Mädchen, die aussehen wie Jungs. Unsere Großeltern würden höchst wahrscheinlich die Arme über dem Kopf zusammen werfen, denn was hier seit einiger Zeit geschieht, ist das Verwischen von Grenzen, die ihrerseits im Laufe der Jahrzehnte zwar immer wieder angefechtet wurden, zugleich aber seit Menschen gedenken können dazu beitrugen, dass Männlein und Weiblein gleichermaßen einen festen Platz in der Gesellschaft fanden – und der war mehr oder minder genaustens defininiert.
Wer ausbrach aus dem typischen Rollenbild, Frauen, die kurzes Haar hatten wie zum Beispiel die stilprägenden Garçonnes der 20er Jahre, der wurde zunächst kritisch beäugt oder alsbald als homosexuell in eine Schublade gesteckt. Damals mag das noch zutreffender gewesen sein als heute, denn jetzt ist alles anders, wir sind mutiger, selbstsicherer und vor allem gewillt mit jeglichen Modemitteln zu experimentieren, die uns heute zu Füßen liegen – die sexuelle Orientierung spielt dabei längst keine Rolle mehr. Mädchen und Frauen tragen kurzes Haar, das Modediktat erlaubt ganz bewusst Ausflüge in den männlichen Kosmos. Boyfriend-Jeans und weite Silhouetten, spätestens mit Eintritt der 80er Jahre-Gedenkmode wurde wieder gerne mit Geschlechterrollen gespielt. Die Tomboys sind zurück und zwar mehr denn je.
Hält man der Gesellschaft einen Spiegel vor, so erkennt man an ihren Teilnehmern, dass der Zeitgeist wohl zu kaum einer Zeit so kontrovers angehaucht war wie heute. Während spitzbusige Blusen-Trägerinnen dem Mad-Man-Rausch verfallen sind und den 50er Jahren zumindest optisch huldigen und ob ihrer Stellung kein Problem mehr darin sehen, sich kleidungstechnisch kategorisieren zu lassen, bildet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Frauenfront, die ganz bewusst das in jedem vom uns innewohnende Maskuline nach außen kehrt und mit Herrenschuhen und -Hemden Stilbruch begeht.
Wer sich kaum mehr behaupten muss, wird eben flügge. Wer sich seine Rolle erkämpft hat, muss nicht mit allem konform gehen, kann sich entfalten nach eigenem Belieben. Nicht alles aber ist mit strengem Auge zu bewachen, nicht jedes Phänomen muss bis auf den letzten Gedankengang erklärt werden – manchmal ist es einfach nur der Spaß, der ganz oben auf der Skala der tausend Gründe steht. Der Spaß daran, sich auszuprobieren, die Freude an der Ausdruckskraft von Mode. Alles ist erlaubt und alles ist schön – man muss sich nur trauen. Danke Hedi Slimane, für diese wunderbaren Aufnahmen.