Vor gut zwei Wochen veröffentlichte Emily Ratajkowski einen Essay. In Buying myself back. When does a model own her own image? schreibt das Model über die vielen Arten, auf die Männer ihr Bild und ihre Person benutzt haben, um Geld zu machen – oft ohne ihr Einverständnis. Da ist der angesehene Künstler, der eines ihrer Instagram-Bilder auf eine Leinwand drucken lässt und für tausende von Dollar verkauft. Da ist der Paparazzo, der Ratajkowski verklagt, weil sie eines seiner Fotos von ihr auf ihrem eigenen Instagram-Account veröffentlicht hat. Vor allem ist da der Fotograf, der Ratajkowski – damals ein noch unbekanntes Model – während eines Shootings sexuell belästigt und später ein Buch mit bei diesem Shooting entstandenen Nacktfotos produziert und vertreibt.
Der Essay ist gut geschrieben und erschütternd. Ich las ihn in einem Rutsch und ahnte, wie viel er geteilt, kommentiert und gelobt werden würde. Und dafür gibt es gute Gründe. Aber seit zwei Wochen nagt da eben auch etwas an mir. Warum? Dafür muss ich etwas weiter ausholen.
Sexy Ermächtigung
Seit ihrem Auftritt im Blurred Lines-Video ist die heute 29-jährige Emily Ratajkowski als Model und Schauspielerin bekannt geworden. Sie hat, wie so viele andere junge Frauen online, Sexyness zu ihrer Marke gemacht und verdient damit jede Menge Geld. Fast immer posiert sie leicht bekleidet, oft oberkörperfrei und manchmal nackt. Sowohl auf Instagram als auch bei professionellen Shootings. Diese Zurschaustellung ihrer Sexyness, das wird Ratajkowski nicht müde zu betonen, empfindet sie als ermächtigend. In ihrem Essay Baby Woman schreibt sie, sexy zu sein sei nicht automatisch auf die Begehrlichkeiten von Männern ausgerichtet: „To me, ‚sexy’ is a kind of beauty, a kind of self-expression, one that is to be celebrated, one that is wonderfully female.”
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Sich selbst sieht Emily Ratajkowski als Feministin und ihren Job als Ausdruck dieser Haltung. Tatsächlich ist sie politisch aktiv und öfter auf Protesten zu sehen (so demonstrierte sie 2019 gegen die Berufung von Brett Kavanaugh an den Obersten Gerichtshof). Die Vogue jubelte „All the times Emily Ratajkowski faught the patriarchy” – und garnierte das Ganze mit einem Bikini-Foto von Ratajkowski. Die erklärte in einem Interview mit Elle: „Feminism is about the choices we make, and the freedom we have to make personal choices without judgement or retribution.” Dem Magazin WWD sagte sie: „My response to people saying I post oversexualized images is that it’s my choice and there’s an ownership and empowerment through them.”
Die Freiheit der Wahl
Was auffällt, ist, wie oft es bei Emily Ratajkowskis Definition von Feminismus um choices geht, um Wahlfreiheit. Weil sie sich als Feministin bewusst dafür entschieden hat, mit Sexyness Geld zu verdienen, ist diese Entscheidung feministisch. Einfach deshalb, weil sie diese Entscheidung getroffen hat. Womit wir mal wieder beim Thema „choice feminism“ angekommen wären. Andi Zeisler fasst das Problem mit dieser Art von Feminismus in ihrem Buch Wir waren doch mal Feministinnen. Vom Riot Grrrl zum Cover Girl pointiert zusammen: „Sein Kern liegt in der Vorstellung, dass es nicht so wichtig ist, wofür wir uns entscheiden, sondern vielmehr, dass wir überhaupt das Recht auf eine Entscheidung haben.“ Doch so simpel ist es selbstverständlich nicht. Zum einen, weil Entscheidungen nicht im luftleeren Raum getroffen werden und nicht alle Menschen über die gleichen Positionen und Ressourcen verfügen, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Zum anderen, weil „Entscheidungsfreiheit“ und „Rechte“ nicht dasselbe sind – und einige Entscheidungen die feministische Sache nicht voranbringen.
