Coco Chanel gilt noch heute, 40 Jahre nach ihrem Tod, als die Grande Dame der französischen Modewelt. Kaum ein Designer beeinflusste die Haute Couture im 20. Jahrhundert so sehr wie das ehemalige Waisenkind, das vom Taugenichts zum Ausnahmetalent wurde, um schließlich ein Imperium immensen Ausmaßes zu schaffen. In den 20ern kreierte die geborene Gabrielle Bonheur Chasnel das „Kleine Schwarze“ und brachte Chanel N°5 auf den Markt, nachdem sie bereits einige Jahre zuvor als „Wegbereiterin einer funktionellen Damenmode“ agierte, in den 50ern folgten die charakteristischen Tweed-Kostüme. Sie ist und war zweifelsohne eine der ganz Großen. Eine Frau, die von ihrer Nachwelt bewundert und geliebt wird, die als schwarzhaarige Ikone in etlichen Mädchenzimmern hängt. Nun soll es vorbei sein mit dem schönen Schein – führte Coco Chanel ein Doppelleben als Nazi-Spionin?
Die Gerüchteküche ins brodeln gebracht hat dieser Tage Hal Vaughn, seineszeichens amerikanischer Journalist, der in seinem neuesten Werk „Sleeping with the enemy – Coco Chanel’s secret war„ behauptet, Madame Chanel habe nicht nur eine intime Beziehung zu einem Nazi-Spion gehabt, sondern sei zudem auch selbst vom deutschen Geheimdienst rekrutiert worden – eine mögliche Tatsache, über die wohl niemand mehr so recht nachdenken wollte. Bis zu ihrem ihrem Tod 1971 hatte die Grand Dame bereits jegliche Mutmaßung über ihre antisemitische Vergangenheit dementiert, woraufhin es lange Zeit still um derartige Theorien wurde.
Die Süddeutsche berichtete jüngst, dass Vaughn sich in seiner andersartigen Biografie über Coco Chanel aber keineswegs auf reine Spekulation berufe, sondern auf Dokumente aus Archiven in Frankreich, Großbritannien, den USA und Deutschland. Aus ihnen ginge hervor, Gabrielle Bonheur Chasnel sei seit 1940 unter dem Codenamen „Westminster“ tätig gewesen und im Zuge dessen „für die Rekrutierung von Spionen zuständig gewesen“. Weiter heißt es, sie habe eine Liason mit dem deutschen Offizier Baron Hans Günther von Dincklage gehabt, der selbst als Meisterspion unter Goebbels gearbeitet haben soll.
Bis hierher distanzieren wir uns noch von jeglicher Wertung dieser offensichtlichen Verstrickungen. Denn gestern wie heute stellt sich immer die Frage nach dem Warum. Unter welchen Umständen hat Gabrielle gehandelt? Hatte sie eine Wahl? Was hätten wir getan? Es steht uns in diesem Fall nicht zu, eine Geschichte zu verurteilen, die wir beim besten Willen weder nachfühlen noch -vollziehen können.
Doch dann gehen die Behauptungen Vaughns so weit, dass uns die objektive Betrachtung der Fakten langsam immer schwerer fällt. Glaubt man ihm als Journalist und Schriftsteller und dessen Aussagen über faktisch existierende Aufzeichnungen, so hat die französische Modeschöpferin zwar einerseits aus Nächstenliebe gehandelt, schließlich habe sie als Gegenzug für ihre Dienste die Freilassung ihres inhaftierten Neffens André gefordert, andererseits ist da aber diese schwere graue Decke aus Habgier und Machtgelüsten, die sich über die gesamte Biographie Chanels bettet:
(Bilder via N24)
Durch Goebbels habe sie etliche hochrangige Nationalsozialisten kennen gelernt, „mit deren Hilfe sie versuchte, die alleinige Kontrolle über das Parfum Chanel zu bekommen… Die Modeschöpferin sei auch eine überzeugte Antisemitin gewesen.“ Die Frankfurter Rundschau berichtet zudem, Chanel habe bloß einen kleinen Anteil an dem Parfum gehalten, der Großteil sei in Besitz der Brüder Wertheimer gewesen – und das sollte sich dank der guten Kontakte zu den Besatzern zu Coco Chanels Gunsten nun ändern.
„Das Modehaus Chanel, das weiter der Familie Wertheimer gehört, wies die Vorwürfe gestern zurück. Coco Chanels Beziehung zu den Wertheimers habe „Höhen und Tiefen“ gekannt, doch der Streit um das Parfüm habe ihr Verhältnis nicht dauerhaft belastet, hieß es in einer Erklärung. Außerdem habe die Designerin viele jüdische Freunde gehabt“, heißt es in der Frankfurter Rundschau ferner.
Und hier ist Ende. Wir erfahren nicht, in wie weit Vaughns Behauptungen geprüft wurden, ob seine Chanel-Biographie ein Puzzlespiel aus Fakten und Mustmaßungen ist, oder reine, echte Nacherzählung, die unser Bild von der glamourös-rebellischen Coco vielleicht für immer zerrüttelt.
Informationen und Fotos via Süddeutsche und Frankfurter Rundschau.