Neulich, da hörte ich während des Malens eine meiner, noch recht kurzen, Playlisten. Dass sie nach ihren eigentlichen 17 Minuten munter weiterlief und mir dabei großartige, mir zuvor unbekannte Lieder präsentierte, bemerkte ich erst eine ganze Weile später. Das Schöne an vielen Musikanbietern ist ja, dass sie mit der Zeit ganz genau wissen, was wir mögen und uns somit stets mit den für uns vermeintlich besten Klängen versorgen. Während mir Last FM vor einigen Jahren eine ganze Reihe an Interpret*innen vorstellte, die meinen Lieblingskünstler*innen sehr ähnlich waren, weiß heutzutage eben Spotify ganz genau, wonach mir gerade ist. Da gibt es etwa „Empfohlene Alben“, „Neuheiten für dich“ oder jede Menge Mixtapes, die sich gleichermaßen aus meinen Favoriten sowie Neuentdeckungen zusammensetzen. Statt lange zu suchen, kann ich meine kostbare Zeit nun endlich anderweitig nutzen und bin dabei auch noch voll und ganz zufrieden. Eigentlich also, gäbe es ein einer Welt, die stets nach Perfektion und höchster Effizienz strebt, somit doch rein gar nichts mehr zu meckern, oder? Nun, nicht ganz. Zwar ist es wirklich toll, stets das, was man ganz sicher mag, vorgesetzt zu bekommen, doch nimmt es uns eben auch die Möglichkeit, völlig Neues zu entdecken und uns auf Unbekanntes einzulassen — und wer sagt schon, dass jene Musik nicht mindestens genauso großartig ist, wie all die Lieder, zu denen wir schon seit Jahren euphorisch mit den Köpfen nicken?
Natürlich betrifft dieses Phänomen, das an Eli Parisers Theorie der Filter Bubble erinnert, nicht bloß Musikstreamingdienste. Auch Plattformen wie Netflix, Amazon Prime und YouTube oder aber Instagram schlagen uns dank eines vermeintlich perfekten Algorithmus Filme, Videos, Serien, Bilder und sogar Accounts, die all jenen, die wir bereits angeklickt haben oder denen wir schon folgen, stark ähneln, vor. Dabei treffen die Vorschläge je nach Plattform mehr oder minder gut unseren Geschmack — Instagrams Explore Page präsentiert sich oftmals etwas allzu empfindlich, reagiert bereits auf kleinste Suchanfragen und featured im Rahmen seiner Vorschläge für ähnliche Accounts doch die immer gleichen Konten — selbst, wenn wir diese vielleicht gar nicht interessant finden. Und auch der Algorithmus, der den Feed bestimmt, wählt seit 2016 aus, ob und wann wir Fotos von jenen Menschen, denen wir folgen, sehen — ein Umstand, der bis heute stark kritisiert wird, auch, weil wir durch unsere Auswahl jener Accounts, denen wir überhaupt folgen, bereits selbst filtern und damit auch entscheiden, was wir sehen möchten, wie Tony Bradley einst in einem Artikel für Forbes anmerkte.
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Dass für uns immer mehr im Verborgenen bleibt, liegt nicht zuletzt daran, dass Algorithmen die Komplexität unserer Präferenzen noch gar nicht ausreichend greifen und verarbeiten können, wie Thorin Klosowski im vergangenen Jahr in der New York Times schrieb. Statt uns Neues zu zeigen, halten uns Social Media Plattformen also stets unsere früheren Entscheidungen vor Augen und weben Nachrichten, Bilder und Videos vielmehr um unsere Person, als um das tatsächliche Angebot — oder wie Jia Tolentino in „Trick Mirror“ schrieb:
„On social media platforms, everything we see corresponds to our conscious choices and algorithmically guided preferences, and all news and culture and interpersonal interaction are filtered through the home base of the profile. The everyday madness perpetuated by the internet is the madness of this architecture, which positions personal identity as the center of the universe. It’s as if we’ve been placed on a lookout that oversees the entire world and given a pair of binoculars that makes everything look like our own reflection. Through social media, many people have quickly come to view all new information as a sort of direct commentary on who they are.“
Ein weiteres Hinderniss bildet der persönliche Geschmack einer jeden Person, denn der kann in der Realität durchaus widersprüchlich wirken oder gar tatsächlich sein — dass eine Person etwa gerne die Musik der Beatles hört, die Songs der Rolling Stones hingegen verabscheut, passe für die Logik der Algorithmen oft gar nicht zusammen, so Klosowski. Eine ähnliche Problematik zeigte sich im Jahr 2018 im Rahmen von Amazons Angebot „Echo Look“, einem System mit integrierter Kamera und entsprechendem Algorithmus, das dabei helfen sollte, den Modestil zu finden, der am besten zur*m User*in passt. In einem Selbstversuch schrieb die Autorin Kyle Chayka, das Gerät versuche, sie in einem universellen, jedoch nicht in ihrem persönlichen, individuellen Stil zu kleiden und kritisierte, das System würde sie nicht kennen, da es weder wisse, in welcher Kleidung sie sich wohlfühle, noch was sie mit ihrer Kleidung überhaupt aussagen wolle.
So viele Vorteile eine von Algorithmen gesteuerte (digitale) Welt auch mit sich bringen mag, so überlegt gilt es auch, mit ihr umzugehen — zumindest dann, wenn man das Bedürfnis verspürt, sich weiterzuentwickeln und den eigenen Horizont zu erweitern, statt stets auf derselben Stelle zu treten. Denn wie Franziska Knupper bereits im Jahr 2017 schrieb: „Was wir hier hören, wird uns von der Intelligenz des digitalen Profiling angeboten“ — und die ist wiederum noch immer nicht mit der Vielschichtigkeit eines Individuums gleichzusetzen.