Die Zukunft der Mode kennt kein Geschlecht

01.12.2020 Gesellschaft, Mode

© Photography by Acielle / Style Du Monde Es ist an der Zeit, dass der Einzelhandel nicht mehr zwischen Männern und Frauen unterscheidet, sondern das gesamte Spektrum der Geschlechter einbezieht.

Die Zukunft der Mode ist nicht binär

Das Bild von Harry Styles in einem Gucci-Kleid auf dem Dezember-Cover der US VOGUE entfachte eine solche Kontroverse, dass es international zu einer Nachricht wurde – und das nicht aus dem offensichtlichen Grund, dass es sich um Harry f**king Styles handelt und er umwerfend aussieht! Sogar Politiker*innen meldeten sich zu dem Fotoshooting von Tyler Mitchell zu Wort, bei dem Styles, der bei Weitem nicht der erste oder sogar der provokanteste Mann ist, der in ein Kleid schlüpft, mehrere Kleider von Gucci, Chopova Lowena, Wales Bonner und Harris Reed trägt. Alexandria Ocasio-Cortez fand, dass Styles „bombig“ aussieht, aber im Kern beleuchtete die Kleiderdebatte ein Thema, das einen Großteil der Modewelt und der Welt insgesamt plagt: die Geschlechterbinarität.

 
 
 
 
 
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Lasst uns das Offensichtliche feststellen: Ein Stück Stoff, ein Textil oder ein Kleidungsstück hat kein Geschlecht. Dies ist eine unbestreitbare Tatsache! Aber solange es Mode als kodifizierte Reihe von Jahreszeiten, Modenschauen und Trends gibt, hat sie unter der Annahme gearbeitet, dass das Geschlecht in einer Binärform existiert. Jeder Aspekt des Modesystems ist den getrennten Vorstellungen von Herren- und Damenbekleidung verpflichtet: Universitäten, Modewochen, Einzelhandelsflächen, E-Commerce-Websites, Boards von Modelagenturen und sogar Kreativdirektionen sind nach Geschlechtern getrennt. Viele in der Branche haben damit begonnen, dieses geteilte System zu verbinden, aber die Branche insgesamt muss sich die Frage stellen: Wie können wir das Spektrum der Geschlechter in einer inklusiveren und realistischeren Weise darstellen?

Ein Ansatzpunkt ist der Einzelhandel. Jenseits eines kapitalistischen Strebens ist Einkaufen ein Mittel zur Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung. Von klein auf definiert uns Kleidung. Wenn wir älter werden, geht es bei der Suche nach den „perfekten“ schwarzen Stiefeln, dem Shearling-Mantel oder der High-Rise-Jeans weniger darum, den trendigsten oder begehrtesten Artikel zu finden, sondern vielmehr den, der am besten mit unseren eigenen ästhetischen Codes übereinstimmt. 

Mann oder Frau? Im Einzelhandel gibt es fast immer getrennte Abteilungen

Doch schon beim Einkaufen neuer Jeans werden wir häufig aufgefordert, uns einem von zwei Modegeschlechtern zuzuordnen: männlich oder weiblich. Dies geschieht im stationären Handel, der die Herren- und Damenbekleidung in getrennte Bereiche, Stockwerke und manchmal sogar Gebäude aufteilt. Dies geschieht aber auch online, wo viele der beliebtesten Luxus-E-Commerce-Websites ihr Angebot ohne große Überschneidungen aufteilen.

„Wir erkennen an, dass [Stil] fließend und flexibel sein kann – was bedeutet, dass man sich an einem Tag vielleicht mit einem höheren Grad an Weiblichkeit identifiziert und sich dafür entscheidet, diesen auszudrücken, als an einem anderen Tag“

sagt Brigitte Chartrand, Vizepräsidentin für den Einkauf von Damenbekleidung von Ssense.

