dienen als Stütze, die den Prozess erleichtern können, letztlich aber ist es nun einmal auch ein Prozess, der in meinem Fall nicht nur einmal in hitzigen Diskussionen endete, die mich frustriert zurückließen, weil schon wieder jemand nicht verstehen wollte, warum es keinen Rassismus gegenüber weißen Menschen gibt, aber: Ich merkte eben auch, dass sich Dinge veränderten, Begriffe aus dem Wortschatz gestrichen und durch andere ersetzt wurden. Dass mit einem Mal ein Eigeninteresse daran bestand, Artikel, Bücher und Serien zum Thema Rassismus zu lesen und zu schauen und dass wiederum auch andere Menschen auf rassistische Aussagen und Handlungen hingewiesen wurden.

Die ständige Auseinandersetzung mit Rassismus sowie Gespräche und Diskussionen zwischen weißen Personen sind nicht nur notwendig, um sich weiterentwickeln zu können und voranzukommen, wie Dr. Tatum sagt, sondern auch, um BIPoC zumindest einen Teil der Last nehmen zu können — und nicht zuletzt dafür sollte es doch uns allen möglich sein, vermeintlich unbequeme, frustrierende und schwierige Situationen und Momente mit Bekannten und Fremden, aber eben auch mit Freund*innen, Partner*innen und Familie einzugehen, denn im besten Fall ist es doch so: Wir verlernen und erlernen gemeinsam oder aber verstehen, wann es an der Zeit ist, uns auch mal von Personen zu lösen.

Zitat der Collage via @irismcalpin

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Wie spricht man eigentlich mit Freund*innen und Familie über Rassismus?

  1. Leo

    Vielen Dank für diesen Artikel!
    Ich finde mich in Vielem wieder und das tut gut 🙂
    Jetzt bin ich wieder motiviert, erneut in solche Gespräche zu gehen und nicht zu viel auf einmal zu wollen.
    Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht war diesen Text so zu formulieren, dass du damit niemandem auf die Füße trittst oder POC den Vorrang nimmst…
    Ich glaube, diese Diskussionen (auch) als nicht-POC zu führen, ist nicht nur als Entlastung der Betroffenen nötig: Verstehen kann man erst dann, wenn man es anderen erklären und darüber diskutieren kann. Und es ist wichtig, dass das Wissen aus Podcasts, Büchern etc. seinen Weg über unsere Zungen findet, ganz sicher.

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