Und dazu gehören auch Emily Ratajkowskis sexy Fotos und Posen. Sie selbst, das stellt sie immer wieder klar, empfindet diese nicht nur als ermächtigend, sondern auch als subversiv. In einem Essay für Harper’s Bazaar schreibt sie: „As a fully grown woman, I continue to be shocked by how, in 2019, we look down so much on women who like to play with what it means to be sexy.” Die Formulierung, über die ich hier stolpere, ist „to play with“. Ich sehe nicht, wie genau Ratajkowski, die konventionellen Schönheitsidealen entspricht, damit „spielt“ was es heißt, sexy zu sein. Wie sie den männlichen Blick herausfordert. Ihre Fotos auf Instagram unterscheiden sich nicht von denen vieler anderer weiblicher Promis und Influencerinnen, die schnutig und halbnackt posieren. Ratajkowskis Intention, ein bestimmtes Foto zu posten, mag (wie auch immer) subversiv sein – das Foto an sich ist es nicht. Was die Betrachtenden sehen ist eine schöne Frau, die sich in altbekannten Posen für den männlichen Blick inszeniert. Die sich ansehen lässt.
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Durch die feministische Linse
In den letzten Jahren ist es normal(er) geworden, alles und jeden durch eine feministische Linse zu betrachten. Was wahrscheinlich mit dazu geführt hat, dass Frauen wie Emily Ratajkowski überhaupt das Bedürfnis haben, ihrem Handeln ein feministisches Branding zu verpassen. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte beispielsweise niemand von Victoria’s Secret-Models erwartet, dass sie sich zum Thema Feminismus äußern. Heute hingegen verkünden diese mit ernsten Mienen, in teurer Unterwäsche über einen Laufsteg zu marschieren sei super „ermächtigend“, ergo feministisch. Aber es kann und sollte eben nicht alles feministisch sein. Emily Ratajkowski kann sich ausziehen und leidenschaftlichen Sex mit einer Portion Pasta haben, ohne das Ganze gleich zu einem subversiven Akt feministischen Engagements hochzustilisieren. Manchmal ist Pasta-Sex eben nur… Pasta-Sex.
Was mich zurück zu ihrem Essay bringt. Ratajkowski beendet ihn mit Überlegungen dazu, ob sie Jonathan Leder, den Fotografen, der sie belästigt und das Fotobuch von ihr veröffentlicht hat, verklagen soll, entscheidet sich letztendlich aber dagegen: „Eventually, Jonathan will run out of ‚unseen‘ crusty Polaroids, but I will remain as the real Emily; the Emily who owns the high-art Emily, and the one who wrote this essay, too. She will continue to carve out control where she can find it.”
Am Ende steht die Schein-Ermächtigung
Der Essay, so eloquent und berührend er ist, lässt mich etwas hilflos zurück. Denn am Ende steht nur eine Schein-Ermächtigung: Emily Ratajkowski hat sich also dazu entschieden, kein Opfer zu sein, sich die Kontrolle zurückzuholen. Und das ist toll. Aber gleichzeitig ändert es nichts. Erstens, weil sie keine Kontrolle hat: Die im Text erwähnten Männer verdienen weiterhin Geld mit Bildern von Ratajkowski. Zweitens, weil der Essay eine – sehr individuelle – Bestandsaufnahme eines spezifischen Problems bietet, aber keinerlei Reflektionen dazu, was es bedeutet, dass Ratajkowski finanziell von einem System profitiert, welches sie (indirekt) kritisiert.
Was es bedeutet, seinen Körper zu seinem Kapital zu machen. Kein Wort zu den Themen Selbstvermarktung, Objektifizierung oder internalisierter Sexismus. Und so setzt sich der Kreislauf fort.
Vielleicht ist es schlicht zu viel verlangt, dass ein Promi wie Emily Ratajkowski die Systemfrage stellt: Wenn ihre feministische Haltung ausschließlich auf persönlicher Wahlfreiheit basiert, dann sollte es nicht verwundern, dass ihr Blick verengt ist und sich fast ausschließlich auf sie selbst richtet. Sie will gesehen werden. Aber ob das reicht?
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Lesetipp: Einen englischsprachigen Text zum Thema schrieb Haley Nahman in ihrem Newsletter „Maybe Baby“. Hier geht’s zum Beitrag „The Emily Ratajkowski effect“.