 

 
 
 
 
 
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[typedjs][Aber] wir erkennen auch, dass Durchschnittsverbraucher*innen in diesem Moment und trotz unseres kollektiven, wachsenden Bewusstseins über geschlechtliche Identitäten und Kontinuitäten immer noch ein mentales Modell haben, das beim Kauf von Kleidung verwendet wird. Mit anderen Worten, wenn man durch unser Sortiment von über 50 000 Artikeln und 600 Marken stöbert, ist es einfacher und leichter, Kleidung in Bereiche für Herren- und Damenbekleidung zu teilen, weil das mit der Art und Weise übereinstimmt, wie Menschen über Kleidung denken und sich online und im stationären Handel bewegen. [/typedjs]

Die Industrie hat lange Zeit mit der Idee gearbeitet, dass es einfacher ist, Produkte auf der Grundlage eines binären Verständnisses von Geschlecht in zwei Kategorien aufzuteilen. Die Frage ist nur, für wen ist dieses System einfacher? 

„Online-Shopping hat seine eigenen Frustrationen, da bei fast jedem Online-Händler, zu dem man geht, alles binär organisiert ist“, sagt William Defebaugh, der nicht binäre Gründer von „Atmos“, einem Magazin, das sich mit dem Klimawandel und Umweltfragen beschäftigt. Stationäre Geschäfte sind ebenso frustrierend. „Wenn ich ehrlich bin, ist es manchmal so abstoßend, dass ich einfach nicht hineingehe oder ich gar nicht einkaufe.“ 

Online-Suchfunktionen sind fast immer geschlechtsspezifisch

Für jemanden, der nachhaltig und secondhand kaufen will, ist es noch schwieriger, die richtigen Artikel online zu finden. „Die Schnittmenge zwischen nachhaltig und gleichzeitig geschlechtsneutral ist sehr begrenzt und war sehr schwierig zu finden“, sagt Defebaugh und erklärt, dass „The RealReal“ eine Website ohne geschlechtsspezifische Suchfunktion ist. (Die Website selbst kategorisiert Artikel nach Männern, Frauen und Kindern, eine allgemeine Suche bringt jedoch Artikel aus verschiedenen Kategorien). „Es lief darauf hinaus, dass ich darüber hinwegkommen und mich damit anfreunden musste, manchmal in der Frauen-, manchmal in der Männersektion einzukaufen. Das war anfangs definitiv unangenehm, jedes Mal diese Entscheidung treffen zu müssen, wenn ich etwas kaufen wollte.“

 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Gucci Official (@gucci)

Charles Jeffrey, der schottische Designer, verwendet eine einfache Analogie: „Es ist wie eine Toilettenkabine, nur eben nicht öffentlich. Sie könnten auf eine Website gehen, die zwischen Männern und Frauen aufgeteilt ist, und das Gefühl haben: „Oh, mein Gott, in welchen Laden gehe ich?“ Das könnte ein schwieriger Moment für Sie sein. Im Einzelhandel zwischen Männern und Frauen wählen zu müssen, ist ein und dasselbe.“

Jeffrey absolvierte das B.A.-Programm am Central Saint Martins und lancierte seine Marke Charles Jeffrey Loverboy als Teil der Frühjahrssaison 2016 der Menswear von Fashion East. Er beschreibt, dass es bei seiner anfänglichen Herangehensweise an das Kleidungsdesign weniger um Geschlechter, als vielmehr um Kostümierung ging. Dennoch wurde ihm von der Industrie das Etikett „genderless“ oder „genderqueer“ verliehen, weil er Models aller Geschlechter in seine Röcke, Kilts und historisch geprägten Kleider steckte. „Ich bin ein queerer Designer und eine queere Person, aber, um ehrlich zu Ihnen zu sein, war das ein Label, das auf mich projiziert wurde“, sagt er. „Nur weil wir darüber nachgedacht und dieses Etikett wirklich zu unserem gemacht haben, überlegten wir, wie wir die Produkte in die Läden kuratieren oder vorschlagen könnten, das in einer Art und Weise zu tun, die nicht unbedingt einem binären System folgte.“

