Vor einiger Zeit diskutierte ich auf einer Veranstaltung mit einer – wie ich – feministisch bewegten Autorin über Gleichberechtigung: darüber, was schon erreicht wurde, und was es noch zu erreichen gilt. Im Anschluss an unsere Diskussion hatte das Publikum die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Eine ältere Dame meldete sich zu Wort und sagte, offensichtlich empört: „Immer geht es nur darum, was alles schlecht ist. Wir Feministinnen haben doch schon viel erreicht! Das sollte man auch mal feiern!“ An diese Dame musste ich denken, als mich vor wenigen Tagen die frohe Botschaft erreichte, dass die Große Koalition sich auf eine verbindliche Frauenquote in Vorständen geeinigt hat: Die Regelung sieht vor, dass in Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern künftig ein Mitglied eine Frau sein muss.
So weit, so gut – schließlich wird seit Jahren über eine Frauenquote in Vorständen diskutiert. Für Aufsichtsräte von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen hingegen gilt bereits seit 2016 eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent. Sorry, ich meinte natürlich: eine verbindliche Geschlechterquote. Weil diese Quote ja theoretisch auch für Männer gilt, sollten diese in Führungspositionen unterrepräsentiert sein – was in den Vorständen und Aufsichtsräten deutscher Unternehmen allerdings nicht der Fall ist, und die Geschlechterquote somit de facto eine Frauenquote.
Die Masse macht‘s
Die Frage ist nun, inwiefern die Frauenquote für Vorstände tatsächlich ein Anlass zum Jubeln ist. Die Antwort lautet, wie so oft bei politischen Maßnahmen für mehr gender equality: Ja, aber… Da wäre zunächst die Tatsache, dass die Quote nur für die Vorstände börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen gilt, was die Zahl der betroffenen Unternehmen deutlich reduziert. Die Initiative FidAR, die sich für mehr Frauen in Aufsichtsräten und Führungspositionen einsetzt, bilanziert auf Twitter: „Ein Fuß in der Tür eröffnet Möglichkeiten.“ Soll heißen: Da geht noch mehr.
Es ist eine deutlich kleinere Pilotgruppe als die 105 Unternehmen, die der festen AR Quote unterliegen. Doch ein Fuß in der Tür eröffnet Möglichkeiten https://t.co/ryFsyHFDhI
— FidAR (@FidAReV) November 20, 2020
Und da muss noch mehr gehen, denn damit sich wirklich etwas ändert, braucht es eine sogenannte kritische Masse von Frauen: Eine Frau allein wird in einem Vorstand voraussichtlich nicht viel bewirken (können), weil sie im Zweifelsfall als Repräsentantin des weiblichen Geschlechts gesehen wird. Ich kenne das aus meiner Zeit als einzige Redakteurin in einer rein männlichen Redaktion. Wie oft hieß es da: „Julia, wir brauchen mal eine weibliche Meinung…“ Als ob ich die Gesamtheit aller Frauen repräsentieren würde, nur weil ich zufällig selbst eine Frau bin. Eine Frau ist ein Feigenblatt, mehrere Frauen machen einen Unterschied.
Männlich geprägte Unternehmenskultur
Die kritische Masse liegt laut verschiedenen Untersuchungen bei circa 30 Prozent Frauenanteil – und diese 30 Prozent braucht es mindestens (!) um ein weiteres Problem angehen zu können, das die Quote für Vorstände, so, wie sie jetzt beschlossen wurde, nicht regelt: die männlich geprägte Unternehmenskultur. Diese basiert auf der Vorstellung einer ununterbrochenen Erwerbstätigkeit. Auch bei der Präsenzkultur, die (in Nicht-Coronazeiten) in vielen Unternehmen noch gepflegt wird, sind Mütter raus – bis 22 Uhr vor dem PC Geschäftigkeit simulieren, damit die Kolleg*innen beeindruckt sind, ist nicht drin, wenn zu Hause die Kinder warten. Die Konsequenz: Sobald Kinder da sind, reduzieren viele Frauen ihr berufliches Engagement mehr oder weniger stark – zum Beispiel, weil der Wiedereinstieg in den Beruf einem nicht so leicht gemacht wird wie zugesagt oder es keine Teilzeitoptionen gibt.
Kinder sind nur einer von vielen Gründen dafür, dass Frauen als für Führungspositionen ungeeigneter gelten. Als ob Frauen das Problem wären – und nicht die Unternehmen selbst. Michaela Schießl kommentiert auf Spiegel Online: „Hinter vorgehaltener Hand hört man ihn dann, den beliebten Killersatz: Die können es halt nicht. Tatsächlich scheinen es die Männer zu sein, die nicht können. Die Unternehmen versagen eklatant darin, ihre Kultur so zu verändern, dass Frauen dort erfolgreich agieren können.“ Auf Twitter schreibt Robert Franken, der Unternehmen u.a. zu den Themen Diversity und Gender berät: „Ich hoffe, dass die Quote v. a. für Verhandlungsmacht eingesetzt wird: ‚Ihr braucht mich (als Frau), aber ich mache das nur, wenn sich die Kultur im Unternehmen verändert.‘“
Ein wichtiger Schritt
Die Frauenquote für Vorstände ist durchaus etwas, was man feiern sollte – schließlich haben so viele Menschen so viele Jahre engagiert dafür gekämpft. Sie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber gleichzeitig löst sie nicht die eigentlichen Probleme: Macht ist nach wie vor männlich konnotiert und es gilt „Think manager, think male“. Noch immer sind viele Männer sich nicht zu blöd, zu behaupten, es gäbe eben keine qualifizierten Frauen, dabei habe man(n) sich doch solche Mühe gegeben, sie zu finden. Oder auch: Frauen wollen einfach nicht. Selbst schuld. Die Quote zwingt Unternehmen jetzt zum Handeln und aus ihrer bequemen „Wir haben ja alles versucht“-Haltung heraus. Allein das ist ein Grund zur Freude – und diesen Moment können und dürfen wir uns gönnen. Den Rest packen wir dann in den kommenden Jahren an.