Worauf wartet die deutsche Medienlandschaft eigentlich seit über zwei Jahren? Auf die absolute Grenzüberschreitung und/oder die verbale Entgleisung des Duos Infernale, die Sterne am deutschen Podcast Himmel?
Da haben Sabine Rückert und Andreas Sentker den erfolgreichsten Podcast Deutschlands und im gAnzEn IntErNet sind, was den mehr als fragwürdigen Modus Operandi, die erschreckend verrohte Rhetorik von Zeit Verbrechen angeht, bis auf wenige Ausnahmen kaum kritische Stimmen zu finden. Zugegeben, ich habe mich lange Zeit auch nicht getraut, habe stets wieder eingeschaltet und gebannt die Ohren gespitzt. Die letzte Folge allerdings, die kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Bei ihr und den vergangenen 64 gab es mehr als einen bitteren Beigeschmack.
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Warum ich so besessen von True Crime Podcasts bin, vermag ich nicht zu ergründen. Was ich weiß ist aber, dass ich jeden zweiten Dienstag zum Nachmittag an meinem Schreibtisch herumrutsche und auf die nächste Folge warte, wohlwissend, dass der Hörgenuss in der Regel von Empörungen und Entrüstungen unterbrochen wird, die mich nicht selten mit der Faust auf dem Tisch, dem Finger auf dem Pauseknopf oder der Stirn in der Hand zurückließen, so außer mir, dass ich laut fluchend eine Zigarette rauchen musste. Sabine und Andreas, zwei renommierte, deutsche Jorunalist*innen, schaffen es nämlich jedes Mal, nicht nur wieder einen spannenden Kriminalfall auszukramen und nett wiederzugeben, sie sind dabei auch so undifferenziert, sexistisch, rassistisch und klassistisch, dass man meinen könnte, sie hätten sich den letzten gesellschaftspolitischen Debatten vollends verweigert.
Regelmäßig geht es hier um Frauen aus Gewaltbeziehungen, die sich „nicht alles gefallen lassen sollen“, wie etwa in Folge 15 „Wenn Schweigen tödlich wird“. Es geht um die sehr attraktive und extrem intelligente Hausfrau, die viel mehr drauf hätte als „nur Mutter“ zu sein, und darum, wie diese nach dem Tod ihres Kindes zusammensackt und nicht mehr halb so pummelig aussieht wie einst zu bessern Zeiten (Folge 8). Um undifferenzierte Unterhaltungen über psychische Krankheiten (Folge 22-25), problematische Bemerkungen über Länder des globalen Südens (Folge 38) oder eine immer einseitigere Verhandlung von Rassismus (z.B.. Folge 17 und Folge 63). Die Liste ist lang. Zurück bleibt die Frage, womit wir es hier zu tun haben: Mit einem Generationenkonflikt, bei dem das alte Journalismus-Eisen sich beinhart gegen wichtige und richtige Debatten im Kontext
Sprachgebrauch und Politisierung wehrt? Oder mit einem Mangel an Wissen und/oder Sensibilität, was komplexe, gesellschaftsrelevante Inhalte angeht? Wie aber kann man so etwas entschuldigen, gerade wenn Menschen eine derartige Reichweite und mediale Macht obliegt?
In der letzten Folge nimmt der Feuilletonist und Architekturkritiker Hanno Rautenberg die pädophilen Straftaten des Architekten Adolf Loos auseinander und beantwortet anschließend mehr oder weniger durch die Blume die Frage, ob sich Werk und Künstler in der letzten Konsequenz trennen lassen (Spoiler, Hanno findet ja) − nicht aber ohne sich dabei offen über eine befürchtete Verdachtskultur gegenüber Männern auszulassen, die sexuellen Übergriffe von Stars der Kunst- und Kulturgeschichte zu relativieren und am Ende Pädophilie innerhalb des Kunst- und Kulturbetriebs als eine Art Stilmittel erscheinen zu lassen. Sabines Gegenwind: Mehr als ernüchternd und fast konfliktscheu werden alle Reibungen der Unterhaltung nahezu im zweiten Anlauf erstickt.
Es wird einem ganz anders, wenn man bedenkt, dass Publikationen wie Zeit oder zuletzt Radio Eins mit Schröder und Somuncu immer wieder mit mehr als fragwürdigem Content große Erfolge einholen oder es, wie im letzten Fall, zumindest versuchen wollen. Zu mächtig sind die Medienschaffenden am Hebel, zu kleinlaut scheinen kritische Stimmen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Institutionen. Kann und darf man 2020 noch ignorieren, wenn rassistische und sexistische Stereotype ohne Weiteres reproduziert werden? Die Antwort sollte doch klar sein. Vielleicht aber geht es hierbei um die absolute Verweigerung gegen alle Strömungen, die sich einer gewaltfreien Sprache und somit einem gewaltfreien Miteinander nähern wollen.
Ich wünsche mir eine verantwortungsbewusste Unterhaltungs- und Medienbranche. Eine, in der sich Menschen nicht mehr über den Zwang zur genderneutralen Sprache aufregen oder verweigern sich die Begriffe, mit denen man keine Verletzung dritter provoziert, anzueignen. Eine, in der wir nicht mehr über die Körperform, die Hautfarbe oder vermeintliche Herkunft anderer reden, wenn sie nicht Teil der Besprechung sein müssen und nicht von Diskriminierung handeln und eine, in der es gang und gäbe wird, für begangene Fehler respektvoll um Entschuldigung zu bitten, und bereit ist, dazuzulernen. Vielleicht machen die Großen mal den Anfang, beziehungsweise ziehen endlich nach, und zwar schon bevor sie irgendwann das Fass zum Überlaufen bringen. Am Ball bleiben kann man schließlich auch ohne dass es Kritik hagelt. Wenn man erst einmal den ersten Backlash ausgehalten hat, geht der Rest wie von selbst. Zunächst fährt man als Betroffene*r aber gut damit, eigene Grenzen zu ziehen, sich des Konsums zu entziehen und, wenn noch etwas Energie übrig geblieben ist, Feedback zu geben. Auch wenn es sich zeitweise so anfühlt, ist man mit seinen Gefühlen häufig nicht alleine.