Die Models lassen sich mittels Schieberegler verändern

Um in Bezug auf die Geschlechterfrage offener zu sein, hat Jeffrey seine eigene E-Commerce-Website neu organisiert. Unten auf jeder Seite ermöglicht eine Schiebeskala den BenutzerInnen, das Model zu ändern, das die Kleidungsstücke trägt. Die Geschlechter der Models sind nirgendwo auf der Website angegeben, und die Symbole an jedem Ende der Skala sehen eher aus wie ein Zauberer und eine anthropomorphe Fledermaus als die traditionellen Codes für Männer und Frauen. „Wenn das Ihre Vorstellung von [den Symbolen] ist, dann ist das großartig“, lacht Jeffrey und betont, dass sie offen zur Interpretation sind. „Mir gefällt die Idee, einfach zurückzutreten. Es ist Sache der BenutzerInnen, darüber nachzudenken und auszuwählen, wo er oder sie sich selbst sieht.“

Er räumt ein, dass es schwieriger werden kann, wenn es darum geht, seine Kleidung bei Groß- und Einzelhändlern zu präsentieren. „Wenn es um den Schnitt geht und wie die Einkäufer*innen ihn dann hinterher in Erinnerung behalten, müssen wir Überlegungen darüber anstellen, wie das eher mit einem Binärcode-System zusammenpasst“, sagt er. „Wir müssen einige Kleidungsstücke haben, die auf einen bestimmten Körpertyp zugeschnitten sind. […] Wir haben einige Jacken, von denen Sie sagen würden, dass sie eher für einen menschlichen Körper mit Brüsten und Hüften passen würden, die dann aber an einem Model, das diese Attribute nicht hat, großartig aussehen. Ich bemühe mich eigentlich, kein Geschlecht zuzuordnen, [aber] letztlich geht es nur darum, wie KäuferInnen und KonsumentInnen es sehen.“ Jeffrey fährt fort:

[typedjs]Ich denke, wenn wir anfangen, uns mit den tatsächlichen sozialen Aspekten auseinanderzusetzen, beispielsweise mit der Frage, wie sich jemand im Laden fühlt, wenn wir versuchen, uns in eine LGBTQ+-Person hineinzuversetzen, und wie sie sich im Laden zurechtfindet, und wenn wir anfangen, Lösungen zu finden, damit diese Person sich etwas besser fühlt – ich denke, das ist vielleicht ein Mittel zur Veränderung.[/typedjs]

 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Charles Jeffrey LOVERBOY (@_charlesjeffrey)

VOGUE COMMUNITY

– Diese Kolumne von Steff Yotka wurde zuerst bei der Vogue US veröffentlicht. Hier könnt ihr den Beitrag weiterlesen könnt  –

Die Zukunft der Mode kennt kein Geschlecht

  1. Laura

    „Die Industrie hat lange Zeit mit der Idee gearbeitet, dass es einfacher ist, Produkte auf der Grundlage eines binären Verständnisses von Geschlecht in zwei Kategorien aufzuteilen. Die Frage ist nur, für wen ist dieses System einfacher?“ Vielleicht bin ich die Einzige, die das so sieht, aber ich bin froh, dass es diese Kategorien gibt. Natürlich ist die Aufteilung in zwei Geschlechter stylistisch Quatsch, jeder sollte tragen können, was er möchte. Aber ganz so einfach ist es ja doch nicht, es gibt trotz allem grosse Unterschiede bei den Schnitten und Grössen. Einfach Hosen verlängern oder kürzen reicht ja nicht. Ich bin unter 1,60 m gross, schlank aber doch mit Kurven. Gerade, wenn ich noch etwas auf Nachhaltigkeit und Fair Fashion achte, finde ich es schon schwierig genug, bei der Frauenmode passende Sachen zu finden, ganz zu schweigen von der „Männerabteilung“. Wie würde es denn aussehen, wenn alles neutral wäre?

    Antworten

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